Der Verkehrssektor ist der einzige volkswirtschaftliche Bereich, dem es bis heute nicht gelang, ernsthaft etwas für den Klimaschutz zu tun. Und der Hauptverursacher von CO2 und Luftverschmutzung ist der Autoverkehr. Die Leidtragenden sind wir alle. Allein im Jahr 2020 sind schätzungsweise 240.000 Menschen in der EU infolge der Feinstaubbelastung vorzeitig gestorben. Das belegt die Europäische Umweltagentur (EEA) in Kopenhagen.
Besonders groß ist die Gefahr für Menschen in Städten. 96 Prozent aller Stadtbewohner sind laut EEA Feinstaubwerten ausgesetzt, die über den Richtwerten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von fünf Mikrogramm pro Kubikmeter liegen.
Die unbequemen Fakten: Trotz Katalysator und E-Mobilität hat der Verkehrssektor seine Emissionen seit 1995 nicht gesenkt. Das Auto legte in den letzten 25 Jahren um fast 25 Prozent zu, während der ÖPNV um fast 20 Prozent zurückging. Jetzt sprechen wir noch nicht von den aktuellen Forderungen nach weiteren Energieeinsparungen, um Deutschland unabhängiger von autokratischen Regierungen zu machen. Wir sprechen nicht von einer Stadtentwicklung, die neben der Dekarbonisierung des Verkehrs nach weitreichenden Maßnahmen zur Klimaanpassung verlangt, wie sie unter anderem der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) Stefan Siedentop, fordert.
Und die Politik? Sie verliert sich in Diskussionen über die Förderung des ÖPNV, über eine Bahnreform, Pop-up-Radwege oder zur Sanierung der maroden Straßeninfrastruktur. Dazu kommen die Streitigkeiten über die unterschiedlichen Befugnisse zwischen Kommunen, Land und Bund. Was wird an konkreten Maßnahmen umgesetzt, die schnell und überall wirken?
An eine wirksame und sozial verträgliche Erhöhung der Parkgebühren traut sich die Politik nicht heran. Der Neubau von U- und S-Bahn-Linien dauert in Deutschland Jahrzehnte. Weniger Autoverkehr und damit weniger Emissionen erreichen wir so nicht. Wo bleibt der Plan, der jetzt und nicht erst 2050 greift?
Aus den Erfahrungen anderer Länder lernen
Wir müssen jetzt auf das schauen, was heute bereits unter anderem mit der Digitaltechnik möglich ist. Dabei können wir aus den Erfahrungen anderer Länder lernen. Die Städte sind häufig am Limit und vertragen nicht mehr Verkehr. Wir müssen endlich intelligent steuern. Das geht nicht ohne Straßennutzungsgebühr, der City-Maut, und mit einer Mobilitäts-App.
Das verbessert den Verkehrsfluss, vermeidet Staus und macht den Verkehr damit auch umweltfreundlicher. Staus werden so künftig die Ausnahme; das spart viel Zeit und verringert Energieverbrauch und Emissionen – und das ohne eine einzige Baumaßnahme oder ein Verbot. Das wäre „digitaler Straßenbau“.
Die Maut ist mehr als ein Eintrittsgeld für alle, die in die Innenstädte wollen. Wenn wir nach London oder Stockholm schauen, dann sehen wir, dass es noch nicht rund läuft. Dort nehmen die positiven Effekte der City-Maut nach anfänglichen Erfolgen heute wieder ab. So geht auch die Akzeptanz zurück, weil der Verkehr nach kurzer Erholung wieder schlechter fließt (Stockholm) oder der Preis vor allem Menschen mit weniger Einkommen trifft (London). Fakt ist: In beiden Städten wurde die Maut vor der Einführung von Smartphones umgesetzt. Digitale Verkehrstechnologien wie Mobilitäts-Apps standen noch nicht zur Verfügung. Heute haben wir eine ganze Palette digitaler Lösungen, die wir nur anwenden müssen.
Sicher ist: In vielen Städten stehen wir vor dem Verkehrskollaps. Aber die Verantwortlichen zögern noch immer. Die neuen digitalen Technologien ermöglichen eine dynamische Tarifsetzung auf der Grundlage der Fahrstrecke, Schadstoffklasse und der jeweils aktuellenVerkehrslage. So kann die Bepreisung auf bestimmte Zeiten konzentriert werden, das heißt, sie findet nur statt, wenn Staus drohen. Das wirkt sich auch positiv auf den Preis aus.
Einnahmen als ÖPNV-Guthaben zurückzahlen
Der internationale Maut- und Verkehrssteuerungssysteme-Anbieter Kapsch TrafficCom rechnet vor, dass staufreies Fahren bereits bei einem Tarif von im Mittel von weniger als drei Euro am Tag erreicht werden kann. Das ist nicht höher als der Preis einer Busfahrkarte. Menschen mit niedrigerem Einkommen und die, die aus beruflichen Gründen nicht auf das Auto verzichten können, werden teilweise oder vollständig befreit.
Eine City-Maut muss einhergehen mit einer Forderung an die Politik, dass die Einnahmen wenigstens teilweise an die Bürgerinnen und Bürger zurückfließen. Baden-Württemberg schlägt dazu in seinem neuen Landesmobilitätskonzept einen interessanten Weg vor: Ein Teil der Einnahmen wird individuell als Guthaben für den ÖPNV zurückgezahlt. Der andere Teil fließt in den Ausbau und Verbesserung des ÖPNV-Netzes. Beides dient dazu, die Akzeptanz erhöhen. Sind alle erst einmal im Boot, kann die Politik – natürlich bei einem attraktiven ÖPNV – erhebliche Verlagerungen vom motorisierten Individualverkehr hin zum ÖPNV bewirken: Bei einem mittleren Tarif von sechs Euro pro Tag werden bis zu 30 Prozent der Fahrten vom Auto zum ÖPNV verlagert und die Emissionen des Straßenverkehrs in Städten nahezu halbiert.
Ja, dies wird trotzdem zu Konflikten führen. Der ruhende Verkehr, also das Parken von Autos, wird aus manchen Straßen weichen müssen. Wir müssen lernen, dass Maßnahmen für lebenswerte, zukunftsfähige Städte auch mal weh tun dürfen. Es kann dabei nicht nur Gewinner geben. Aber wir alle profitieren davon. Das ist Verkehrspolitik.