Standpunkte Die CO2-Steuer ist das falsche Instrument

Johan Lilliestam, Forschungsgruppenleiter des Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS)
Johan Lilliestam, Forschungsgruppenleiter des Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS)

Wer eine CO2-Besteuerung fordert und gleichzeitig die Einkünfte zurück an die Bevölkerung geben will, statt sie zu investieren, schwächt die Wirkung des Instruments deutlich ab, argumentiert Johan Lilliestam vom Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam in seinem Standpunkt. Wirkungsvoller seien zum Beispiel Änderungen des Strommarktdesigns und Infrastrukturprogramme, um klimaneutralen Technologien den Aufbruch aus ihren Nischen zu ermöglichen.

von Johan Lilliestam

veröffentlicht am 04.04.2019

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Murielle Gagnebin und Patrick Graichen schreiben in Tagesspiegel Background, „so gut wie alle Klima- und Energieforscher“ seien sich einig, dass eine CO2-Steuer auf den Verbrauch von fossilen Energien geeignet wäre, um „ernsthaften Klimaschutz“ umzusetzen. Da eine CO2-Steuer ökonomisch schwächere Menschen stärker benachteiligt, müssten diese CO2-Steuereinnahmen an die Bevölkerung durch einen Umverteilungsmechanismus zurückgezahlt werden, um sozialverträglich zu sein. Dies klingt intuitiv sinnvoll, aber unsere Forschung zeigt, dass eine CO2-Steuer nur wenig dazu beitragen kann, die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen und den Forderungen deutscher Schülerinnen und Schüler nach einem ambitionierten Klimaschutz nachzukommen – insbesondere dann nicht, wenn die Einnahmen an die Bürger zurückgezahlt werden.

Eine CO2-Steuer soll zwei wesentliche Effekte haben, die zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes beitragen können:

Erstens entfaltet sie eine Lenkungswirkung, da sie CO2-intensiven Konsum, vor allem von Energie, verteuert. Dies soll zum Beispiel dazu führen, dass weniger Auto gefahren wird und dass klimafreundliche Mobilitäts-Alternativen ökonomisch attraktiver werden. In Sonderfällen, wenn Produkte direkt substituierbar sind und die Preisspanne zwischen ihnen klein ist, können CO2-Preise größere Veränderungen auslösen. So zum Beispiel in Großbritannien, wo der CO2-Preis höchstwahrscheinlich dazu beigetragen hat, Kohle aus dem Strommix zu verdrängen und durch Erdgas zu ersetzen. Ein hoher CO2-Preis kann also in bestimmten Fällen dazu beitragen, Emissionen zu reduzieren.

Zweitens generiert sie Steuereinnahmen, die gezielt für weitere Dekarbonisierungsprogramme verwendet werden können. Dies können zum Beispiel Förderprogramme für Wind- und Solarkraft oder -wärme sein oder Infrastrukturmaßnahmen, die für eine erneuerbare Zukunft unabdingbar sind, aber sich schwer mit privaten Mitteln finanzieren lassen. Wenn aber, wie Gagnebin und Graichen vorschlagen, die CO2-Steuereinnahmen direkt an die Bürger zurückgezahlt werden, entfällt dieser zweite Effekt und es kann sich lediglich die Lenkungswirkung entfalten.

Die Frage, die sich also stellt, ist, ob diese Lenkungswirkung eintreten würde und ob sie allein ausreicht, um eine ambitionierte, effektive Klimapolitik im Rahmen des Pariser Abkommens umzusetzen.

Um den Temperaturanstieg auf unter zwei Grad zu begrenzen, müssen die CO2-Emissionen des Energiesektors vor Mitte des Jahrhunderts auf null sinken. Wenn also ein CO2-Preis dazu beiträgt, Energieverbrauch und Emissionen zu senken, ist das gut, aber es ist nicht ausreichend. Um Null-Emissionen im Energiesektor zu schaffen, muss jede Kilowattstunde völlig CO2-neutral sein – und dann ist es wiederum irrelevant, wie viele Kilowattstunden wir verbrauchen. Für das Zwei-Grad-Ziel brauchen wir also nicht unbedingt noch effizientere Technologien, aber zwingend notwendig ist ein gänzlich neues Energiesystem.

Denn viele der benötigten Technologien, zum Beispiel für CO2-freie Stromerzeugung und klimaneutrales Autofahren, existieren seit Langem – und viele davon sind heute im Wesentlichen bereits wettbewerbsfähig. So ist eine Kilowattstunde neuer Windstrom in der Regel billiger als eine Kilowattstunde neuer Kohlestrom und ein neues E-Auto ist über den ganzen Besitz-Zyklus gerechnet oft günstiger als ein vergleichbarer neuer Benziner.

Die Verwendung der Einnahmen ist der entscheidende Hebel

Frühere Forschung in den wenigen Ländern mit hohen CO2-Steuern hat vor knapp zehn Jahren gezeigt, dass es nicht die Lenkungswirkung, sondern die Verwendung der Einnahmen war, die die Emissionen verringerte. Heute hat sich dank gezielter Forschungs- und Ausbauprogramme die Kostendifferenz zwischen klimafreundlicher und fossiler Energienutzung dramatisch verringert oder sich sogar umgedreht. Eine CO2-Steuer adressiert also eine Barriere, die keine mehr ist. Daher ist zu erwarten, dass die Lenkungswirkung sogar komplett wegfällt: Wenn die klimaneutralen Alternativen bereits billiger sind, brauchen sie die Hilfe des Verteuerns von klimaschädlichen Optionen nicht mehr.

Auf der anderen Seite schafft es eine CO2-Steuer aber nicht, die Barrieren zu beseitigen, die einer klimafreundliche Transformation des Energiesektors heute im Weg stehen: Die Infrastruktur und die Institutionen, die unsere Energieversorgung regeln. Beispiele sind der dringend benötigte Netzausbau, um Windkraft effektiv in Deutschland und Europa zu verteilen; das Strommarktdesign, das perfekt an Fossil- und Atomstrom angepasst ist, aber mit schwankenden erneuerbaren Energien kaum hantieren kann; oder die fehlende Ladeinfrastruktur für Elektroautos.

Probleme dieser Natur werden durch eine CO2-Steuer nicht angegangen – außer, die Einnahmen werden dazu genutzt, die Stromnetze und Ladeinfrastruktur auszubauen. Die Netze müssen von Grund auf neu ausgerichtet und an die Bedürfnisse des Neuen und nicht des Alten angepasst werden.

Gagnebin und Graichen haben recht, wenn sie sagen, dass eine CO2-Steuer eine soziale Schieflage bringen kann. Aber wenn man diese durch direkte Rückzahlungen vermeiden will, wird die CO2-Steuer auch kaum Wirkung zeigen. Wenn die Energiewende erfolgreich sein soll, wird es Zeit, dass Deutschland und Europa weniger über CO2-Besteuerung reden und mehr über die Politikmaßnahmen, die dringend benötigt werden und Wirkung zeigen werden: Institutionelle Anpassungen des Strommarktdesigns an die Bedürfnisse und Charakteristika der Erneuerbaren und Infrastrukturprogramme, um klimaneutralen Technologien den Aufbruch aus ihren Nischen hin zu voller Marktdurchdringung zu ermöglichen. Dies kann durch eine CO2-Steuer (ko-)finanziert werden, aber die Steuer allein wird nicht zum Ziel der CO2-Neutralität führen.

Quellen: Patt, A., Lilliestam, J. (2018): The case against carbon prices, in: Joule 2 (12), pp. 2494-2498; Lin, B., Li, X. (2011): The effect of carbon tax on per capita CO2 emissions, in: Energy Policy 39, pp. 5137-5146

Johan Lilliestam ist Professor für Energiepolitik an der Universität Potsdam und Leiter der Forschungsgruppe Dynamik der Energiewende am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam.

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