Nachdem ich mir hier zuletzt meinen Frust über unsere ausufernde Bürokratie von der Seele schreiben durfte, habe ich diesmal nur gute Nachrichten im Gepäck: Ich war nämlich, wie viele von Ihnen wahrscheinlich auch, auf der „Smart Country Convention“ und konnte dort feststellen, dass eines meiner persönlichen Herzensthemen in diesem Jahr in aller Munde war: Open-Source-Software für die öffentliche Verwaltung.
Nun ist die grundsätzliche Debatte um „Public Money, Public Code“ natürlich alles andere als neu. Ich hatte aber doch den Eindruck, dass noch einmal einiges an Bewegung in das Thema gekommen ist und wir langsam aber sicher einen kritischen Punkt erreichen, an dem Open Source nicht länger ein Nischendasein fristet, sondern zu einem echten Standard der Verwaltungsdigitalisierung werden kann.
Das lässt sich an verschiedenen Punkten festmachen:
Erstens sehen wir – endlich! – eine zunehmende Institutionalisierung, sowohl auf Ebene der Länder als auch im Bund. Während wir an unserem Berliner Gemeinschaftsstand auf der SCCON die Eröffnung des Berliner Open Source Kompetenzzentrums feierten, präsentierte sich nur einige Meter weiter das vom BMI initiierte Zentrum für digitale Souveränität (Zendis), das zukünftig als zentrale Anlaufstelle und Impulsgeber für Open-Source-Software in der Bundesverwaltung fungieren wird. Über den Sovereign Tech Fund investiert die Bundesregierung zudem schon seit letztem Jahr in die Pflege und Entwicklung ausgewählter Open Source-Komponenten.
Zweitens gibt es immer mehr Beispiele für gute Open Source-Produkte, die speziell für den Einsatz in der Verwaltung entwickelt wurden. Auf der Messe konnte ich etwa eine nahezu fertige Version von „Open Desk“ ausprobieren, dem „souveränen Arbeitsplatz“ für Verwaltungsbeschäftigte, der unter Federführung des BMI entwickelt wurde. Statt das Rad unnötig neu zu erfinden, werden hier verschiedene bewährte Open-Source-Lösungen kombiniert. Neben einem Office-Paket umfasst die Open-Desk-Suite zahlreiche weitere Kollaborationstools (Filesharing, Projektmanagement, Videokonferenzen, Whiteboards, Chat etc.) und all das – hört, hört – in einem intuitiven und übersichtlichen Browser-Interface.
Der Quellcode von Open Desk findet sich übrigens auf der verwaltungseigenen Github-Alternative „Open Code“, die sich, trotz manch skeptischer Stimmen im Vorfeld, inzwischen einer immer größeren Beliebtheit erfreut. Zwar mangelt es der Plattform hier und da noch an Übersicht, aber prinzipiell wird hier ein lange währendes Problem adressiert, nämlich dass der Einsatz von Open Source in der Verwaltung nur dann Mehrwerte und Synergien entfalten kann, wenn der Code auch tatsächlich auffindbar ist. Inzwischen scheinen immer mehr Behörden zu verstehen, dass ein transparenter Umgang mit der eigenen IT-Infrastruktur weit mehr Vor- als Nachteile bringt, so ungewohnt ein solches Arbeiten „im Offenen“ auch zunächst wirken mag.
Digitale Souveränität gibt es nicht zum Nulltarif
Zu guter Letzt scheinen diese erfreulichen Entwicklungen auch bei vielen Dienstleistern einen Bewusstseinswandel auszulösen. So war auf der Messe auffällig, dass immer mehr Beratungs- und IT-Unternehmen inzwischen Open-Source-Angebote für Verwaltungen im Portfolio haben. Wurde früher in der Regel versucht, Behörden an eigene, proprietäre IT-Ökosysteme zu binden, so erarbeiten sich nun jene Player einen Wettbewerbsvorteil, die das wachsende Bedürfnis nach Offenheit und Interoperabilität bedienen können.
All diese hier beschriebenen Entwicklungen verstärken sich gegenseitig und tragen dazu bei, die Attraktivität von Open-Source-Software für die Verwaltung insgesamt zu steigern. Für uns als öffentliches Innovationslabor, aber auch für eine neue Generation von Open-Source-freundlichen IT-Dienstleistern und Govtech-Start-ups, liegt darin eine große Chance. Je größer das Open Source-Ökosystem im öffentlichen Sektor wird, desto größer werden auch die Möglichkeiten für übergreifende Zusammenarbeit. Und desto leichter wird es, Lösungen, die an anderer Stelle bereits funktionieren, auszuprobieren, zu adaptieren und gemeinsam weiterzuentwickeln.
Gleichzeitig gilt aber auch weiterhin: Digitale Souveränität gibt es nicht zum Nulltarif. Wer sich mit Hilfe von Open Source aus alten Abhängigkeiten lösen möchte, muss im Gegenzug mehr Verantwortung für die eigene IT-Infrastruktur übernehmen. Und offene Ökosysteme und Communities leben davon, dass nicht nur viele sich an Ihnen bedienen können, sondern umgekehrt auch viele etwas beisteuern. Behörden, die wirklich von einer Open-Source-Kultur profitieren möchten, sollten auch bereit sein, in den dafür nötigen Kompetenzaufbau zu investieren, ihn als Regelaufgabe begreifen und dauerhaft mit Ressourcen zu hinterlegen. Es sind Investitionen, die sich auszahlen werden.
Der promovierte Kultur- und Medienwissenschaftler Benjamin Seibel leitet das City Lab Berlin. Das 2019 gegründete Stadtlabor wird von der Berliner Senatskanzlei finanziert und der Technologiestiftung Berlin betrieben. Im City Lab arbeiten Teams aus der öffentlichen Verwaltung gemeinsam mit der Stadtgesellschaft und der Forschung an der Stadt der Zukunft.
Bisher von ihm in dieser Rubrik erschienen: „Irgendwas mit Digitalisierung?“, „Mein Besuch der Smart City Expo“, „Mut zu Risiko und gesundem Menschenverstand“, „Im Workshop-Hamsterrad“, „Wenn Labore erwachsen werden“, „Schriftliche Anfragen sind nur für analoge Verwaltungen ein Problem“, „Bürgeramt der Zukunft: Mehr als digital“, „Mit Open Data Berliner Weihnachtsmärkte finden“, „Conny hat gekündigt“, „Eine Strategie erwacht zum Leben“ und „Verwaltungsdigitalisierung – ein bürokratischer Albtraum“.