Maschinenbau, Gesundheitswesen, Automobilindustrie – wer an die Wirtschaft in Deutschland denkt, denkt an einzelne, weitgehend voneinander unabhängige Industriezweige. Doch: Die Wirtschaft ordnet sich neu – in Business-Ökosystemen. Schon im Jahr 2030 wird es beispielsweise nicht mehr nur die klassische Automobilindustrie geben, sondern ein Business-Ökosystem Mobilität, in dem Automobilhersteller, Technologie-, Infrastruktur- und Dienstleistungsunternehmen zusammenwirken.
Die Business-Ökosysteme der nahen Zukunft werden um die wichtigsten menschlichen Bedürfnisse herum organisiert sein und beispielsweise Mobilität in den Blick nehmen statt das konkrete Verkehrsmittel „Automobil“. Das zwingt Entscheiderinnen und Entscheider zum Umdenken: Um erfolgreich zu bleiben, sollten sie sich für neue, branchenübergreifende Kooperationen öffnen. Das ist ein radikaler Paradigmenwechsel, der aber notwendig ist, damit die Unternehmen relevant bleiben.
Wie sich verschiedene Business-Ökosysteme bis zum Jahr 2030 entwickeln werden, beleuchtet die aktuelle Studie „Global Business Ecosystems 2030: Market sizes and potentials“ von PwC Deutschland erstmals mit konkreten Zahlen. Für Mobilität zum Beispiel betrug im Jahr 2019 das Marktvolumen in Europa 2,4 Billionen US-Dollar. Das sind 12,1 Prozent des weltweiten Marktvolumens und damit das viertgrößte Ökosystem nach
● Leben (Immobilien, Bauwirtschaft, Elektrogeräte etc. Marktanteil 19,7 Prozent),
● Gesundheit (Krankenhäuser, Apotheken, Pharmaunternehmen, Krankenkassen etc. mit 17,2 Prozent)
● Konsum (Nahrung, Kleidung, Luxusgüter und Artikel des täglichen Bedarfs mit 16,6 Prozent)
Weshalb Business-Ökosysteme entstehen? Dafür gibt es drei wesentliche Treiber: digitale Plattformen, die Verschmelzung von Produkten und Services und die Notwendigkeit zum Austausch von Daten.
Digitale Plattformen dominieren viele Branchen, denken wir etwa an den E-Commerce und die beherrschende Stellung von Amazon. Sie ermöglichen und vereinfachen vor allem die Zusammenarbeit innerhalb der Ökosysteme. Diese entstehen auch, weil sich Kundenbedürfnisse immer seltener mit einem einzelnen Produkt oder Service befriedigen lassen.
Die Menschen wollen zum Beispiel nicht mehr an ein bestimmtes Verkehrsmittel gebunden sein, sondern nahtlose Mobilitätsangebote nutzen, um am schnellsten, günstigsten, effizientesten und bequemsten von A nach B zu gelangen. Dazu müssen öffentliche und private Angebote zusammenspielen – inklusive der Infrastruktur mit Straßen, Schienen, E-Ladesäulen, mobilem Internet und Bezahlmöglichkeiten.
Und schließlich sind Unternehmen auf Daten anderer Unternehmen angewiesen, um die Kundenbedürfnisse detaillierter zu ermitteln und besser zu bedienen – keines hat allein die erforderlichen Fähigkeiten und Ressourcen dazu. Mit anderen Worten: Business-Ökosysteme lösen die traditionellen Industriesektoren auch deshalb ab, weil Unternehmen relevante und kundenspezifische Daten austauschen müssen, um erfolgreich zu bleiben.
Beispiel Mobility-Plattform: Partnerschaftlich zu mehr Kundennähe
Ein Business-Ökosystem definiert sich über drei unterschiedliche Rollen, die Unternehmen darin besetzen können: Orchestrierer, Realisierer und Enabler. Orchestrierer bieten Konsumentinnen und Konsumenten Produkte und Dienstleistungen gebündelt über (digitale) B2C-Plattformen an, zum Beispiel Supermärkte oder Smart-Home-Systeme. Realisierer sind die Unternehmen, die Produkte und Dienstleistungen herstellen bzw. anbieten – etwa ein Automobilhersteller oder ein Hotel. Enabler unterstützen Orchestrierer und Realisierer – mit Produkten, Dienstleistungen oder (digitalen) B2B-Plattformen. Enabler sind zum Beispiel Unternehmensberatungen oder Cloud-Anbieter.
Ein Beispiel: Ein Joint Venture aus Automobilherstellern, Zulieferern, Finanzdienstleistern und dem öffentlichen Nahverkehr erschafft ein gemeinsames Mobility-as-a-Service-Angebot. Deren Mitglieder wären nicht mehr Realisierer bzw. Enabler, sondern Orchestrierer – und damit deutlich näher an die Endkonsumenten herangerückt. Nutzerinnen und Nutzern stünden dank des gebündelten Angebots mehr Transportmöglichkeiten zur Verfügung, wodurch sie flexibler reisen und bezahlen könnten. Ähnliche Beispiele finden sich in allen Sektoren und Industrien, wie die aktuelle PwC-Studie zeigt.
Um ihre Rolle in einem Business-Ökosystem zu finden, sollten Verantwortliche in Unternehmen:
1. Den Status quo ermitteln
Entscheiderinnen und Entscheider müssen vor allem anfangen, in Ökosystemen zu denken. Die Leitfrage lautet: Was können wir zu einem Ökosystem beitragen? Dazu gilt es, die eigenen Fähigkeiten, das Produkt- bzw. Serviceportfolio und die Daten-Assets präzise zu ermitteln.
2. Ihre Wunschposition festlegen
Welche Rolle möchte ein Unternehmen künftig in einem Business-Ökosystem spielen? Entweder seine Ausrichtung bleibt grundsätzlich bestehen und die Wettbewerbsposition wird vorrangig gesichert. Oder es findet eine völlig neue Rolle und bedient ganz andere Grundbedürfnisse als zuvor – oder beides.
3. Die richtigen Partner für die Umsetzung finden
Um die richtigen Partner für die Umsetzung der Ökosystem-Strategie zu finden, ist es wichtig, die traditionellen Sektorengrenzen zu überwinden und dabei neue Partnerschaften mit Unternehmen außerhalb der eigenen Industrie zu erwägen. Die richtigen Partner steuern die Fähigkeiten bei, die Unternehmen brauchen, um die gewünschte Position im Ökosystem zu erreichen. Die komplementären Ressourcen verschiedener Partner zu identifizieren und zu verknüpfen macht hier den Unterschied.
Business-Ökosysteme werden unausweichlich schon bald die althergebrachten Sektorengrenzen ergänzen oder gar substituieren. Ist ein Ökosystem einmal etabliert, sind einzelne Unternehmen dagegen in aller Regel chancenlos. Für die allermeisten Unternehmen gibt es daher nur eine Entscheidung: Teil des Ökosystems werden – in der Rolle, die am besten zu den eigenen Fähigkeiten passt.