Auch in diesem Sommer ist ein Teil des Citylab-Teams wieder auf Berliner Straßen unterwegs, um mit unserem mobilen Kiezlabor innovative Beteiligungsformate in die verschiedenen Bezirke zu bringen. Weil das Interesse an diesem Angebot immer größer wird und mich viele Anfragen dazu erreichen, habe ich das Team gebeten, ein paar Eindrücke aus der laufenden Saison zu teilen. Im Folgenden schreiben deshalb heute die Projektleiterin Anne Kruse und ihr Kollege Yannick Müller. Bühne frei!
Sommerloch? Gibt es bei uns nicht mehr, seit wir im letzten Jahr einen alten Schiffscontainer gekauft und zu einem energieautarken, mobilen Tiny House umgebaut haben. Egal, ob als Bühne, Workshopraum oder schattiger Netzwerkort – mit dem Kiezlabor bringen wir den prototypischen Ansatz des Citylab zu den Menschen vor Ort.
Im Rahmen der Smart City-Strategie „Gemeinsam Digital: Berlin“ war die Idee entstanden, eine mobile Variante unseres Innovationslabors zu schaffen, die durch Berlins Kieze wandert, Themen vor Ort aufgreift und die digitale Transformation für die Berliner erlebbar macht. Gesagt, getan! Das Kiezlabor ist für uns eine tolle Möglichkeit, um mit unterschiedlichen Inhalten und Formaten zu experimentieren. Im Programm stehen Mitmach-Workshops für Jung und Alt, Kiezgespräche mit lokalen Initiativen oder Politiker:innen und manchmal sogar terminfreie Bürgeramtsleistungen. Dabei ist uns wichtig, dass wir uns nicht mit eigenen Themen aufdrängen, sondern die Formate an die jeweiligen Bedürfnisse vor Ort anpassen. Je nach Standort haben wir schon mit Bezirksämtern, Wohnungsbaugesellschaften, lokalen Initiativen, Partizipationsagenturen, Hochschulen und Vereinen zusammengearbeitet. Auf Tour durch die Berliner Kieze lernen wir stetig dazu und sammeln Erkenntnisse:
1. Auch im Stadtraum braucht es prototypische Ansätze
Der Begriff „Prototyp“ wird oft im Zusammenhang mit digitaler Produktentwicklung verwendet. Seit gut einem Jahr testen wir diesen Ansatz auch in der Stadtentwicklung. Mit dem Kiezlabor schaffen wir flexible und kurzfristige Interventionen im öffentlichen Raum, um innovative Ideen frühzeitig zu testen und weiterzuentwickeln.
Aktuell sind viele Prozesse in der Stadtentwicklung langwierig. Beteiligungsprozesse starten oft Jahre im Voraus, bevor Veränderungen sichtbar sind. Ideen der Bewohner:innen werden auf Online-Plattformen oder bei Versammlungen diskutiert, die nicht für alle Menschen attraktiv sind. Bei der konkreten Arbeit vor Ort erreicht man hingegen nicht nur mehr betroffene Personen, sondern lernt auch sehr viel über deren alltägliche Bedürfnisse.
Im Idealfall können Veränderungen frühzeitig im Kleinen getestet werden. Mit dem Kiezlabor beleben wir kurzfristig den öffentlichen Raum, bringen Stadtmöbel und kleine Ausstellungen mit und ermöglichen die direkte Beteiligung vor Ort. Unser KI-Tool „Stadtvisionen“ hilft, die Ideen der Anwohner:innen zu visualisieren. Eng angebunden an Bezirke und aktive Beteiligungsprozesse, unterstützen wir unter anderem bei der Einrichtung von Kiezblocks, der Umgestaltung von Stadtplätzen oder der Plattform „Berlin Gärtnert“.
Das Kiezlabor zeigt, wie prototypische Ansätze in der Stadtentwicklung funktionieren können: Das partizipative Erproben und Erleben von Veränderungen vor Ort ermöglicht neue Erkenntnisse, fördert den Gemeinsinn und macht nicht zuletzt jede Menge Spaß.
2. Durch breite Beteiligung entstehen vielfältigere Zukunftsvisionen
Unser mobiles Labor erreicht Menschen dort, wo sie sich in ihrem Alltag ohnehin bewegen und wo sie einen persönlichen Bezug zu den Themen und Problemen vor Ort haben. Durch den aufsuchenden Charakter und niedrigschwellige Möglichkeiten zur Teilhabe können abstrakte Themen leichter zugänglich gemacht werden. So erreichen wir auch Menschen, die sonst wenig Zeit oder Gelegenheit haben, sich bei der Gestaltung der Stadt einzubringen.
Egal, ob das Mitschreiben örtlicher Geschichte, Antragspartys für Balkonkraftwerke oder Beteiligung an Planungsvorhaben – bei uns können komplexe Sachverhalte lebensnah diskutiert werden. Durch eine Mischung aus digitalen und vor Ort erlebbaren Angeboten entstehen bunte Programme, die zum Mitmachen und Mitdenken anregen. Ebenso bunt ist auch das Publikum des Kiezlabors: Indem wir gezielt unterschiedliche Gruppen adressieren und miteinander ins Gespräch bringen, machen wir die Vielfalt der Berliner Kieze sichtbar und suchen nach Lösungen, die für möglichst viele Menschen funktionieren.
3. Das Kiezlabor lädt zur Vernetzung von Zivilgesellschaft und Verwaltung ein
Ein weiteres Anliegen des Kiezlabors ist es, den Austausch zwischen öffentlicher Verwaltung und der Stadtgesellschaft zu fördern. In entspannter Atmosphäre kann sich hier etwa die Community unseres Citylab-Projekts „Gieß den Kiez“ mit Beschäftigten der Straßen- und Grünflächenämter und weiteren Initiativen austauschen. Gemeinsam diskutieren sie über die Zukunft des Stadtgrüns und entwickeln neue Ideen, wie Verwaltung und Zivilgesellschaft besser kooperieren können.
Ein regelmäßiges Highlight des Kiezlabors sind die Kooperationen mit den Ausbildungsbürgerämtern der Bezirke. Wenn das mobile Bürgeramt vor Ort Dienstleistungen ohne Termin vergibt, freuen sich nicht nur die vielen Bürger:innen über rechtzeitige Reisepässe und Ummeldungen, sondern auch die Mitarbeiter über die Möglichkeit, bürgernah in einer entspannten Umgebung zu arbeiten.
Unsere Arbeit im Kiezlabor zeigt, dass Innovation oft dort entsteht, wo Menschen aus unterschiedlichen Bereichen zusammenkommenund ihre Perspektiven teilen. Diese Art der Vernetzung und des Austauschs ist essenziell, um die Herausforderungen der urbanen Entwicklung erfolgreich zu meistern. Dabei geht es nicht nur um kurzfristige Projekte, sondern um das langfristige Ziel, eine neue Kultur der Zusammenarbeit zu etablieren, die über das Kiezlabor hinauswirkt.
Im Kiezlabor leben wir diese Kultur der Offenheit und Zusammenarbeit täglich. Wir sind stolz darauf, ein Ort zu sein, an dem Ideen gedeihen, Verbindungen geknüpft und nachhaltige Lösungen gefunden werden. Unser erstes Jahr hat gezeigt, wie viel Potenzial in der Vernetzung von Verwaltung und Zivilgesellschaft steckt – und wir freuen uns darauf, dieses Potenzial auch in den kommenden Jahren weiter auszuschöpfen und auszubauen. Nun geht es aber erst einmal mit dem nächsten Standort weiter: Ab Montag, 5. August in Berlin-Wilmersdorf, mit einem bunten Programm unter dem Motto „Grün und gesund – Gemeinsam bewegen wir den Kiez!“.
Der promovierte Kultur- und Medienwissenschaftler Benjamin Seibel leitet das City Lab Berlin. Das 2019 gegründete Stadtlabor wird von der Berliner Senatskanzlei finanziert und der Technologiestiftung Berlin betrieben. Im City Lab arbeiten Teams aus der öffentlichen Verwaltung gemeinsam mit der Stadtgesellschaft und der Forschung an der Stadt der Zukunft.
Bisher von ihm in dieser Rubrik erschienen: „Vom Prototypen zur Verstetigung", „Irgendwas mit Digitalisierung?“, „Mein Besuch der Smart City Expo“, „Mut zu Risiko und gesundem Menschenverstand“, „Im Workshop-Hamsterrad“, „Wenn Labore erwachsen werden“, „Schriftliche Anfragen sind nur für analoge Verwaltungen ein Problem“, „Bürgeramt der Zukunft: Mehr als digital“, „Mit Open Data Berliner Weihnachtsmärkte finden“, „Conny hat gekündigt“, „Eine Strategie erwacht zum Leben“ und „Verwaltungsdigitalisierung – ein bürokratischer Albtraum“, „Open Source hat langsam Oberwasser“ sowie „Ein Release ist nicht der Abschluss, sondern erst der Anfang“.