In der EU werden die verschärften Klimaziele immer deutlicher: Nach der Erreichung der Klimaneutralität bis zur Jahrhundertmitte wird für das Jahr 2030 nun mit minus 55 Prozent voraussichtlich auch ein sehr anspruchsvolles mittelfristiges CO2-Reduktionsziel angepeilt. Dazu kündigt die Kommission an, bis zum nächsten Sommer im Rahmen des Green Deal ein umfängliches und ambitioniertes Paket mit mehr als einem Dutzend verschiedener politischer Maßnahmen vorzulegen.
Obwohl große Industrieländer wie China, Japan und Südkorea
zuletzt ähnliche langfristige Klimaneutralitätsziele formuliert haben und die
USA nach der Wahl möglicherweise nun folgen könnten, bleiben die konkreten
Maßnahmen deutlich unklarer. Die weltweit in den vergangenen Monaten
aufgelegten pandemiebedingten Konjunkturprogramme enthalten, mit Ausnahme von
Europa und Südkorea, kaum Stimuli für mehr Investitionen in Klimaschutz. Dabei
wäre das angesichts des weltweiten Rückgangs von privaten Energieinvestitionen
wichtiger denn je. Damit wird klar, dass Europa auf absehbare Zeit stärkere
klimapolitische Anreize setzen wird als der Rest der Welt – und dieser
Unterschied dürfte in Coronazeiten eher noch größer werden.
Auf den richtigen Instrumentenmix kommt es an
Umso wichtiger ist, dass der europäische Instrumentenmix auf ein solches globales Ungleichgewicht abgestimmt ist. Ein wesentliches Element in allen Bereichen muss ein CO2-Preissignal sein. Kurzfristig hilft das, einen Brennstoffwechsel zu beschleunigen und neue Klimaschutztechnologien wirtschaftlicher zu machen. Längerfristig unterstützt bereits die verlässliche Ankündigung eines solchen Signals die Entwicklung neuer Technologien. Solange die Vermeidungskosten einer Tonne CO2 in den Sektoren so unterschiedlich sind wie heute und gleichzeitig politisch Minderungsziele für einzelne Sektoren vorgegeben werden, kann ein Preis nicht gleichzeitig unterschiedliche Sektorminderungen steuern.
Hinzu kommen weitere Beschränkungen: Wo handwerkliche Kapazitäten nicht im Überfluss vorhanden sind, können anfängliche Versäumnisse bei der Gebäudesanierung auch bei hohen CO2-Preisen später nicht mehr entsprechend leicht aufgeholt werden. In anderen Bereichen begrenzt das Tempo des Infrastrukturausbaus die Möglichkeiten, zum Beispiel bei Hochtemperaturprozessen der Industrie zur Umstellung von Gas auf Wasserstoff. Höhere Preise führen hier kurzfristig nicht zu CO2-Minderungen, sondern wirken als zusätzliche Belastung, solange die technische Alternative noch gar nicht liefer- und einsetzbar ist.
Noch wichtiger: Solange die Möglichkeiten der Sektoren so unterschiedlich sind, CO2-Preise im internationalen Wettbewerb in den Produktpreisen weitergeben zu können, wird die Industrie nur in viel eingeschränkterem Maße CO2-Preise schultern können als beispielsweise der Verkehrs- oder Gebäudesektor. Deshalb wäre eine plötzliche Ausweitung des Europäischen Emissionshandels auf alle Sektoren blauäugig und hochgefährlich. Für die kommenden Jahre wird es zunächst auf verschiedene CO2-Preise ankommen.
Diese sollten allerdings überall so schnell wie möglich europäisiert werden, im
Rahmen einer Reform der Energiesteuerrichtlinie, die statt dem Energiegehalt
stärker auf CO2 abstellt, oder einem zweiten europäischen CO2-Handelssystem,
welches dem nationalen Brennstoffemissionshandelssystem ähnlich ist. Damit
würde das ineffiziente Lastenverteilungssystem („effort sharing“) zwischen den
Mitgliedstaaten, das die Minderungsverpflichtungen vor allem nach BIP-Aspekten
aufteilte, endlich auch für den Gebäude- und Verkehrssektor durch ein
europäisches Instrument abgelöst.
Dieses zu entwickeln wird auch nicht einfach sein. Grundsätzlich aber gilt, dass eine europäische Lösung deutlich effizienter sein sollte. Zu bedenken ist, dass es sich bei Gebäuden und Verkehr um sehr viele kleine Emittenten handelt. Ein Handelssystem für diese beiden Sektoren wird also, anders als im EU-ETS, direkt beim (großen) Emittenten, Upstream ansetzen müssen.
Welche Instrumente es sonst noch braucht
Je schneller die CO2-Preise international vergleichbar werden und je weiter sich die Vermeidungskosten in den Sektoren annähern, desto eher ist eine Verschmelzung der Bepreisungssysteme schadlos möglich, ja sogar für eine Gesamtoptimierung sinnvoll. Bis dahin aber braucht es einen ganzen Mix von weiteren Instrumenten: vom zusätzlichen Carbon Leakage Schutz über eine Förderung von Investitions- und Betriebskosten klimafreundlicher Technologien bis hin zu Quotenlösungen zur Finanzierung über die Produktpreise sowie Änderungen in der öffentlichen Beschaffung. Wie diese Instrumente so aufeinander abgestimmt und dimensioniert werden, dass die erforderlichen Klimaschutzinvestitionen betriebswirtschaftlich realisierbar werden, ist die zentrale klimapolitische Herausforderung der nächsten Monate.
Eine Voraussetzung für die Finanzierung dieses
Transformationsprozesses wird zudem eine Änderung der Europäischen
Beihilferegeln sein müssen, die für einen solchen politisch gewollten Umbau der
Europäischen Volkswirtschaft heute nicht ausgelegt sind. Das wird etwa beim
Thema Wasserstoff deutlich: Ohne mittelfristig sichere Betriebskostenzuschüsse
wird klimafreundlicher Wasserstoff in der Industrie nicht eingesetzt werden
können. Dies passt nicht in die Logik kurzfristiger, abschmelzender
Strukturanpassungshilfen in den heutigen Beihilfeleitlinien.
Gerade in der Phase des Markthochlaufes von Wasserstoff
braucht es möglichst viele Finanzierungsströme, um Lernkosten zu schultern und
rasch Größenvorteile zu erzielen. Das schließt auch die hohe
Zahlungsbereitschaft im Pkw-Verkehr aufgrund der hohen CO2-Vermeidungskosten
von rund 500 Euro pro Tonne mit ein, die sich aus der geltenden CO2-Flottenregulierung
ableitet. Sofern „grüne Moleküle“ über eine Mehrfachanrechnung in der RED II
und in weiteren Regulierungen genauso behandelt werden wie „grüne Elektronen“,
stünden hier Finanzierungsmöglichkeiten bereit, die den Markthochlauf beschleunigen
würden und die öffentlichen Haushalte schonen könnten. Je mehr Staaten weltweit
mit eigenen Wasserstoffstrategien diese Entwicklung unterstützen, desto besser.
Das Jahr 2021 wird klimapolitisch ein entscheidendes Jahr werden. Nur mit einem sorgfältig abgestimmten Instrumentenmix und dem richtigen Timing kann es der EU und der nächsten Bundesregierung gelingen, die enormen Investitionen für den Transformationsprozess betriebswirtschaftlich möglich zu machen. Wir setzen darauf, dass das Design dieses Instrumentenmixes politisch genauso mutig und entschlossen angegangen wird wie die vielen Zieldiskussionen der Vergangenheit.
Carsten Rolle diskutiert heute auf einer von T&E ausgerichteten Online-Veranstaltung gemeinsam mit der Grünen-Bundestagsabgeordneten Lisa Badum, dem stellvertretenden Direktor der Agora Verkehrswende, Günter Hörmandinger und Ralph Diemer, Abteilungsleiter Wirtschaftspolitik-, Handels- und Klimaschutzpolitik, europapolitische Koordinierung beim VDA, die Frage „Straßenverkehr im EU-Emissionshandel: Fluch oder Segen?“