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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Wie Scheuer das Klima-Abkommen gefährdet

Justyna Wladarz, Referentin für Verkehrspolitik Umweltverband Nabu
Justyna Wladarz, Referentin für Verkehrspolitik Umweltverband Nabu Foto: Nabu

Es wirkt absurd: Der deutsche Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) setzt sich in Brüssel dafür ein, dass CO2-intensive Pkw gefördert werden. Die französische Regierung verhängt dagegen einen Umwelt-Malus von bis zu 20.000 Euro für schmutzige Autos. Es ist zu befürchten, dass sich Deutschland im Europäischen Rat wieder für eine Lockerung der CO2-Grenzwerte einsetzen wird, um die eigenen Hersteller zu schützen.

von Justyna Wladarz

veröffentlicht am 25.05.2020

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Die Kaufprämie für die Automobilindustrie ist ökonomisch so wirkungslos, dass nicht einmal die FDP und der CDU-Wirtschaftsrat sie fordern. Klimapolitisch bedeutet sie, weitere zehn Jahre auf der Stelle zu treten, wie wir aus den Erfahrungen der letzten „Umweltprämie“ gelernt haben. Dass die Mehrheit der Deutschen sie ohnehin nicht will, wissen wir dank einer Civey-Umfrage. Und dennoch soll die Prämie kommen. Und das in einer Form, die mit innovativen Technologien nichts mehr zu hat: nämlich einer Förderung von Verbrennern, die bis zu 140 Gramm CO2/km emittieren, wenn es nach dem Bundesverkehrsministerium geht.

Warum die Bundesregierung Verbrennungsmotoren fördern will

Ein geleakter Entwurf der EU-Kommission zum Corona-Konjunkturpaket beinhaltet den Vorschlag, einen Fonds über 20 Milliarden Euro für Kaufprämien „sauberer Autos“ bereitzustellen. Die Definition von „sauber“ ist dabei nicht wahnsinnig fortschrittlich, aber immerhin sollen sie so sauber sein, dass sie die ab 2021 geltenden EU-Flottengrenzwerte von durchschnittlich 95 Gramm CO2/km nicht gefährden. Dass sich diese Ambition noch weit unterbieten lässt, zeigt der Vorschlag des Verkehrsministeriums von 140 Gramm.

Warum kursiert diese Zahl, obwohl sie offensichtlich nicht mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar ist? Weil sich derzeit wenige deutsche Fahrzeugmodelle finden, die auch nur annähernd unter 110 g CO2/km liegen. Insbesondere die verfehlte Modellpolitik von Daimler und BMW sorgt dafür, dass diese Unternehmen derzeit von keiner Paris-konformen Kaufprämie hinreichend profitieren würden. Es ist wie mit dem Lottogewinn, ohne den Lottoschein auszufüllen. Zum Glück gibt es die Bundesregierung. 

EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager beklagte vor einigen Tagen, dass mehr als die Hälfte der Corona-Hilfen, die der Kommission zur Genehmigung vorliegen, nach Deutschland gehen. Das sei Wettbewerbsverzerrung und schade Europa. Dennoch will die Bundesregierung zusätzlich zu den geplanten Kaufprämien der EU den Autoherstellern mit Milliarden unter die Arme greifen. Das ist kurzsichtig, schadet den Steuerzahlenden, der Verkehrswende und langfristig auch der Perspektive der deutschen Automobilindustrie.

Was die Regierung versäumt hat 

Es wäre klug gewesen, jegliche Staatshilfen an die Industrie an Bedingungen zu knüpfen: beispielsweise durch eine vorherige Kürzung der Boni und Dividenden sowie den Umbau der Industrie hin zu emissionsfreien Fahrzeugen. Die Verdopplung der Verkäufe von Elektrofahrzeugen im Vergleich zum Vorjahr zeigt, dass die Nachfrage da ist. Frankreich beispielsweise hat angekündigt, die Coronakrise zu nutzen, um einen Neustart der Industrie hin zu emissionsfreien Fahrzeugen zu forcieren.

In Deutschland werden Dividenden ausgezahlt, Kurzarbeitergeld beansprucht, und Finanzhilfen vom Staat für den Erwerb von Autos gibt es obendrauf. Zur Erinnerung: 2019 erwirtschafteten VW, Daimler und BMW gemeinsam Gewinne von 28,7 Milliarden Euro, von denen knapp ein Viertel an die Aktionäre ausgeschüttet wurde. BMW zahlte vor wenigen Tagen Dividenden über 1,6 Milliarden Euro an seine Aktionäre aus. Indessen verzichten Volvo Trucks und Renault wegen Corona auf Dividendenzahlungen, weil sie es der Gesellschaft schuldig seien. In Zeiten der Krise, die vor allem die Ärmsten beutelt, ist es ein grobes Versäumnis, dass die Regierung sich hier nicht für Gerechtigkeit einsetzt. 

Die Dividenden und Boni einzelner Manager mögen derzeit am Verkauf von Verbrennern hängen – Arbeitsplätze lassen sich durch die Finanzspritzen langfristig keine retten. Es werden lediglich unangenehme Entscheidungen vertagt. Lägen der Regierung tatsächlich die Arbeitnehmer am Herzen, würde sie das Geld genau dort platzieren: Beispielsweise in einen Fonds, wie ihn die EU mit dem „Just Transition Fund“ plant, damit Regionen, die vom Strukturwandel durch den Abbau fossiler Industrien besonders betroffen sind, die sozialen Folgen abfedern können. 

Die Kunst, das Momentum auszubremsen

Man muss es der Bundesregierung lassen: Sie versteht es, den KlimaaktivistInnen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Als JournalistInnen wie AktivistInnen dem Autogipfel entgegenfieberten, wurde die Entscheidung darüber schlicht vertagt. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) empörte sich bei Anne Will über die frechen Forderungen der Industrie. Suggeriert wurde: Wir hören euch, die Argumente werden noch einmal abgewogen, die Prämien sind auf dem Prüfstand. Aber gehört wurden in den letzten Wochen dann doch nur die Argumente der Automobilindustrie sowie der Ministerpräsidenten, deren Staatshaushalte existentiell mit den Renditen der Hersteller verwoben sind. Selbst Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) wurde erst nach vehementem Beklagen durch Lobbycontrol dazugeladen. 

Nun soll also die Entscheidung über die Kaufprämien als Teil eines größeren Konjunkturpakets im Juni vorgestellt werden. Medial würde die Entscheidung über die Kaufprämien weniger für Furore sorgen, da der Fokus zerfasern würde. Dabei wird über die Eckpunkte der Kaufprämien bereits vorab entschieden und zwar in einem kleinen Kreis um die Kanzlerin, Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), Scholz und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Mit Partizipation hat das nicht zu tun, und was bleibt, ist das Gefühl, gegen diesen Apparat machtlos zu sein. 

Einige mögen nun glauben, gewonnen zu haben. Aber diese Art, den Diskurs zu ersticken, führt langfristig nur zu Politikverdrossenheit, und die kennt keine GewinnerInnen. Solange die Bundesregierung hinter den Kulissen Partikularinteressen verfolgt, wird sie ihrem Auftrag nicht gerecht: Wir alle verdienen es, den Weg aus der Krise mitgestalten zu dürfen. Das geht nur, wenn der Prozess transparent ist. 

Die Hausaufgabe des Finanzministers: Bonus-Malus-Regelung

Die geplante Novellierung der Kfz-Steuer liegt seit Monaten auf dem Schreibtisch des Finanzministers. Zu Beginn des Jahres hat indessen die französische Regierung ihr Bonus-Malus-System noch einmal kräftig zugunsten von Elektrofahrzeugen überarbeitet – der Höchstsatz für den Umwelt-Malus liegt neuerdings bei 20.000 Euro für Fahrzeuge mit einem CO2-Ausstoß von mehr als 184 g pro Kilometer. Zudem fördert Frankreich nicht nur Autos, sondern auch die Anschaffung von Elektrofahrrädern mit besonderer Unterstützung für Personen mit geringem Einkommen.

Der Vorschlag, Verbrenner zu prämieren, ohne dass Bonus-Malus überhaupt angedacht worden ist, wirkt dagegen umso absurder. Allein eine Refinanzierung von Finanzhilfen durch ein Bonus-Malus System kann sicherstellen, dass die Steuergelder am Ende nicht dort fehlen, wo sie am meisten gebraucht werden. Auch eine Anpassung der Mineralölsteuer und Anhebung der Dienstwagenbesteuerung sind sinnvoll. Geld lässt sich nicht zweimal ausgeben, deshalb wird jeder Euro in eine fossile Industrie an einer wichtigeren Stelle fehlen

Deutschland gefährdet Europas Klimakurs

Es geht nicht nur um die deutsche Industrie. Es geht um den Klimakurs Europas. Wenn Deutschland Finanzspritzen für Verbrenner beschließt, dann bedeutet das, dass die Unternehmen die EU-Flottengrenzwerte nicht werden einhalten können. Im Umkehrschluss heißt das, dass sich Deutschland im Europäischen Rat wieder für eine Lockerung der Grenzwerte einsetzen wird. Man erinnere sich nur an die Briefe von Altmaier und Sigmar Gabriel, in denen die Kommission gebeten wurde, mit den Ambitionen für das Klima doch bitte im Hinblick auf deutsche Autohersteller nicht zu ehrgeizig zu sein. Und dann beschleicht einen beim Gedanken an die deutsche Ratspräsidentschaft ab Sommer ein ungutes Gefühl.

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