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Standpunkte Radfahren stärkt die Solidarität und fördert einen gerechten Wandel

Jill Warren
Jill Warren, Geschäftsführerin der European Cyclists‘ Federation Foto: Foto: privat

Die heute in Danzig startende Velo-City 2025 stellt die Bedeutung des Radfahrens für gesellschaftlichen Wandel, Klimaschutz und wirtschaftliche Entwicklung in den Mittelpunkt. Das Fahrrad ist ein Instrument für soziale Gerechtigkeit und Resilienz, was auch die Politik mehr fördern sollte.

von Jill Warren, European Cyclists‘ Federation

veröffentlicht am 10.06.2025

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Unter dem Motto „Energising Solidarity“ startet heute in Danzig die Velo-City. Die Stadt Danzig ist nicht nur die erste polnische Gastgeberin der Velo-City, sondern auch der Geburtsort der Solidarność-Bewegung, die von den Danziger Bürgern in den 1980er-Jahren entfacht wurde und das Streben der Polen nach Demokratie und Freiheit ausdrückte.

Solidarität bleibt ein starkes und dauerhaftes Symbol, das tief mit der Identität der Stadt verwoben ist. So war es auch passend, dass der Bewerbung für Velo-City ein Unterstützungsschreiben von niemand Geringerem als Lech Wałęsa beigefügt wurde. Die „Velo-Citizens“ sollen dazu inspiriert werden, das Fahrrad als wichtiges Instrument der gemeinsamen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderung zu fördern.

Das Fahrrad: Instrument der sozialen Solidarität

Mehr und besserer, sicherer Radverkehr führt zu einer gerechteren Gesellschaft und zu einem besseren Zugang zu Bildung, Arbeitsplätzen, Erholung und Teilhabe an der Gesellschaft. Radfahren geht über den reinen Transport- oder Freizeitzweck hinaus: Es hat ein großes Potenzial, ein Katalysator für stärkere Gemeinschaften, Integration und soziale Gerechtigkeit zu sein und kann einen bedeutenden Beitrag zur CO2-Einsparung im Verkehr leisten, wie eine Studie zum Potenzial des Radverkehrs im Auftrag des ADFC verdeutlicht. Es ist eine der einfachsten und kosteneffizientesten Möglichkeiten, Verkehrsarmut zu bekämpfen und einen gerechten Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu schaffen.

Daher sollte es ein zentraler Bestandteil der nationalen Pläne im Rahmen des EU-Klimasozialfonds der EU sein. Laut Zahlen der EU-Kommission können sich in zwölf EU-Staaten 30 Prozent der Haushalte mit abhängigen Kindern kein Auto leisten. Soziales Leasing, insbesondere von Elektrofahrrädern und Lastenrädern, kann dazu beitragen, effiziente und gesunde nachhaltige Mobilität für alle zugänglich zu machen.

Deutschland hat ein sehr erfolgreiches Dienstfahrradprogramm entwickelt, das hochwertige Fahrräder für alle Gehaltsgruppen zur Verfügung stellt. Dies kann eine Inspiration für andere Länder und für die kommende EU-Initiative zu grünen Unternehmensflotten sein.

Politische Solidarität für Resilienz

Velo-City ist eine ideale Gelegenheit, die Bedeutung des Dialogs und kollektiven Handelns in freien, demokratischen und solidarischen Gesellschaften hervorzuheben. Alle Akteure der urbanen Mobilität und Entscheidungsträger sollten zusammenkommen, um unsere Straßen, Verwaltungsmodelle und Mobilitätssysteme neu zu überdenken und zu gestalten, damit unsere Städte für die Herausforderungen der Klimakrise, des Rohstoffmangels und der Staus gerüstet sind.

Das Radfahren beweist sich immer wieder als widerstandsfähiges Verkehrsmittel. Es gewährleistet den Zugang zu lebenswichtigen Mobilitätsbedürfnissen und Dienstleistungen auch dann, wenn andere Verkehrsmittel ausfallen. Das war etwa bei der Lieferung von humanitärer Hilfe nach den verheerenden Überschwemmungen in Valencia im Herbst 2024 der Fall, oder auch nach den schweren Erdbeben in der Türkei 2023. Das Fahrrad war auch bei den großflächigen Stromausfällen in Spanien und Portugal im April dieses Jahres das zuverlässigste Verkehrsmittel.

Die wichtige Rolle des Fahrrads zeigt sich auch im andauernden Krieg in der Ukraine, nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer zerstörten Verkehrsinfrastruktur. U-Cycle, langjähriges Mitglied des ECF in der Ukraine und Teil der lebendigen Zivilgesellschaft des Landes, setzt seine wirkungsvolle #BikesForUkraine-Kampagne fort und arbeitet daran, dass das Fahrrad und die Fahrradinfrastruktur Teil des nachhaltigen grünen Wiederaufbaus der Ukraine in Freiheit und Demokratie werden.

Doch trotz der immensen Vorteile für den Klimaschutz und der strategischen Resilienz sowie für die öffentliche Gesundheit, soziale Gerechtigkeit und die Lebensqualität wird das Radfahren in der Verkehrspolitik und bei Investitionen in den meisten Ländern nach wie vor unterbewertet. Nur 34 Länder auf der ganzen Welt (etwa 17 Prozent) haben eine nationale Radverkehrsstrategie.

Investitionen in den Radverkehr machen in der Regel nur einen sehr geringen Anteil der Haushaltsmittel der Verkehrsministerien aus. Hier sind deutlich mehr politische Handlungsbereitschaft, Mut und Solidarität erforderlich. Auch das wird bei der Velo-City thematisiert.

Radfahren für die Energiewende und zur Ankurbelung der Wirtschaft

Mehr Radfahren wirkt sich positiv auf die Wirtschaft aus: Es verringert nicht nur die Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen, sondern entlastet auch den Gesundheitshaushalt und trägt entscheidend zur Schaffung neuer grüner Arbeitsplätze in verschiedenen Sektoren bei. Denn die Fahrradwirtschaft geht weit über die Herstellung und den Verkauf von Fahrrädern hinaus. Sie umfasst auch die Bereiche Tourismus, Stadtplanung, Logistik, Wartung und sogar digitale Dienstleistungen.

Nach neuesten Zahlen sind in Deutschland laut einer Branchenstudie des Verbands Zukunft Fahrrad fast eine halbe Million Arbeitsplätze mit dem Fahrrad verbunden. Wie in der Studie angemerkt, hat das Fahrrad mit den richtigen Rahmenbedingungen das Potenzial für weitaus mehr, da Investitionen in den Radverkehr einen Dominoeffekt haben, von dem mehrere Branchen profitieren. Diese Vielfalt macht ihn zu einem strategischen Sektor mit hohem Potenzial für die Schaffung von Arbeitsplätzen, Nachhaltigkeit und Innovation. Er ist keine Nische, sondern eine Säule der Wirtschaft – und Gesellschaft – von morgen.

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