Stellen Sie sich vor, eine Stadt wie Leipzig verfügt über „Digitale Zwillinge“: hochkomplexe, datengetriebene Abbilder der Stadt, die in Echtzeit zeigen, wie Transformationsprozesse wie die Energiewende oder die Verkehrswende voranschreiten. Plötzlich wird sichtbar, wie viele neue Solar- und Windkraftanlagen wirklich installiert werden, wie sich der Energieverbrauch über Stadtteile hinweg entwickelt und dass sich schon viele Unternehmen in der Stadt auf den Weg zur Klimaneutralität gemacht haben. Aber stattdessen dominieren in der aktuellen politischen Kommunikation Narrative, die auf Glauben, Vermuten, Behaupten basieren.
Doch was passiert, wenn die Daten zu aktuellen Themen öffentlich zugänglich sind und durch Kommunen einfach verständlich aufbereitet werden? Liegt darin das Potenzial, die Art und Weise, wie Politik in der Gesellschaft verstanden, diskutiert und entschieden wird, zu verändern?
Daten als Werkzeug für Wahrheiten
Wenn alternative Fakten, die an fundierten Erkenntnissen rütteln, den politischen Diskurs prägen, könnten Digitale Zwillinge zu einem objektiven Prüfwerkzeug werden. Eine so aufgeklärte Stadtverwaltung kann dann dank einer hochentwickelten Datenbasis belegen, dass die Energiewende nicht nur stattfindet, sondern messbare Erfolge zeigt. Damit wird es zunehmend schwieriger, diese Fortschritte zu leugnen. Behauptungen wie „Die Klimapolitik ruiniert die Wirtschaft“ oder „Die Energiewende funktioniert nicht“ ließen sich durch Zahlen überprüfen.
Von der Wissenschaft zu den Kommunen
Modellierungen und Datenmodelle zum Klimawandel und zur Energiewende kamen bisher vor allem aus der Wissenschaft. Es sind (seit Jahrzehnten) Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die forschen, Faktenlage schaffen und darauf basierende Entscheidungen einfordern. Doch mit der Entwicklung datenkluger Kommunen erweitert sich der Kreis der derjenigen, die die Grundlage für faktenbasierte Entscheidungen liefern. Es entsteht eine zusätzliche Ebene der Transparenz für eine sachliche, evidenzbasierte Debatte.
Stadtverwaltung als Brücke zur Bevölkerung
Eine zusätzliche Chance liegt in der Nähe der Stadtverwaltungen zu den Menschen. Anders als Forschende, die oft eine abstrakte Perspektive einnehmen, sind Kommunen direkt mit den Herausforderungen und Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger konfrontiert. Städte wie Leipzig haben nicht nur digitale Infrastruktur aufgebaut, sondern verfügen auch über langjährige Erfahrungen in der Bürgerbeteiligung und der Einbindung in Entscheidungsprozesse. Dies bedeutet, dass nicht nur die Verwaltung, sondern auch die Menschen, leichter Zugang zu den Daten und deren Interpretation bekommen können.
Datenwahrheit kann in die tägliche Realität der Menschen übersetzt werden. Nicht-faktenbasierte Narrative im politischen Diskurs können dann auch durch die Menschen leichter hinterfragt werden.
Ein neuer politischer Druck
Die Frage, die sich stellt, ist: Wie würde sich die politische Landschaft verändern, wenn Daten eine noch zentralere Rolle spielen? Populistische Narrative, die sich bisher oft auf Emotionen, Ängste und Rückwärtsgewandtheit stützen, wären in einem datenklügeren Umfeld schwerer haltbar.
Doch mit großer Transparenz kommt auch große Verantwortung. Daten können missverstanden, bewusst selektiv präsentiert oder sogar manipuliert werden. Deshalb wird es umso wichtiger, dass Kommunen und andere Akteure nicht nur Daten erheben, sondern diese auch verständlich und glaubwürdig aufbereiten. Ein digitales Abbild der Stadt hat nur dann einen Wert, wenn die Menschen, die darin leben, Zugang zu den Erkenntnissen erhalten und diese nachvollziehen können. Vor diesem Hintergrund kann die Smart City eine starke und aktive Rolle einnehmen und gesellschaftlich relevantes Wissen nicht nur generieren, sondern dieses auch transparent und verständlich für die Menschen kommunizieren.
Von der Verunsicherung zur Klarheit
Die wachsende Fähigkeit, die Wirklichkeit in Zahlen zu gießen und komplexe Entwicklungen sichtbar zu machen, ändert die Spielregeln – für Verwaltungen, Unternehmen und die Politik. Wir schaffen damit die Grundlage, Transformation nicht länger als Verunsicherung, sondern den Fortschritt als gestaltbar zu erleben.
Dieser Text ist im Autorenteam mit Mirko Mühlpfort, Teamleiter im Referat Digitale Stadt Leipzig entstanden. Beate Ginzel leitet das Referat seit dem Jahr 2019. Zuvor war sie Abteilungsleiterin im Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbau. Ginzel war zehn Jahre wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Stadtentwicklung und Bauwirtschaft an der Universität Leipzig und als Architektin in Deutschland, den Niederlanden und Tansania tätig. Zuletzt ist von Ginzel in dieser Rubrik erschienen: „Wie alle Kommunen von Open Source profitieren können“.