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Smart City

Werkstattbericht Vom Prototypen zur Verstetigung

Benjamin Seibel berichtet aus dem Alltag des Berliners Stadtlabors.
Benjamin Seibel berichtet aus dem Alltag des Berliners Stadtlabors. Foto: Privat

Innovative Produkte bewegen sich in der öffentlichen Verwaltung in einem Spannungsfeld. Einerseits sollen sie wichtige Impulse geben, andererseits sind die Hürden auf dem Weg in den regulierten Regelbetrieb hoch, schreibt Benjamin Seibel.

von Benjamin Seibel

veröffentlicht am 12.06.2024

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Als Innovationslabor ist es eine unserer Aufgaben, Potenziale der Digitalisierung auszuloten und für den öffentlichen Sektor nutzbar zu machen. Ein bewährtes, wenn auch für Verwaltungen oft ungewohntes Vorgehen ist dabei das „Rapid Prototyping“. Dabei entwickeln wir in kurzen, agilen Software-Sprints erste Versionen einer möglichen Anwendung, um diese anschließend mit interessierten Nutzer:innen zu testen. Die Arbeit mit Prototypen ist wertvoll, weil sie in einer sehr frühen Phase große Erkenntnisgewinne ermöglicht. Mit relativ geringem Ressourceneinsatz können wir überprüfen, ob sich eine vielversprechende Idee auch wirklich in der Praxis bewährt.

Das Prototyping ist eine Alternative zum klassischen Verwaltungsvorgehen, bei dem die Umsetzung oft erst im letzten Schritt nach einer langen Kette von Planungs-, Analyse- und Abstimmungsschritten erfolgt. Stattdessen zieht man die ersten Entwicklungsschritte vor die Klammer, um so die Frage „Worum geht es hier eigentlich?“ möglichst früh zu konkretisieren. Das bedeutet im Übrigen nicht, dass die anderen Schritte nicht auch noch erfolgen, nur die Reihenfolge ändert sich. Abstimmungsprozesse fallen zum Beispiel anhand eines konkreten, erlebbaren Produkts oft deutlich leichter, weil die Gefahr sinkt, aneinander vorbeizureden.

Wie der Prototyp seinen Weg in den Verwaltungsalltag findet

Durch die schnellen ersten Erfolge kann jedoch auch ein gehöriger Erwartungsdruck entstehen. Wenn die Prototypen sich in Tests bewähren und Mehrwert schaffen, wächst der Wunsch, sie möglichst bald auch im Alltag nutzen zu können. Es ist jedoch etwas grundlegend anderes, eine Produktidee lediglich auf der grünen Wiese zu validieren oder sie in einem hochregulierten Umfeld wie der öffentlichen Verwaltung tatsächlich in einen produktiven Regelbetrieb zu bringen. Nahezu alle Verwaltungslabore, die ich kenne, stehen vor diesem Problem: Wie finde die vielen guten Ideen und Produkte, die dort entstehen, ihren Weg in den Verwaltungsalltag, wo sie nachhaltige Wirkung entfalten können?

Dieses Problem resultiert auch aus dem schwierigen, geradezu paradoxen Auftrag von Innovationslaboren: Einerseits sollen sie losgelöst von bestehenden Einschränkungen, eben „out of the box“ denken und agieren, um der Verwaltung neue Perspektiven zu eröffnen. Andererseits besteht aber natürlich die Erwartung, dass die Impulse dann auch zurück in den großen Verwaltungsapparat fließen und dort, allen Beharrungskräften zum Trotz, echte Veränderungen anstoßen.

Grundsätzlich denke ich, dass man Laboren Unrecht tut, wenn man ihren Erfolg allein an der Frage bemisst, wie viele der dort entstandenen Produkte später ihren Weg in die Verstetigung finden. Wenn es gelingt, ein umsetzungsstarkes Team aufzubauen und einen offenen Ort zu schaffen, an dem neue Formen der kollaborativen Zusammenarbeit nicht nur gepredigt, sondern tatsächlich gelebt werden, dann sind die positiven Wirkungen vielfältig und nicht auf ein paar schnöde Zahlen reduzierbar. Manchmal sind die gemeinsamen Lernerfahrungen, die während eines Entwicklungsprozesses gemacht werden, wertvoller als das Endprodukt. Im besten Fall können Innovationslabore zur Keimzelle einer neuen, umsetzungs- und experimentierfreudigen Verwaltungskultur werden.

Spannungsfeld zwischen Wartung und Innovationsarbeit

Gleichwohl stehen wir auch im CityLAB Berlin immer wieder vor der Herausforderung, wie erfolgreich getestete Prototypen dauerhaft weiter betrieben werden können. Denn Software benötigt auch nach der initialen Entwicklung kontinuierliche Aufmerksamkeit und Wartung: Regelmäßige Updates müssen eingespielt, Bugs ausgebügelt oder Support-Anfragen beantworten werden. All das bindet Ressourcen, die dann nicht mehr für die eigentliche Innovationsarbeit zur Verfügung stehen.

In manchen Fällen haben wir uns trotzdem dazu entschieden, die Verstetigung selbst in die Hand zu nehmen. Einige unserer beliebtesten Anwendungen wie etwa Gieß den Kiez“ oder Parla“ sind nah an der Produktreife und werden durch unser eigenes Team gewartet und betrieben. Dank moderner Cloud-Technologien ist die Skalierung heute unkompliziert und die Anwendungen laufen auch bei höheren Zugriffszahlen stabil. Gleichzeitig sind wir bei beiden Produkten im intensiven Austausch mit der Community, implementieren und testen regelmäßig neue Features, und haben daher auch ein Eigeninteresse, den Betrieb (noch) nicht aus der Hand zu geben.

Nahtlose Einbindung von Innovation in den Regelbetrieb

Bei genuinen Verwaltungsanwendungen, den sogenannten Fachverfahren, ist die Lage komplizierter, da hier zumeist die Anforderung besteht, sie in verwaltungseigene Infrastrukturen zu überführen, bevor sie im Regelbetrieb genutzt werden können. Diese Infrastrukturen wiederum sind oft wenig flexibel, wenn es um die Integration neuer Technologien geht. Stattdessen gelten eine Vielzahl strenger Auflagen, die von Gestaltung über IT-Sicherheit bis zu umfassenden Dokumentationspflichten reichen. Manche dieser Auflagen sind sicherlich nachvollziehbar, andere wirken hingegen wie die technische Fortschreibung des berüchtigten „Das haben wir schon immer so gemacht.“

In der Konsequenz müssen innovative Prototyen oft auf Normalmaß „zurechtgestutzt“ werden, bevor sie in der Verwaltung genutzt werden können. Das ist einerseits bedauerlich, andererseits aber eben ein Preis, den wir für mehr Breitenwirkung gerne zu zahlen bereit sind. Wichtig finde ich, dass dieser Prozess keine Einbahnstraße ist, sondern dass wir die Erkenntnisse aus der mitunter mühsamen Verstetigung nutzen, um die IT-Infrastrukturen der Verwaltung progressiv weiter zu denken.

Nachdem sich in den vergangenen Jahren viele Innovationslabore der Aufgabe angenommen haben, Ideen für die digitale Verwaltung der Zukunft zu entwickeln, rückt nun immer deutlicher die Ebene der Implementierung in den Blick. Während bei der Produktentwicklung Themen wie Agilität und Nutzerzentrierung im Fokus stehen, erfordert die Implementierung eine systemische Perspektive: Wie kann eine umfassende „Produktionsstraße“ aussehen, die eine möglichst nahtlose Integration von Innovation in den Regelbetrieb ermöglicht? Antworten auf diese Frage werden wir nur finden, wenn beide Seiten – Innovations-Teams und „klassische“ Verwaltungs-IT – sich aufeinander zu bewegen und wir uns bewusst machen, dass wir am Ende dasselbe Ziel verfolgen: nämlich Bürgerinnen und Bürgern die bestmöglichen digitalen Angebote zu machen.

Der promovierte Kultur- und Medienwissenschaftler Benjamin Seibel leitet das City Lab Berlin. Das 2019 gegründete Stadtlabor wird von der Berliner Senatskanzlei finanziert und der Technologiestiftung Berlin betrieben. Im City Lab arbeiten Teams aus der öffentlichen Verwaltung gemeinsam mit der Stadtgesellschaft und der Forschung an der Stadt der Zukunft.

Bisher von ihm in dieser Rubrik erschienen: „Irgendwas mit Digitalisierung?“, „Mein Besuch der Smart City Expo“, „Mut zu Risiko und gesundem Menschenverstand“, „Im Workshop-Hamsterrad“, „Wenn Labore erwachsen werden“, „Schriftliche Anfragen sind nur für analoge Verwaltungen ein Problem“, „Bürgeramt der Zukunft: Mehr als digital“, „Mit Open Data Berliner Weihnachtsmärkte finden“, „Conny hat gekündigt“, „Eine Strategie erwacht zum Leben“ und „Verwaltungsdigitalisierung – ein bürokratischer Albtraum“, „Open Source hat langsam Oberwasser“ sowie „Ein Release ist nicht der Abschluss, sondern erst der Anfang“.

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