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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Keine Verkehrswende ohne Jobsharing-Plattformen

Jutta dos Santos Miquelino, Co-CEO und Partnerin des Thinktanks and dos Santos GmbH
Jutta dos Santos Miquelino, Co-CEO und Partnerin des Thinktanks and dos Santos GmbH Foto: promo

Die Verkehrswende erfordert nicht nur neue Technologien, sondern auch gute Arbeitsbedingungen. Jobsharing-Plattformen bieten nicht nur den Mitarbeiter:innen mehr Flexibilität und Autonomie, sondern tragen auch zur Effizienzsteigerung bei.

von Jutta dos Santos Miquelino

veröffentlicht am 19.09.2024

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In Zeiten von Klimawandel und Urbanisierung steht die Verkehrswende ganz oben auf der politischen Agenda. Doch während Elektrobusse und emissionsfreie Züge im Fokus stehen, wird ein entscheidender Aspekt oft übersehen: die Arbeitsbedingungen des Fahrpersonals. Ohne eine radikale Umgestaltung der Einsatzplanung, die den Wunsch nach Flexibilität und Autonomie berücksichtigt, kann die Verkehrswende nicht gelingen. Ein Ansatz, der vielversprechend erscheint, ist der Einsatz von KI-gestützten Jobsharing-Plattformen.

In vielen Verkehrsbetrieben weltweit sind starre Fahrpläne noch immer die Norm. Disponenten legen die Schichten des Fahrpersonals fest, wobei persönliche Bedürfnisse oder Vorlieben der Mitarbeiter:innen selten berücksichtigt werden. Diese Herangehensweise führt zu Unzufriedenheit und einer steigenden Fluktuation, da die Flexibilität, die in anderen Branchen zunehmend üblich wird, fehlt.

Studien haben gezeigt, dass Arbeitszufriedenheit stark mit der Möglichkeit zusammenhängt, den eigenen Arbeitsplan mitzugestalten, proaktiv auch im Schichtbetrieb. Um diesem Bedürfnis gerecht zu werden, haben einige Verkehrsbetriebe angefangen, interne Lösungen zu entwickeln, die es ihren Mitarbeiter:innen ermöglichen, ihre Schichten untereinander zu tauschen oder individuelle Anpassungen im Dialog mit der Einsatzplanung vorzunehmen.

Möglichkeiten bei kleinen Betrieben begrenzt

Doch die Möglichkeiten bleiben bei internen Lösungen begrenzt, insbesondere bei kleineren Betrieben. Zudem wird aktuell das Potenzial der zunehmend immer begehrter werdenden Fahrpersonale wie zum Beispiel Triebfahrzeugführende für Schnellzüge oder Cargo-Transporte noch nicht voll ausgeschöpft, so sind Leerlaufzeiten von 30 bis 40 Prozent, in denen der Fahrer gar nicht fährt, nicht ungewöhnlich.

Da können Einsatzplanmodelle, die Unternehmensgrenzen überschreiten beziehungsweise verbinden können, durchaus effizienzsteigernd sein. Zudem braucht es noch verschiedene Führerscheine für verschiedene Zugmodelle und dazu auch noch die notwendige Streckenkenntnis, was wiederum eine Flexibilität und Tauschbarkeit der Angebote reduziert. Hier sind die Fahrzeughersteller gefordert, die Bedienungsstandards so zu vereinfachen, dass die Potenziale des Fahrpersonals besser ausgeschöpft werden können, zudem eine Umstellung auf voll autonomes Fahren insbesondere bei den Schnellzügen noch in weiterer Ferne liegt.

Hier setzen innovative Plattformen an, die es den Mitarbeiter:innen ermöglichen, ihre Schichten selbst zu planen. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen können diese Systeme personalisierte Vorschläge machen, die sowohl die betrieblichen Anforderungen als auch die individuellen Präferenzen der Mitarbeiter:innen berücksichtigen. Die Plattformen analysieren historische Daten, aktuelle Verkehrsströme und individuelle Fahrpläne und schaffen so dynamische Einsatzpläne, die auf Echtzeitinformationen basieren.

Boom bei Jobsharing-Plattformen

Jobsharing-Plattformen erleben weltweit einen massiven Boom, laut einer EU-Studie haben bereits 2022 circa 28,4 Millionen Menschen ihre Arbeit über digitale Plattformen geleistet, dem stehen aktuell etwa 29 Millionen Menschen gegenüber, die in der Industrie tätig sind. Doch die Entwicklung geht auf den digitalen Plattformen weiter, man rechnet mit über 50 Prozent Wachstum und geht davon aus, dass bald circa 43 Millionen Menschen innerhalb der EU ihre Arbeit über Jobsharing-Plattformen buchen.

Der Großteil der Arbeit sind Services wie Taxi fahren, Lieferdienste, häusliche Dienste oder Handwerker, doch auch Fachkräfte suchen mehr und mehr den autonomen Weg über die digitalen Plattformen, was zu einer Steigerung der Effizienz und Produktivität führen kann, wenn die Systeme gut interagieren.

Jobsharing-Plattformen bieten nicht nur den Mitarbeiter:innen mehr Flexibilität und Autonomie, sondern tragen auch zur Effizienzsteigerung bei. Die Möglichkeit, den Arbeitsplan selbst zu gestalten, führt zu einer höheren Arbeitszufriedenheit, einer besseren Work-Life-Balance und somit zu einer stärkeren Mitarbeiterbindung. Für die Verkehrsbetriebe bedeutet das: weniger Krankheitsausfälle, eine stabilere Einsatzplanung und letztlich eine höhere Betriebseffizienz. Laut einer Studie hat die Einführung solcher Plattformen in anderen Branchen bereits zu einer Reduktion der Fluktuation um bis zu 25 Prozent geführt.

Praktische Beispiele und erste Erfolge

In Frankreich testet der Bahnbetreiber SNCF autonome Züge, die nicht nur den Fahrbetrieb optimieren, sondern auch eine flexiblere Schichtgestaltung des Personals ermöglichen. Mithilfe von KI wird der Betrieb kontinuierlich überwacht und in Echtzeit angepasst, was den Fahrplan dynamischer und anpassbarer macht. InJapan nutzt Hitachi ein KI-basiertes System zur Verwaltung von Bahnhöfen, das unter anderem die Personaleinsätze auf Grundlage des Passagieraufkommens in Echtzeit optimiert.

Die Verkehrswende erfordert nicht nur emissionsfreie Fahrzeuge, sondern auch innovative Arbeitsmodelle. Jobsharing-Plattformen ermöglichen es Verkehrsbetrieben, effizienter zu arbeiten, ohne dabei die Bedürfnisse des Personals zu ignorieren.Dies könnte ein entscheidender Hebel sein, um die Herausforderungen der Verkehrswende erfolgreich zu meistern.

Mit dem wachsenden Einsatz von Jobsharing-Plattformen stellen sich auch arbeitsrechtliche Fragen. Besonders die Abrechnung von Sozialbeiträgen und die Absicherung von Rentenansprüchen sind wichtige Themen. In flexiblen Arbeitsmodellen kann es komplex werden, diese kontinuierlich sicherzustellen.

Klare arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen nötig

Plattformen könnten verpflichtet werden, eine Art Grundsicherung für die Altersvorsorge anzubieten. Auch steuerliche Fragen und der Mindestlohn müssen klar geregelt werden, um faire Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. In Deutschland bieten Modelle wie der Midijob bereits eine Lösung für Arbeitnehmer mit niedrigeren Einkommen, bei denen Sozialabgaben reduziert sind, ohne dass dies ihre Rentenansprüche schmälert. Für die Zukunft gilt es, klare arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um sicherzustellen, dass auch Plattformarbeiter den gleichen Schutz wie festangestellte Mitarbeiter genießen.

Es liegt nun an Politik und Wirtschaft, die richtigen Weichen zu stellen. Es bedarf finanzieller Anreize, um in solche Plattformen zu investieren, sowie klarer regulatorischer Rahmenbedingungen, die den Einsatz von KI im öffentlichen Verkehr fördern. Die Verkehrswende kann nur gelingen, wenn technologische Innovation und humane Arbeitsbedingungen Hand in Hand gehen.

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