2,7 Milliarden. Das ist die Anzahl der Menschen, die Facebook aktiv nutzen – mehr Bürgerinnen und Bürger, als in den USA und in der EU zusammen leben. Aber macht das die Technologieriesen zu ebenbürtigen Partnern von Staaten in der internationalen Politik? Für mehr und mehr politische Entscheidungsträger scheinbar schon.
So empfingen führende Politikerinnen und Politiker Mark Zuckerberg, als dieser im März auf Europa-Tour war, darunter Frankreichs Präsident Macron. Und Microsoft arbeitet daran, eine Art eigene Genfer Konvention für Cybersicherheit voranzutreiben. Gleichzeitig reisen Minister als „Tech-Touristen“ zu den Innovationszentren, als ob sie Tribut zollen würden.
Das dahinterliegende Interesse ist verständlich: Natürlich sollte die Politik nah dran sein an dem, was in der schnelllebigen digitalen Welt passiert. Denn die nächste große Plattform wird wahrscheinlich schon in einer Uni-Mensa im Silicon Valley ausgebrütet.
Gemeinsame Normsetzung im Digitalen Zeitalter
Aber es überzeugt nicht, dass Deutschland und Europa ausschließlich diejenigen Unternehmen umwerben, deren Geschäftsmodelle eine ganze Reihe gesellschaftskritischer Fragen aufwerfen. Anstatt nur in Tech-Unternehmen neue Partner zu sehen, sollte Deutschland nach Akteuren mit digitalem Know-how suchen, die seine demokratische Legitimität teilen: in Allianzen mit Städten und Regionen, allen voran Kalifornien.
Das Auswärtige Amt hat bereits erste Schritte unternommen. Es hat einen digitalen Botschafter eingerichtet und neue Experten, die wichtige Entwicklungen in der digitalen Politik und Innovation abdecken sollen. Aber es könnte um deutlich mehr gehen, nämlich eine gemeinsame Normsetzung für das digitale Zeitalter.
Eine Möglichkeit dazu wäre, sich an den Beispielen im Inland zu orientieren und nach regionalen politischen Partnern im Ausland zu suchen. Überall auf der Welt dienen Städte und Regionen als Laboratorien der digitalen Demokratie. So entwickelte Baden-Württemberg beispielsweise den Innovationscluster „Cyber Valley“, entwarf lange vor der Bundesregierung eine KI-Strategie und brachte Berlin dazu, seine Aufmerksamkeit KI-Forschungsclustern zu widmen.
Erfolg mit regionalen Allianzen
Regionale Allianzen spiegeln außerdem das wider, was Technologieunternehmen so erfolgreich macht. Eine Idee wird von einer Region getestet und diese Erfahrungen werden – durch Feedbackschleifen und Informationsaustausch – an andere regionale und nationale Entscheidungsträger weitergegeben. Kombiniert mit Sandboxes, agiler Entscheidungsfindung und staatlichen Technologieplattformen könnten diese Allianzen viel besser auf neue technologische Entwicklungen reagieren.
Keine Stadt ist für eine solche Allianz naheliegender als Sacramento, Kaliforniens Hauptstadt. In zwei wichtigen Bereichen – Klimawandel und Technologiepolitik – haben sich Kalifornien und Europa angenähert: Zur Bonner Klimakonferenz schickte Kalifornien 2017 eine größere Delegation als die Trump-Regierung und leitet die Under2Coalition von Regionen und Städten, die sich trotz des Rückzugs Washingtons zum Pariser Klimaschutz-Abkommen bekennen.
Auch im Bereich Datenschutz ähneln sich die Konzepte so sehr, dass das kalifornische Datenschutzgesetz, seit Juni 2018 in Kraft, bereits als amerikanische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bezeichnet wird. Der Bundestaat hat außerdem eines der ersten Gesetze zu Social Bots verabschiedet, die nun ihre künstliche Identität offenlegen müssen. Und erst vor kurzem änderte Kalifornien die Regeln der Gig-Economy grundlegend, indem es Unternehmen wie Uber verpflichtete, ihre Fahrer als Mitarbeiter anzuerkennen. Darüber hinaus hat der Bundesstaat vor ein paar Wochen ein Verbot von DeepFakes verabschiedet, die Einfluss auf den Ausgang von Wahlen haben könnten.
Ähnliche Fragen in Berlin und Kalifornien
Das Beispiel Uber zeigt, dass die neuen Geschäftsmodelle der Technologieunternehmen ähnliche Fragen aufwerfen, ob in Berlin oder Kalifornien. Es bietet sich daher an, mit denjenigen Städten und Regionen enger zusammen zu arbeiten, die die Interessen von Berlin und Brüssel teilen. Über Kalifornien hinaus könnte dies neue Formen der Diplomatie mit Shenzhen, Tel Aviv oder Quebec umfassen. Und das gilt nicht nur für die digitalen Hotspots: genauso könnten Städte, die Börsenplätze beherbergen – Frankfurt, New York City, London –, mit Unternehmen zusammenarbeiten, um höhere Standards für Fairness, Transparenz und Datenschutz zu erreichen.
Die DSGVO hat bewiesen, dass Deutschland und Europa das digitale Zeitalter prägen können, indem sie sich für ihre Werte einsetzen. Dabei fehlt es nicht an internationalen Verbündeten, die sich anschließen wollen. Jetzt gilt es, eine Form der Tech-Diplomatie zu entwickeln, die sich nicht nur an Unternehmen richtet, sondern das Potenzial neuer transatlantischer Koalitionen nutzt.
Tyson Barker arbeitet als Program Director für transatlantische und digitale Themen beim Aspen Institute Germany.
Danyal Bayaz ist Bundestagsabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen und sitzt unter anderem im Finanzausschuss sowie als stellvertretendes Mitglied im Ausschuss Digitale Agenda.