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Smart City

Werkstattbericht Eine Strategie erwacht zum Leben

Benjamin Seibel berichtet aus dem Alltag des Berliners Stadtlabors.
Benjamin Seibel berichtet aus dem Alltag des Berliners Stadtlabors. Foto: Privat

Von der Digitalstrategie zur Umsetzung – das verläuft nicht immer geradlinig, weiß Benjamin Seibel aus dem Berliner City Lab, der kürzlich gemeinsam mit seinen Kolleg:innen die Strategie „Gemeinsam Digital: Berlin“ präsentierte. Er erklärt, warum Verwaltungen „lernende Strategien“ und den Mut zur Wissenslücke brauchen.

von Benjamin Seibel

veröffentlicht am 30.05.2023

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Jede Menge Aufbruchstimmung lag in der Luft bei unserem Auftakttreffen zum Start der Umsetzungsphase von „Gemeinsam Digital: Berlin“. Rund 60 Umsetzer:innen waren der Einladung in die Technologiestiftung gefolgt, um sich über die Realisierung der neuen Berliner Smart-City-Strategie auszutauschen. Nach rund zwei Jahren Strategiearbeit war es für uns ein besonderer Moment: Aus einem Papier wird Wirklichkeit!

Was bisher passiert ist 

Ende letzten Jahres wurde die Strategie „Gemeinsam Digital: Berlin“ fertiggestellt. Wir haben den Strategieprozess der Berliner Senatskanzlei begleitet und unter anderem zahlreiche Partizipationsformate organisiert, um möglichst viele Perspektiven aus der Stadt einzubeziehen (die Dokumentation unseres Vorgehens haben wir übrigens gerade veröffentlicht – schauen Sie doch mal rein).

Darüber hinaus konnten wir auch eigene Erfahrungen unserer City-Lab-Arbeit in den Prozess einbringen. Eine Frage, die uns besonders interessierte, war: Wie müsste eine Strategie aussehen, die konsequent von der Umsetzung her gedacht ist? Die also der Tatsache Rechnung trägt, dass die Realisierung von Digitalprojekten in der Regel voller Überraschungen und Wendungen steckt, weshalb Agilität und Lernfähigkeit viel wichtiger werden als der Versuch einer langfristigen Planung?

Strategien müssen flexibel sein und mit der Zeit gehen

Das Problem mit den meisten Digitalstrategien ist ja, dass sie gerne im Duktus der Allwissenheit festschreiben, was in den nächsten fünf Jahren alles getan werden soll, um die Digitalisierung voranzubringen. Das klingt dann zwar gut, aber in der Praxis zeigt sich meist nach kurzer Zeit, dass es nicht so klappt, wie gedacht. Es ist im Digitalen schließlich absolut üblich, dass eine Technologie, die heute als State of the Art gilt, schon nächstes Jahr veraltet ist. Würden Sie sich unter diesen Bedingungen von einer fünf Jahre alten Digitalstrategie vorschreiben lassen, was heute zu tun ist? Eben.

Hinzu kommt das, was der Verwaltungsforscher Wolfgang Drechsler einen „Policy Bias“ nennt – während man einer Strategie politisch oft eine hohe Bedeutung beimisst, wird die Umsetzung vernachlässigt, nach unten delegiert, oder gleich ganz an externe Dienstleister ausgelagert. Dabei ist es eigentlich kein Geheimnis, dass wir oft erst im Laufe der Umsetzung lernen, wie sich ein Problem richtig verstehen und lösen lässt.

Als Konsequenz haben wir mit „Gemeinsam Digital: Berlin“ versucht, das Verhältnis von Strategie und Umsetzung anders zu denken. Statt ausschließlich darüber zu diskutieren, wer genau jetzt was tun muss, interessierten wir uns eher dafür, wie Digitalprojekte erfolgreich umgesetzt werden können – und wie die dabei gewonnenen Erkenntnisse in die Strategie zurückfließen können.

„Gemeinsam Digital: Berlin“ ist deshalb in doppelter Hinsicht als „lernende Strategie“ konzipiert. Zum einen, indem wir den Umsetzungsprozess als kollektive Lernerfahrung für alle Beteiligten begreifen und gestalten. Zum anderen, in dem die Strategie selbst jährlich mit den neu gemachten Erkenntnissen abgeglichen und überarbeitet wird.

Warum es den Mut zur Lücke und offene Kommunikation braucht

Konkret realisieren wir dieses Modell der „lernenden Strategie“ in drei Schritten: Erstens werden die Maßnahmen der Strategie in einem einheitlichen Prozessmodell umgesetzt, das ein offenes und agiles Vorgehen fördert. Dazu gehören etwa eine fundierte Vorbereitung, um gängige Fehler beim Aufsetzen des Projekts zu vermeiden, aber auch strukturierte Explorations- und Erprobungs-Phasen, die Raum für ein iteratives Lernen und Ausprobieren lassen. Weil ein solches Vorgehen insbesondere für die öffentliche Verwaltung ungewohnt ist, haben wir zahlreiche dazu passende Arbeitsmaterialien entwickelt und ein Support-Team aufgebaut, das bei der Umsetzung methodisch unterstützt.

Zweitens legen wir großen Wert auf Transparenz und gute Dokumentation. Wir sind davon überzeugt, dass Projekte, die „im Offenen“ entwickelt werden, schlicht zu besseren Ergebnissen kommen als solche, die hinter verschlossenen Türen entstehen. Gründliche Dokumentation bedeutet einen Mehraufwand, der sich aber schnell bezahlt macht – wer zum Beispiel eigene Wissenslücken nicht verheimlicht, sondern transparent macht, wird viel eher passende Hilfe finden. Auch ermöglicht eine offene Kommunikation es den unterschiedlichen Teams, voneinander zu lernen und einmal gemachte Fehler nicht zu wiederholen. Ein Erkenntnisfortschritt in einem Projekt wird zum Fortschritt für alle Projekte.

Drittens wird das gemeinsame Lernen aktiv durch verschiedene Austauschformate gefördert: bei Praxis-Meetups, Netzwerktreffen oder einer für den Herbst geplanten Jahreskonferenz. Hier können wir gemeinsam das Gelernte vertiefen, nicht als Frontalunterricht, sondern im Peer-Learning-Verfahren: Wie seid ihr bei der Exploration vorgegangen? Wie habt ihr eure Beteiligungsprozesse organisiert? Wie funktionierte euer User Testing? Wer hat Erfahrungen mit der Open Source-Lizensierung? Der Austausch über solche praktischen Fragen ist nicht nur informativ, sondern auch ungemein motivierend.

Das nächste dieser Umsetzungstreffen findet am 29. Juni im Rahmen unseres schon beinah legendären City Lab-Sommerfestes statt, für das ich auch in diesem Jahr schamlos werben möchte. Die Teilnahme ist wie immer kostenlos, es erwartet Sie ein hochkarätiges Vortrags- und Workshopprogramm rund um die digitale Transformation Berlins. Hier geht’s zur Anmeldung!

Der promovierte Kultur- und Medienwissenschaftler Benjamin Seibel leitet das City Lab Berlin. Das 2019 gegründete Stadtlabor wird von der Berliner Senatskanzlei finanziert und der Technologiestiftung Berlin betrieben. Im City Lab arbeiten Teams aus der öffentlichen Verwaltung gemeinsam mit der Stadtgesellschaft und der Forschung an der Stadt der Zukunft.

Bisher von ihm in dieser Rubrik erschienen: „Irgendwas mit Digitalisierung?“, „Mein Besuch der Smart City Expo“, „Mut zu Risiko und gesundem Menschenverstand“, „Im Workshop-Hamsterrad“, „Wenn Labore erwachsen werden“, „Schriftliche Anfragen sind nur für analoge Verwaltungen ein Problem“, „Bürgeramt der Zukunft: Mehr als digital“„Mit Open Data Berliner Weihnachtsmärkte finden“ und „Conny hat gekündigt“.

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