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Agrar & Ernährung

Standpunkte Der Mehrwertsteuer-Irrsinn bei Pflanzendrinks – Zeit für eine faire Anpassung

Svenja Fritz, General Manager Oatly DACH & Polen, Foto: Oatly
Svenja Fritz, General Manager Oatly DACH & Polen, Foto: Oatly Foto: General Manager Oatly DACH & Polen

Die Ungleichbehandlung bei der Besteuerung von pflanzlichen und herkömmlichen Milchprodukten muss ein Ende haben, meint Svenja Fritz, General Manager DACH & Polen beim schwedischen Lebensmittelunternehmen Oatly. Dafür, dass Pflanzendrinks mit dem ermäßigten Steuersatz für Grundnahrungsnahrungsmittel besteuert werden, gebe es eine Vielzahl an politisch-gesellschaftlichen Argumenten.

von Svenja Fritz

veröffentlicht am 06.11.2024

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Die steuerliche Ungleichbehandlung von Kuhmilch und Pflanzendrinks ist nicht mehr zeitgemäß und muss dringend reformiert werden. In Deutschland werden grundlegende Lebensmittel wie Brot, Gemüse, Fleisch sowie Milch und Milchprodukte steuerlich begünstigt. Pflanzendrinks hingegen fallen nicht unter diese Regelung. Dies führt dazu, dass Milchersatzprodukte wie Hafer- oder Sojadrinks mit einem Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent belastet werden, während Kuhmilch mit nur sieben Prozent versteuert wird. Dadurch sind pflanzliche Optionen häufig deutlich teurer als ihre tierischen Pendants.

Erst kürzlich verabschiedete die Politik neue (Umsatz-)Steueränderungen. Davon unberücksichtigt bleiben jedoch Pflanzendrinks, obwohl es bereits im August 2023 von Steuerexpert:innen der Regierungskoalition (Grüne und SPD) Bestrebungen gab, die Mehrwertsteuer für Milch und pflanzliche Alternativen wie Haferdrinks anzugleichen.

Doch wie es scheint, fehlte auch hier der Mut für eine progressivere Klimaschutz- und Ernährungspolitik. Die Ungleichheit zwischen Pflanzendrink und Kuhmilch schadet nicht nur dem Klima, sondern spiegelt auch nicht mehr die veränderten Ernährungsgewohnheiten in Deutschland wider.

Als Wirtschaftsunternehmen sehen wir uns mit strukturellen Nachteilen und erheblichen Wettbewerbsverzerrungen konfrontiert. Dabei sprechen Argumente auf drei verschiedenen Ebenen dafür, diese Unverhältnismäßigkeit zu beheben.

Ernährungs- und gesundheitsspezifische Gründe

Ernährungsspezifisch sind Pflanzendrinks für viele Menschen eine sinnvolle Wahl, insbesondere für jene, die aus ethischen oder gesundheitlichen Gründen auf tierische Produkte verzichten, laktoseintolerant sind oder allergisch auf Milcheiweiß reagieren. Dass sich die Ernährungsgewohnheiten in den vergangenen Jahren erheblich gewandelt haben, hat auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung in ihren aktuellen Empfehlungen anerkannt, indem sie pflanzliche Alternativen integriert hat.

Dennoch werden Konsument:innen pflanzlicher Milchprodukte nach der geltenden Gesetzeslage systematisch benachteiligt. Die ungleiche Besteuerung und zusätzliche Subventionierungsmaßnahmen führen zu einer Preisgestaltung, die die Wahlfreiheit der Verbraucher:innen einschränkt. Viele Pflanzendrinks können im direkten Preiswettbewerb mit Kuhmilch nicht bestehen, obwohl bereits kleine Preisunterschiede oft entscheidend für die Kaufentscheidungen sind.

Wirtschaftliche Argumente

Ökonomische Gründe gegen eine Gleichbehandlung von pflanzlichen und herkömmlichen Produkten sind zudem schwer haltbar: Das Institute for Policy Evaluation (IPE) hat erst 2023 untersucht, dass die Einsparungen bei den Klimafolgekosten die entgangenen Steuereinnahmen, die durch den höheren Steuersatz für Pflanzendrinks erzielt werden würden, mehr als ausgleicht. Durch eine Reduzierung des Steuersatzes von Pflanzendrinks auf sieben Prozent würde es zu einem Ausfall von Steuereinnahmen in Höhe von rund 40 Millionen Euro kommen.

Stellt man diesen die eingesparten Klimafolgekosten gegenüber, die durch eine umwelt- und ressourcenschonendere Produktion von Pflanzendrinks vermieden würden, könnten laut Analyse des IPE rund 62 Millionen Euro eingespart werden. Eine wirtschaftliche Argumentation gegen eine Angleichung ist vor diesem Hintergrund nicht haltbar und stünde den deutschen und europäischen Klimazielen entgegen.

Der naheliegende Umwelt- und Klimaschutz

Es ist paradox, dass ausgerechnet die pflanzlichen Optionen steuerlich benachteiligt werden, obwohl sie das Klima nachweislich weniger belasten. Ein Beispiel: Die in Deutschland verkaufte Oatly Barista hat laut einer aktuellen Studie eine um 65 Prozent geringere Klimabelastung als vergleichbare Kuhmilch.

Deutschland und die EU haben im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsstrategie und des Green Deals hohe Ziele gesetzt, um das Lebensmittelsystem und auch die Landwirtschaft fair, gesund und nachhaltiger zu gestalten. Diese Ziele müssen wir weiter verfolgen. Eine Anpassung der Umsatzsteuer bleibt jedoch vorrangig die Kompetenz der Nationalstaaten.

Obwohl im Ergebnisreport des Strategiedialogs zur Zukunft der Landwirtschaft in der EU dazu geraten wird, dass die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten Steuern, wie beispielsweise die Mehrwertsteuer auf nachhaltige Produkte, senken sollten, um klare Preissignale für Verbraucher:innen zu setzen („The European Commission and Member States should provide fiscal tools that seek to foster coherent price signals, in form of tax reduction, for consumers, such as VAT reductions on more sustainable products”), gehen die einzelnen Länder unterschiedlich damit um.

Positivbeispiele wie Tschechien und Portugal, die vorherige Mehrwertsteuer-Unterschiede zwischen Kuhmilch und Pflanzendrinks inzwischen angepasst haben, sollten Deutschland als Vorbild dienen. Die Bundesrepublik hingegen zählt neben Österreich, Italien und Spanien zu den EU-Staaten, in denen der Unterschied bei der ungleichen Besteuerung besonders hoch ist.

Um die mittel- und langfristigen Klimaziele zu erreichen und zukunftsfähig zu wirtschaften, muss die Regierung die signifikante Wettbewerbsverzerrung beseitigen und faire Marktbedingungen für alle Akteur:innen schaffen. Wir sehen die Politik in der Pflicht, nachhaltige Entscheidungen zu treffen, die zukunftsweisende Veränderungen bringen und die (inter-)nationalen Klimaziele berücksichtigen.

Klimaschutz beginnt im Kleinen, wie beim eigenen Konsum, und hört im Großen nicht auf, wenn es um geeignete politische Rahmenbedingungen geht.

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