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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Die Politik muss sich aus der „Geiselhaft“ der Autolobby befreien

Jörg Heynkes, Unternehmer, Vizepräsident der Bergischen IHK sowie Vizechef des Landesverbands der Erneuerbaren Energien in NRW
Jörg Heynkes, Unternehmer, Vizepräsident der Bergischen IHK sowie Vizechef des Landesverbands der Erneuerbaren Energien in NRW Foto: Privat

Falsche Industrie-Romantik bringt keine Zukunft, ist Jörg Heynkes überzeugt. Statt auf eine neue Kaufprämie zu setzen, sollten der Autobranche endlich klare Bedingungen gestellt werden, fordert der Unternehmer und Vizepräsident der Bergischen IHK – denn sonst sei der „Patient Autoindustrie“ schneller tot als der neue Leasingvertrag abgelaufen ist.

von Jörg Heynkes

veröffentlicht am 18.05.2020

aktualisiert am 20.05.2020

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Beim Gipfel im Kanzleramt ließen die Autobosse wieder einmal die Motoren röhren „Konjunkturbelebende Maßnahmen“ müssen her. „Kaufprämien“ sollen wegen des Umsatzeinbruchs zum Autokauf animieren. Ganz wie früher? Die Lobby von 800.000 direkten und bis zu einer Million indirekten Arbeitsplätzen konnte sich bislang immer routiniert durchsetzen.

Und wer – wie kürzlich der Auto-Chef der „Bild“-Zeitung – noch mehr aufs Gas treten will, droht mit bis zu zehn Millionen Menschen, die irgendwie und irgendwo in Deutschland vom Auto abhängig seien. Zehn Millionen von 82 Millionen? Da wirkt finanzielle Hilfe durch Abwrackprämien alternativlos.

Falsche Industrie-Romantik macht noch keine Zukunft

Es ist höchste Zeit, sich aus der Geiselhaft der Autolobby zu befreien, denn es ist ökonomisch wie ökologisch klug, der Branche klare Bedingungen zu stellen und sie dann hierbei zu unterstützen. Diese Härte hilft sogar den mittelbar Beschäftigten, ob man nun mit 800.000 oder zehn Millionen rechnet.

Ein bisschen ist es beim Auto wie bei der Kohle: Falsche Industrie-Romantik mit Rücksicht auf deutsche Wirtschaftsgeschichte macht noch keine Zukunft. Sagt den Menschen die Wahrheit! Die Politik hatte sich das bei den Steinkohle-Kumpels viel zu lange nicht getraut. Und traut es sich heute bei der Braunkohle wieder nicht.

Man muss nicht ritualisiert Elon Musk bemühen, um wissen zu können, dass sich unser wichtigster Industriezweig in seiner Größe mindestens halbieren wird, weil das Auto der Zukunft ein Smartphone auf Rädern mit Elektroantrieb sein wird – und kein Verbrenner mehr, der in öligen Autowerkstätten bestenfalls ein Service-Update bekommt.

Neue Autos sind nicht per se besser für die Umwelt als alte

Klar, wir brauchen Autos. Aber wir brauchen andere Autos: Sauber, leise, langlebiger und effizient im Verbrauch. Und deshalb keine Prämien für Autos, die den notwendigen Umstieg von Benzin und Diesel auf umweltfreundliche Technologien weiter verzögern. Es ist eben nicht so, dass neue Autos per se besser für die Umwelt sind als alte.

Die letzte „Umweltprämie“ hat klar gezeigt, dass sie vor allem denjenigen genützt hat, die sowieso gekauft hätten. Die Neukäufe werden zu etwa zwei Dritteln von Unternehmen und Selbständigen getätigt. Davon werden die allermeisten Fahrzeuge zwischen drei und fünf Jahren geleast. Da sind „Spontankäufe“ wegen einer Kaufprämie völlig unlogisch. Eine sinnvolle Beförderung des notwendigen Wandels, wäre die Senkung der Steuer auf Dienstfahrzeuge für reine Elektro-Autos auf null Prozent. Dies würde einen echten Schub bringen.

Die Stromsteuer sollte halbiert werden

Doch Elektromobilität macht wiederum nur Sinn, wenn auch der Strom grün und günstig ist. Deshalb sollte der Ausbau der Erneuerbaren Energien massiv vorangetrieben werden und die Stromsteuer halbiert werden, damit das E-Auto nicht teuren Kohlestrom tanken muss.

Mindestens ebenso wichtig: Der dringend notwendige Ausbau der Ladeinfrastruktur mit superschnellem Laden an den Autobahnen mit 250-350 kw, schnellem Laden in den Städten an den Hotspots des Einkaufens mit 50-150 kw, dreiphasigem Laden mit 11-22 kw überall in den Städten – und einphasigem Laden von 2-3,5 kw in allen Tiefgaragen, an Wohngebäuden und in Wohngebieten. Vor allem aber auch auf den Parkplätzen der Unternehmen, damit die Mitarbeiter während der Arbeitszeit laden können. Hier sollten die Unternehmen in die Pflicht genommen und unterstützt werden.

Die Automobilindustrie befindet sich auf globaler Ebene in einem nie dagewesenen Transformationsprozess hin zu Vernetzung, autonomem Fahren und Elektromobilität.

In den kommenden zehn bis 15 Jahren werden wir in das Zeitalter der Schwarmmobilität kommen, in dem der Individualbesitz von Fahrzeugen eingetauscht wird in die Dienstleistung: „Wie komme ich am komfortabelsten von A nach B? Auf Knopfdruck, sicher, preiswert und von jedermann nutzbar.“

Wiener Straßenverkehrsabkommen zügig ändern

Wenn wir in Zukunft technologisch nicht noch mehr von den USA und Asien abgehängt werden möchten, müssen wir sehr schnell die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Ausbau und die Nutzung des autonomen Fahrens schaffen. Dazu gehört die zügige Änderung desWiener Straßenverkehrsabkommens, damit autonome Fahrzeuge mit Level 4 oder 5 in Deutschland überhaupt auf die Straße dürfen.

Die Coronakrise zeigt uns, dass politische Prozesse – wenn es darauf ankommt – schnell gehen können. Anfang Juni wollen Autoindustrie und Bundesregierung noch einmal über „konjunkturbelebende Maßnahmen“ beraten. Was wir dann brauchen ist eine echte Wiederbelebung der deutschen Autoindustrie. Mit klaren Bedingungen und Investitionen in die Zukunft. Denn sonst ist die Autoindustrie schneller tot, als der neue Leasingvertrag abgelaufen ist.

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