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Standpunkte Der Kohleausstieg muss europäischer werden

Sabine Schlacke, Leiterin Institut für Umwelt- und Planungsrecht der Universität Münster
Sabine Schlacke, Leiterin Institut für Umwelt- und Planungsrecht der Universität Münster Foto: Universität Münster

Die nationale Kohleausstiegsstrategie setzt positive Anreize, berücksichtigt aber die Europäische Union zu wenig: Europäische Berichtspflichten, Unterstützungsmöglichkeiten und Kooperationsmöglichkeiten fehlen, bemängeln Sabine Schlacke von der Universität Münster und Michèle Knodt von der TU Darmstadt in ihrem Standpunkt.

von Sabine Schlacke

veröffentlicht am 30.01.2019

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In ihrem Abschlussbericht liefert die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ (sog. „Kohlekommission“) umfangreiche Vorschläge zur schrittweisen Beendigung der Kohleverstromung in Deutschland. Damit hat das Gremium eine wichtige energiepolitische Arbeit geleistet. Die Kommission skizziert einen Ausstiegsplan, empfiehlt Unterstützungsmaßnahmen für Kohlebundesländer und Beschäftigte sowie Entlastungen für Haushalte und Industrie. Darüber hinaus benennt sie wesentliche Technologien und Instrumente für eine sichere künftige Stromversorgung.

Neben vielen positiven Ansätzen fehlen jedoch wichtige Elemente für eine erfolgreiche Ausgestaltung des Kohleausstiegs. Einerseits gilt es, diese nationale Strategie europa- und verfassungskonform gesetzlich zu verankern und in den deutschen Energie- und Klimaplan zu integrieren, andererseits sollte die Strukturentwicklung viel stärker europäisch flankiert werden. Und schließlich braucht es Ansätze, um den Kohleausstieg europäisch statt rein national zu denken und in Bündnissen voranzutreiben.

Der Bericht empfiehlt eine schrittweise Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung in Deutschland bis Ende 2038. Primär solle eine einvernehmliche Verhandlungslösung zwischen Staat und Kohlekraftwerksbetreibern unter Berücksichtigung von Entschädigungszahlungen erzielt und nur bei mangelnder Einigung ein ordnungsrechtliches Abschaltgesetz infrage kommen. Die Optionen hierfür nennt der Bericht nicht: Aus verfassungsrechtlicher Sicht bieten sich gesetzlich festgelegte Abschaltzeitpunkte für Kohlekraftwerke an. Striktere CO2-Grenzwerte oder die Zuweisung fester CO2-Budgets unterliegen indes unionsrechtlichen Bedenken.

Reststrommengen für Kohlekraftwerke?

Die Festlegung von Reststrommengen pro Kraftwerk hat den Nachteil, dass es an einem fixen Zeitpunkt für das Abschalten fehlt. Unabhängig davon, ob eine informelle Einigung zwischen Staat und Privaten zustande kommt, bedarf es aus verfassungsrechtlicher Perspektive einer gesetzlichen Grundlage für den Kohleausstieg, da es sich um einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der Kohlekraftwerksbetreiber handelt. Bei der Suche nach einer einvernehmlichen Einigung zwischen Staat und Privaten sollte eine Überkompensation zugunsten der Kraftwerksbetreiber vermieden werden.

Einvernehmliche Absprachen zwischen Staat und Privaten haben in der Vergangenheit im Umweltrecht kaum Erfolg gehabt. Die Gefahr: Der rechtssichere Ausstieg aus der Kohleverstromung droht sich zu verzögern. Zu befürchten ist auch, dass Deutschland seinen Berichtspflichten aus der Ende des letzten Jahres in Kraft getretenen und energiepolitisch zentralen „Verordnung über das Governance-System für die Energieunion und für den Klimaschutz“ (kurz: Governance-Verordnung) damit nicht nachkommt. Diese verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten, einen integrierten nationalen Energie- und Klimaplan (iNEK-Plan) an die EU zu liefern. Darin muss jedes Land schlüssig erklären, wie die EU-weiten Ziele in den Bereichen Treibhausgasreduktion, erneuerbare Energien und Energieeffizienz bis 2030 erreicht werden sollen.

Der vom Bundeswirtschaftsministerium erstellte Entwurf für den deutschen iNEK-Plan weist bezüglich der Kohleverstromung bislang Leerstellen auf. Den EU-rechtlichen Pflichten sollte durch eine Ergänzung rasch nachgekommen werden, um ein Vertragsverletzungsverfahren seitens der Europäischen Kommission zu vermeiden. Die Verhandlungen mit den Kraftwerksbetreibern müssen schon deshalb auf einen engen Zeitrahmen begrenzt werden. Falls sie scheitern, sollte schnell ein Ausstiegsgesetz erlassen werden, um Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu erzielen.

Chancen für europäische Förderung werden versäumt

Darüber hinaus streift der Bericht der „Kohlekommission“ die Unterstützungsmöglichkeiten durch die Europäische Union für einen Kohleausstieg nur am Rande. Es wird vorrangig auf bestehende Finanzierungsmöglichkeiten der Struktur- und Investitionsfonds sowie Initiativen wie „Coal- and Carbon-Intensive Regions“ verwiesen; nur kurz werden allgemein beihilferechtliche Forderungen innerhalb der EU angemahnt. Die geforderten Finanzierungsmaßnahmen gehen jedoch an der Realität vorbei, sich bietende Chancen werden dazu versäumt.

Die Kommission sieht in dem Vorschlag des Europäischen Parlaments für die Errichtung eines neuen Fonds für eine gerechte Energiewende einen vielversprechenden Ansatz und bittet die Bundesregierung, dieses Vorhaben zu unterstützen. Der Vorschlag ist Teil eines Forderungskatalogs, der in Summe eine massive Ausweitung des mehrjährigen Finanzrahmens der EU bedeuten würde. In Zeiten des „Brexit“ und der Zurückhaltung der Mitgliedstaaten bei der Finanzausstattung der EU besteht jedoch das Risiko, dass dieser Vorschlag von den Mitgliedstaaten abgelehnt wird.

Statt einen „utopischen“ zusätzlichen Fonds für die Kohlekonversion im Gesamthaushalt zu fordern, hätte die Kommission vielmehr die Bundesregierung auf die Umverteilungsmöglichkeiten innerhalb der europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds) aufmerksam machen sollen. Hier wird im vorgelegten Papier nur auf das existierende Spektrum an Unterstützungs-, Beratungs- und Fördermöglichkeiten verwiesen – kein Wort davon, dass gerade die ESI-Fonds für die neue Förderperiode ab 2021 neu verhandelt werden.

Ein zielführender Ansatz wäre hier gewesen, dass innerhalb des Budgets der ESI-Fonds eine Verschiebung hin zur Problematik der Konversion von Kohlerevieren, etwa eine explizite Priorität der „gerechten Transition“, vorgenommen wird. Auf diese Weise hätte die Bundesregierung gute Chancen, im Schulterschluss mit anderen EU-Kohleländern ein positives Ergebnis zu erzielen.

Regionale Kooperation mit EU-Kohleländern fehlt

Ein weiterer Kritikpunkt: Im Bericht fehlt die regionale Kooperation mit anderen EU-Kohleländern. Diese ist in der Governance-Verordnung ebenfalls verankert, auf die die Kohlekommission aber inhaltlich nicht eingeht. Der Verweis auf die „Kohleplattform“ (Coal Regions in Transition Platform) der EU bleibt ohne Aufforderung an die Bundesregierung, hier die Kooperation mit Polen und anderen Kohleländern zu forcieren. Auch ein stärkeres Engagement in dieser Initiative wird nicht gefordert.

Hier werden wichtige Chancen verspielt, um eine europäische Lösung für den Kohleausstieg zu finden. Dabei sollte der deutsche Kohleausstieg eng mit den EU-Nachbarstaaten und der europäischen Ebene abgestimmt werden. Ein dazu geeignetes Instrument sind Vorreiterallianzen zwischen einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Sie erlauben es, wirksame Klimainitiativen anzustoßen, die sonst etwa an fehlenden Mehrheiten scheitern würden. Würde Deutschland eine Kohleausstiegsallianz mit EU-Partnern bilden, könnte die Bundesrepublik ein starkes Signal an weitere Länder mit einem hohen Kohleanteil am Energiemix senden und so zum Vorbild werden. 

Prof. Dr. Michèle Knodt ist Direktorin des Jean Monnet Centre of Excellence „EU in Global Dialogue“ (CEDI) am Institut für Politikwissenschaft an der TU Darmstadt, Sabine Schlacke führt die Geschäfte des Instituts für Umwelt- und Planungsrecht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Beide haben gemeinsam mit Christoph Böhringer (Universität Oldenburg) die Arbeitsgruppe „Governance für die Europäische Energieunion“ des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) geleitet. Im Dezember 2018 hat die Arbeitsgruppe ihre Ergebnisse in einer Stellungnahme veröffentlicht.

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