1. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung
Die Zeiten, in denen wir Stoßstange an Stoßstange im Stau stehen, gehen vorbei. Das ist die gute Nachricht. Das Auto, Symbol individueller Freiheit, wirtschaftlichen Wohlstands und deutscher Ingenieurskunst, ist gefährdet, weil es nicht mehr hält, was es verspricht.
Die deutsche Automobilindustrie ist nicht zu Unrecht in den vergangenen Jahren in Verruf geraten und droht, international den Anschluss zu verlieren – chinesische und US-amerikanische Hersteller laufen ihr den Rang ab. Doch auch sie haben bislang keine Antworten auf die drängenden Fragen des Klimaschutzes, des Platzproblems in unseren Städten und der globalen Lieferketten.
Die deutsche Automobilindustrie muss zügig liefern, möchte sie auch in Zukunft bestehen. Sie muss auch Ideen für das Konzept „Automobil“ entwickeln: Denn jenseits neuer Antriebe geht es heute darum, wie das Automobil so an die gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst werden kann, dass es sein Freiheitsversprechen wieder halten kann: das Versprechen von individueller, stets verfügbarer Mobilität, die nachhaltig ist.
Kaiser Wilhelm II. könnte sich am Ende als weitsichtiger Visionär entpuppen, als er sagte: „Ich glaube an das Pferd, das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“ Das Auto der Zukunft ist nachhaltig – oder es ist gar nicht.
2. Wir müssen draußen bleiben
Verfügbarkeit von Mobilität ist eine soziale Frage. Unsere Städte werden immer voller und zunehmend unbezahlbar. Stadt muss man sich leisten können. Stadtbewohner stehen aber oft im Stau und wenn sie dies nicht tun, stehen ihre Autos auf öffentlichen Straßen und nehmen Radfahrern, Fußgängern – und neuen Ideen – den Platz.
Zugleich drohen ländliche Räume durch Abwanderung und Alterung wortwörtlich den Anschluss zu verlieren. Dabei ist die öffentliche Daseinsvorsorge im Grundgesetz verankert und elementare Aufgabe des Staates. Trotzdem ziehen sich weite Teile (öffentlicher) Versorgungsinfrastruktur immer weiter aus der Fläche zurück. Krankenhäuser und Postämter schließen oder werden zusammengelegt, der Einzelhandel verschwindet. In der Folge werden die Wege für die Bevölkerung immer weiter. Ich beneide niemanden, der da kein eigenes Fahrzeug hat und auf den ländlichen ÖPNV angewiesen ist.
Wo sich die Infrastruktur zurückzieht, geht auch das Vertrauen verloren in die Vorsorgepflicht des Staates, mit weitreichenden Konsequenzen. Es drängt sich förmlich auf: Jeder Euro für eine Mobilität, die nachhaltig, erreichbar und bezahlbar ist, ist Strukturpolitik.
Und so heißt es vielerorts nicht nur für die Fahrer alter Diesel in der Innenstadt „wir müssen draußen bleiben“ – für Menschen auf dem Land wird fehlende Mobilität zunehmend sogar zum Teilhabe-Problem. Die Entscheidung, mehr in den ÖPNV zu investieren, ist deshalb überfällig. Mehr noch: Heute geht es darum, Versorgungsinfrastruktur effizient zu nutzen. Wo die Wege für die Bevölkerung immer weiter werden, braucht es attraktive Alternativen: einen deutlichen Ausbau des ÖPNV, bedarfsgesteuerte, intelligente und digital vernetzte Angebote. Sie brauchen einen Rahmen, der Neues ermöglicht und nicht bremst.
Mobilität ist am Ende mehr als die Bewegung von A nach B. Attraktive Mobilität muss für alle zugänglich sein, denn sie entscheidet letztlich über Chancen und Teilhabe in unserer Gesellschaft. Persönliche Chancen sollten nicht davon abhängen, ob das Städtekürzel auf dem Nummernschild ein- oder dreistellig ist.
3. Wir schaffen das
Transformation, gerade in Zeiten großer gesellschaftlicher und technologischer Umbrüche, ist Langstreckenlauf. Das hat mich Politik gelehrt und das zeigt sich auch immer wieder in unserer Beratungsarbeit. Wir stehen an der Startlinie, der Kurs ist längst bekannt, der Startschuss ist gefallen. Worauf warten wir also?
Heute verursacht das Privatauto in der Stadt mehr Probleme als es löst, und auf dem Land geht ohne eigenes Fahrzeug nicht viel. Die Menschen sind vom Auto abhängig, weil die Alternativen fehlen. Die Suche nach einer Lösung wird eine entscheidende Zukunftsaufgabe nicht nur für die Politik und die Industrie, sondern für uns alle.
Dabei sind die Alternativen längst bekannt und hinreichend erprobt. Und: Sie werden besser. Wo immer öffentliche Verkehrsangebote attraktiv und verlässlich verfügbar sind, werden sie auch genutzt. Infrastruktur schafft Nutzer. Es ist kein Naturgesetz, dass dies nur in den großen Städten gilt.
Die Zukunft der Mobilität ist intelligent, effizient und vernetzt. Damit diese Worte keine Phrasen in Background-Gastbeiträgen bleiben, braucht es Willen und Mut. In der Industrie, die nach den Zeichen der Zeit handeln sowie in der Politik, die ihrer verfassungsgemäßen Aufgabe nachkommen muss – und innerhalb der Gesellschaft. Wir müssen uns trauen, Neues zu versuchen. Wenn wir heute die richtigen Schlüsse ziehen, profitieren wir am Ende alle.