Etwa 50 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland unterliegen dem europäischen Emissionshandel (ETS). Er deckt neben Großkraftwerken der Energieversorgung auch große Industrieanlagen sowie Teile des nationalen Luftverkehrs und der Wärmeversorgung größer 20 Megawatt ab und soll bis 2020 im Vergleich zu 2005 21 Prozent weniger Emissionen verursachen. Damit gilt er fälschlicherweise vielen als das zentrale Instrument der EU und Deutschlands zur Senkung der Treibhausgasemissionen.
Seit die CO2-Zertifikatspreise im September 2017 von sieben Euro auf zwischenzeitlich rund 25 Euro pro Tonne CO2-Äquivalente (CO2) gestiegen sind, wird mit Schlagzeilen wie „Schnelleres Aus für die Kohle“ oder „Der Emissionshandel straft seine Kritiker Lügen“ (Welt vom 25.8.2018) die „neue“ Wirksamkeit des ETS postuliert. Zurückgeführt wird der Preisanstieg neben dem Einstieg von Investoren und Spekulanten in den Markt um Emissionsrechte auch auf die von der EU im April 2018 beschlossenen Änderungen, um den jahrelang weitgehend unwirksamen ETS wiederzubeleben. So sollen kostenlose Zuteilungen weiter und schneller abnehmen und die Emissionsrechte um 2,2 Prozent pro Jahr sinken. Eine Marktstabilitätsreserve (MSR) soll zur Stabilisierung des Preisniveaus führen. Die Prognosen der CO2-Preisanalysten für die nächste Dekade reichen von 20 bis 100 Euro je Tonne.
Die bisherigen Erfahrungen des Emissionshandels zeigen allerdings ein ganz anderes Bild. Erstens sind die Reduktionsziele des ETS (21 Prozent von 2005-2020) zu wenig ambitioniert, um die Ziele des Klimaschutzabkommen von Paris zu erreichen. Zweitens zeigen sie, dass die Wirksamkeit des ETS für den Klimaschutz bisher gering war und die Wirkungen der letzten Reform vom April 2018 zur Erreichung der Klimaschutzziele zu spät kommen. Bereits der Projektionsbericht der Bundesregierung von 2015 kommt zu dem Schluss, dass der ETS lediglich zu einer Minderung der Emissionen von etwa einer Millionen Tonnen CO2 in Deutschland beigetragen hat. Im Vergleich: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sparte dagegen rund 142 Millionen Tonnen Treibhausgase (der Kernenergieausstieg in Deutschland hätte sonst durch fossile Erzeugung ersetzt werden müssen) ein.
Drittens führten kostenlos ausgegebene Zertifikate, Wirtschaftseinbrüche und erfolgreiche, aber nicht mit dem ETS koordinierte nationale Energiepolitiken wie das EEG, in der Kombination mit zu niedrig angesetzte Einsparzielen (Caps), zu geringer Nachfrage an Zertifikaten und damit zu niedrigen CO2-Preisen und Zertifikatsüberschüssen (1,655 Milliarden Zertifikate Ende 2017). Viertens erzielte die energieintensive Industrie allein zwischen 2008 und 2014 zahlreiche ungerechtfertigte Gewinne (sogenannte Windfall Profits) in Höhe von 4,5 Milliarden Euro, zum Beispiel durch den Verkauf von kostenlos zugeteilten oder günstig eingekauften Emissionszertifikaten. Fünftens bedeuten kostenlose Zuteilungen und niedrige Kosten für ETS-Zertifikate weniger Geld und Anreize für Investitionen in eine treibhausgasarme Zukunft der europäischen und deutschen Wirtschaft.
Investitionen löst der ETS immer nur dann aus, wenn die Vermeidungskosten durch das Abschalten von Anlagen oder einer Investition zur Emissionsminderung geringer sind, als das jeweils aktuelle oder für die Zukunft erwartete Preisniveau der Zertifikate. Die betroffenen Unternehmen kaufen jedoch eher günstige Emissionsrechte als in die Reduktion von Treibhausgasen zu investieren und sichern zukünftig möglicherweise steigende Zertifikatspreisen durch Sicherungsgeschäfte, das sogenannte „Hedging“ ab.
Sechstens führte der „Wasserbetteffekt des ETS“ (damit ist gemeint, dass nicht mehr benötigte Zertifikate in anderen Mitgliedstaaten zu höheren Emissionen führen) zu national ganz unterschiedlichen Emissionsminderungen und verhinderte bisher die Erreichung nationaler Klimaschutzziele. So haben die Emissionen im ETS-Bereich zwischen 2005 und 2017 real in Deutschland um lediglich 8 Prozent, in Frankreich hingegen um 19 Prozent abgenommen, in den Niederlanden sind sie sogar um 14 Prozent gestiegen. In Großbritannien sind sie im gleichen Zeitraum dagegen unter anderem durch die Einführung eines CO2-Mindestpreises auf die fossile Stromerzeugung um 43 Prozent gesunken.
Siebtens sind die ETS-Preise äußerst volatil. Hohe Unsicherheiten über die künftige Preisentwicklung führen so zu einem Verschieben der Investitionsentscheidungen und dem Abschalten emissionsintensiver Anlagen in die Zukunft. Bevor es zu hohen Zertifikatspreisen (Knappheit) kommt und entsprechende Investitionsentscheidungen auslöst, drohen Spekulanten zudem auf das „Einknicken“ der Politik zu wetten, die die Emissionsminderungsziele aufgibt oder darauf, dass diese nicht erreicht werden. Der Handel mit Verschmutzungsrechten bietet damit auch trotz ETS-Reform für Investitionsentscheidungen keine Planungssicherheit für Unternehmen und wird insbesondere bei steigenden Preisen zur Spielwiese von Finanzmarktwetten durch institutionelle Anleger, Banken oder Fonds.
Neben der Reduktion von ausgegebenen und kostenlosen Zertifikaten sowie der Einführung der MSR eröffnet die EU den Mitgliedsstaaten zudem die Möglichkeit eigene Klimaschutzinstrumente mit dem ETS abzustimmen und entsprechend Emissionsberechtigungen vom Markt zu nehmen. Das Argument, dass zusätzliche nationale Klimaschutzmaßnahmen mit dem ETS unvereinbar sind und nichts oder wenig bringen, gilt damit bei sinnvoller Ausgestaltung nicht mehr.
Der CO2 Abgabe e.V. mit seinen bislang rund 850 Unternehmen, Verbände, Kommunen und Einzelpersonen fordert daher verursachergerechte, sozialverträgliche und technologieoffene Deponiegebühren für Treibhausgase ohne Ausnahmen. Dies im Übrigen auch in den nicht vom EU-ETS erfassten Sektoren, wie Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft (Non-ETS). Sie sind eine wesentliche Voraussetzung, um Investitionsentscheidungen in Energie- und Ressourceneffizienz, den Ausbau erneuerbarer Energien oder die Flexibilität von Kraftwerken im Sinne des Klimaschutzes zu steuern.
Denn Deutschland ist nach der EU-Effort-Sharing-Entscheidung und der EU-Climate-Action-Verordnung rechtlich dazu verpflichtet auch im Non-ETS die Emissionen bis 2020 um 14 Prozent und bis 2030 um 38 Prozent im Vergleich zu 2005 zu senken. Von 2013 bis 2030 ist dazu für jedes Jahr ein Emissionsbudget festgelegt. In jedem Jahr, in dem das Budget überschritten wird, muss Deutschland aus anderen Ländern, die ihr Budget nicht ausgeschöpft haben Emissionsrechte zukaufen. Durch das Verfehlen der Ziele im Non-ETS könnten bei realistischen Vermeidungskosten von 100 Euro je Tonne bis 2030 Kosten von mehr als 60 Milliarden Euro auf die Steuerzahler zukommen. Sehr viel zweckmäßiger wäre das Geld dagegen auch hier in langsam steigende Gebühren für Treibhausgase angelegt, die dann Investitionsentscheidungen im Sinne des Klimaschutzes beschleunigen.
Seit mehr als zehn Jahren ist sich die Wissenschaft darin einig, dass bereits eine Erderwärmung um durchschnittlich mehr als 1,5 bis 2 Grad kaum beherrschbare und irreversible Folgen für Natur und Gesellschaft bedeuten würde. Ein Gespür für die Folgen haben wir in Deutschland spätestens in diesem Sommer bekommen. Eine realistische Chance für die Begrenzung der Erderwärmung und die Verhinderung einer „Heißzeit“ ist nur dann gegeben, wenn die Summe der globalen Treibhausgasemissionen bis 2050 limitiert wird. Genau das hat in einem breiten Konsens das Pariser Klimaschutzabkommen zum Ziel.
Es ist also höchste Zeit für die deutsche Politik zum Handeln und zur Einführung neuer Instrumente, darunter einer wirksamen Lenkungsabgabe auf Treibhausgase. Sie darf sich keinesfalls auf dem jetzt verbesserten ETS ausruhen!
Eine Langfassung des Standpunktes mit zusätzlichen Infografiken finden Sie hier auf den Seiten des Vereins für eine nationale CO2-Abgabe e.V.