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Werkstattbericht Positive Fehlerkultur – Warum Verwaltung scheitern muss

Philipp Stolz, Leiter Stabsstelle Digitalisierung, Stadt Schorndorf
Philipp Stolz, Leiter Stabsstelle Digitalisierung, Stadt Schorndorf Foto: Quelle: Privat

Damit die Verwaltungsstrukturen tatsächlich modernisiert und agiler werden, muss dort eine positive Fehlerkultur Einzug halten, findet Philipp Stolz. Der Leiter der Schorndorfer Stabsstelle Digitalisierung plädiert für einen transparenten Umgang mit gescheiterten Experimenten und das Betrachten von Fehlern als Lernchancen. Im Werkstattbericht erklärt er, warum eine solche positive Fehlerkultur einen Wertekanon voraussetzt.

von Philipp Stolz

veröffentlicht am 16.10.2024

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Die Erfahrungsberichte waren erschütternd. Anfang des Monats veröffentlichte der Tagesspiegel Background vier anonyme Erfahrungsberichte kommunaler Projektmanagerinnen und -manager von Smart-City-Initiativen beziehungsweise Digitalisierungsbeauftragter. Sie hatten im Verlaufe ihrer Tätigkeit das Engagement und die Motivation für ihren Beruf verloren und sich daraufhin von ihrer Organisation abwandten.

Die nähere Lektüre dieser Berichte ist nur zu empfehlen. Eines hatten die Einblicke gemeinsam: Zwar treiben wir verheißungsvolle Projekte voran, die eigentlichen Grundlagen für eine nachhaltige smarte Stadtentwicklung und Verwaltungsmodernisierung fehlen allerdings völlig und können nicht etabliert werden. Salopp formuliert: Das Leuchtturmgebäude steht möglicherweise, aber das Lichtsignal hat keine Stromversorgung und strahlt nicht aufs Meer.

Das ist erschütternd und bestimmt für die Menschen hinter den Berichten eine schmerzliche Erfahrung. Für uns Lesende ist es dennoch auch ein Zeichen der Hoffnung, denn die Berichte sind ein ehrliches Eingeständnis des persönlichen und institutionellen Scheiterns. Sie sind eine deutliche Benennung von Fehlern im System Verwaltung aus dem Maschinenraum heraus. Diese Stimmen müssen wir ernst nehmen. Wir müssen etwas betreiben, was zumeist schlichtweg nicht in unserer „Natur“ als Verwaltungen liegt: positive Fehlerkultur.

Agile Verwaltung muss experimentieren und Risiken eingehen

Der idealtypische Verwaltungsbeamte oder -angestellte, nach Vorstellung des Soziologen Max Weber, agiert nämlich bestenfalls fehlerlos. Er ist Agent eines Systems, welches auf Stabilität und die strikte Befolgung von Vorschriften und Regeln abzielt. Ein Fehler ist hier die Abweichung von der Norm und als solcher zu sanktionieren. Begreiflicherweise führt dies dazu, dass Fehler in solchen Organisationskulturen gerne verheimlicht und Risiken grundsätzlich gemieden werden, unabhängig davon, welches Potenzial dadurch brachliegt.

Nun leben wir aber zunehmend in einer Welt – so viel Konsens herrscht spätestens seit der COVID-19-Pandemie –, auf die wir mit unseren herkömmlichen Methoden und Arbeitsweisen nicht mehr angemessen und rechtzeitig reagieren können. Unsere Lebens- und Arbeitswelt ist schlichtweg nicht mehr stabil. Die Verwaltung muss sich dynamischer an Veränderungen und Krisen anpassen können. Agile Verwaltung ist das neue Zielbild.

Verwaltung und Staat müssen sich also grundlegend verändern. Und wer sich verändern möchte, muss experimentieren. Dinge ausprobieren. Versuche wagen. Diese Erkenntnis ist vorhanden, entsprechende Beispiele haben wir nun seit geraumer Zeit um uns oder sind darin tätig. Im Bereich Smart City treibt der Staat beispielsweise über das Programm „Modellprojekte Smart Cities“ eine überaus beachtliche Förderung von über 70 Modellprojekten voran. Aber es mangelt an einer ehrlichen und positiven Auseinandersetzung über den Impact und die Sinnhaftigkeit unserer (Leuchtturm-)Projekte.

Eine bloße Bereitschaft zu Experimenten zeichnet allein noch keine agile Verwaltung oder einen agilen Staat aus. Stattdessen müssen wir Wege finden, transparent und offen über Herausforderungen und Irrtümer im Gestaltungsprozess zu sprechen. Danach müssen wir die Ursachen für offengelegte Fehler bekämpfen und abstellen. Das ist natürlich eine Herausforderung.

Wer Veränderungen vorantreibt muss die beteiligten Akteure motivieren und den Glauben an das Gelingen des Projekts hochhalten. Ein Austritt von Personen, die den Wandel unserer Organisationen voranbringen sollen, ist somit sicherlich kein gutes Zeichen. Dennoch möchte ich an dieser Stelle einen Toast auf eben diese anonymen Gescheiterten der Staatsmodernisierung ausbringen, denn wir müssen lernen ein solches Scheitern – so schmerzhaft es für die Beteiligten auch war – zu würdigen.

Für positive Fehlerkultur braucht es einen Wertekanon

Nur so können wir als Gesellschaft lernen, Fehler nicht als persönliche Angriffe zu sehen. Weder einzelne Beamte noch Führungskräfte sollten an den Pranger gestellt werden, wenn ein Projekt nicht auf Anhieb funktioniert oder sich die erhofften positiven Effekte nicht realisieren lassen. In einer lernenden Organisation sind Fehler keine Katastrophen, sondern wertvolle Gelegenheiten zur Verbesserung. Kritik ist stets willkommen, wenngleich mit einem gesunden Respekt gegenüber dem Individuum. Das bedeutet also positive Fehlerkultur: Ein Fehler wird akzeptiert, thematisiert und beleuchtet. Der Umgang mit dem Fehler steht im Fokus, nicht der Verursacher. Lassen wir den Fehler nicht umsonst geschehen sein.

Wie schaffen wir diesen Wandel? Eine positive Fehlerkultur beginnt mit einem klaren Wertekanon: Vertrauen, Transparenz und der Wille zur Weiterentwicklung. Diesen Wertekanon muss man formulieren, die Herausforderung liegt aber darin, ihm Leben einzuhauchen. Hierfür gibt es viele Ansätze: Führungskräfte sind besonders gefordert, da sie durch den transparenten Umgang mit ihren eigenen Fehlern das Vertrauen der Mitarbeitenden stärken und Missgeschicke als Lerngelegenheiten darstellen können. Die Chatham House Rules sorgen dafür, dass Vernetzungsveranstaltungen außerhalb des eigenen Teams eben jene psychologische Sicherheit herstellen, die man sonst nur im stetigen Austausch miteinander schaffen kann.

Ein weiteres und besonders inspirierendes Beispiel hierfür sind sogenannte „Fuck Up Nights“ – Veranstaltungen, bei denen Mitarbeiter und Führungskräfte offen über gescheiterte Projekte sprechen. Hier stehen nicht die Schuldzuweisungen im Vordergrund, sondern die Erkenntnisse, die aus dem Scheitern gewonnen wurden. Vertrauen ist dabei der Schlüssel: Mitarbeiter müssen wissen, dass Fehler nicht zu Sanktionen führen, sondern zu Lernchancen. Ich freue mich daher sehr darauf, dass wir in diesem Herbst die erste Fuck Up Night unserer Verwaltung durchführen werden.

Falls die anonymen Menschen aus den Erfahrungsberichten diese Zeilen lesen sollten: Ihr seid hiermit herzlich eingeladen! Lasst euch feiern!

Philipp Stolz ist Leiter der Stabsstelle Digitalisierung in Schorndorf (Baden-Württemberg). Zuletzt von ihm erschienen: Das EfA-Prinzip: Licht und Schatten.

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