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Standpunkte Das Recht auf Reparatur kann nur der Anfang sein

Paul Heimann, CEO von Kleinanzeigen
Paul Heimann, CEO von Kleinanzeigen Foto: Patricia Kalisch

Reparieren statt wegwerfen: Mit dem Recht auf Reparatur will die EU Kreislaufwirtschaft fördern und Müll vermeiden. Das ist sinnvoll, kann aber nur der Anfang sein, sagt Paul Heimann. Der Kleinanzeigen-CEO erklärt, was in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft jetzt passieren muss, damit das neue Gesetz nicht zum Scheitern verurteilt ist.

von Paul Heimann

veröffentlicht am 02.09.2024

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Das größte Containerschiff der Welt ist so lang wie vier Fußballfelder – und trotzdem viel zu klein. Denn nach Berechnungen der EU-Kommission entstehen allein dadurch, dass Produkte entsorgt werden, die eigentlich repariert werden können, jährlich rund 35 Millionen Tonnen Abfall. Für die Entsorgung bräuchte es demnach mehr als 145 jener weltgrößten Schiffe.

Diese Verschwendung ist ein Produkt der Wohlstandsgesellschaft. Weil alles immer günstiger verfügbar ist, haben sich Verbraucher daran gewöhnt, einfach eine neue Kaffeemaschine oder Mikrowelle zu kaufen, wenn die alte nicht mehr funktioniert.

Zudem sind Produkte auch oft so konstruiert, dass sie schwer zu reparieren sind. Wer sich beispielsweise daran erinnert, wie schnell sich der Akku eines Nokia 3210 wechseln ließ, wird umso mehr verzweifeln bei dem Versuch, ein iPhone zu öffnen. Folglich werden immer weniger Reparaturen nachgefragt. Manche vermuten gar, dass die Lebenszeit eines Produkts vom Hersteller bewusst begrenzt wird. Fachleute nennen das geplante Obsoleszenz. Viele kennen es: Oft scheinen Produkte just dann den Geist aufzugeben, wenn das Ende der Gewährleistungsfrist gerade überschritten ist. Eine Reparatur ist teils unmöglich oder schlicht unverhältnismäßig teuer. Die Folge: Neukauf.

Mehr Kreislaufwirtschaft, weniger Müll

Wegwerfen und neu kaufen, statt reparieren (zu lassen): Dem will die EU nun ein Ende bereiten. Erst vor kurzem hat sie eine neue Richtlinie auf den Weg gebracht, die nicht weniger beinhaltet als ein Recht auf Reparatur für Verbraucher. Sie nimmt Hersteller in die Pflicht, Produkte schnell und kostengünstig zu reparieren. Bei Geräten, die in der Gewährleistungszeit repariert werden, verlängert sich der Haftungszeitraum um ein Jahr. Aber auch nach Ablauf der Gewährleistung müssen die Hersteller gängige Haushaltsprodukte wie Waschmaschinen, Staubsauger und sogar Smartphones wieder in Stand setzen. Künftig könnte die Liste der Produkte noch länger werden.

Der EU ist damit ein erster Schritt gelungen – für mehr Kreislaufwirtschaft und weniger Müll. Das ist richtig und wichtig. Aber jetzt sind andere gefordert. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft: Auf diesen drei Ebenen wird sich nun entscheiden, ob aus der Idee der EU ein Erfolg wird – oder ein Rohrkrepierer. Sie sind maßgeblich verantwortlich dafür, wie es mit dem Recht auf Reparatur nun weitergeht. Der Aufschlag ist gemacht, erste Ideen liegen auf dem Tisch. Doch was muss auf den drei Ebenen jetzt passieren, damit am Ende der Effekt eintritt, den sich der Gesetzgeber erhofft?

Ampel muss ihre Vorhaben umsetzen

Auf der politischen Ebene sind die Regierungen der einzelnen Mitgliedstaaten gefragt. Sie haben jetzt zwei Jahre Zeit, die Richtlinie der EU in nationales Recht zu übersetzen. Die gute Nachricht: Deutschland beginnt nicht auf einem weißen Blatt Papier. So steht das Recht auf Reparatur im Koalitionsvertrag der „Ampel“. In diesem Jahr soll das entsprechende Gesetz vorgelegt werden. Bisher ist jedoch noch nichts passiert. Ähnlich verhält es sich mit dem Förderprogramm „Reparieren statt Wegwerfen“, mit dem die Koalition den Aufbau einer Reparatur-Infrastruktur unterstützen möchte. Etwa indem sie Repair Cafés und andere ehrenamtliche Initiativen fördert. Seit Anfang 2024 sollten Betriebe die im Bundeshaushalt verplanten Mittel abrufen können. Doch bisher blicken sie in die Röhre. Die Regierung läuft ihren Vorhaben also schon seit zweieinhalb Jahren hinterher. Höchste Zeit, dass sie endlich ins Umsetzen kommt. Die neue EU-Richtlinie ist ein idealer Zeitpunkt dafür.

Unternehmen müssen Geräte reparierbar machen – und dazu informieren

Aber nicht nur die Politik, auch die Wirtschaft ist gefordert. Schließlich nimmt die EU sie künftig stärker in die Pflicht. Das beginnt schon damit, dass das Recht auf Reparatur sie verpflichtet, ihre Geräte so zu fertigen, dass sie überhaupt reparierbar sind. Die Zeiten, in denen allein Fachleute ein iPhone öffnen können, um beispielsweise den Akku zu tauschen, sind dann vorbei. Auch sind Praktiken, die die Reparatur und Verwendung kompatibler und wiederverwendbarer Ersatzteile mittels Software verhindern, künftig Geschichte. Viele Hersteller haben dieses Schlupfloch bislang rege genutzt. Stattdessen sind sie nun gefordert, ihre Fertigung auf reparierbare Produkte umzustellen.

Neben der Produktion verändert sich auch der Service. So müssen Unternehmen laut Richtlinie ihre Kunden künftig beispielsweise über ihre Reparaturdienste informieren und dabei angeben, wie viel die gängigsten Reparaturen kosten. Allerdings darf die Informationspflicht an dieser Stelle nicht enden. Vielmehr müssen Hersteller zu einer detaillierten Kommunikation mit ihren Kunden verpflichtet werden. Diese Kommunikation muss Verbraucher in die Lage versetzen, Reparaturen auch selbst durchführen zu können, um unabhängiger zu werden vom Service der Unternehmen. Auch das ist Teil eines nachhaltigen Produktlebenszykluses. Hier ist die Wirtschaft also gefordert, eine ganzheitliche Reparaturleistung zu etablieren, die diesen Namen verdient.

Deutschland braucht eine Reparatur-Infrastruktur

Die Gesellschaft ist hier bereits einen Schritt weiter. Der Schutz der Umwelt aber auch der des eigenen Geldbeutels haben die Menschen hierzulande umsichtiger werden lassen. Immerhin zahlen Verbraucher in Europa insgesamt zwölf Milliarden Euro pro Jahr für Produkte, die sie ersetzen müssen, statt sie reparieren zu können. Folglich geben laut EU-Analyse drei von vier Befragten an, dass sie ein Gerät lieber reparieren lassen würden, als es neu zu kaufen. Aber sie brauchen Unterstützung. Etwa beim Service: So muss die Richtlinie auch ein Anschub dafür sein, dass in Deutschland eine entsprechende Reparatur-Infrastruktur aufgebaut wird. Nicht nur mit Herstellern, sondern auch durch unabhängige Werkstätten.

Die Notwendigkeit eines Rechts auf Reparatur ist unumstritten. Schließlich sind reparierbare Produkte langlebiger, wodurch weniger Ressourcen verbraucht werden und folglich weniger CO₂-Emissionen entstehen. Es macht Deutschland auch unabhängiger von fragilen Lieferketten, wenn mehr von diesen Ressourcen so lange wie möglich genutzt werden, die ohnehin schon im Umlauf sind. Ein Prinzip, das auch der bewusste Gebrauchtkauf verfolgt. Angebote, die das fördern, gibt es bereits. Mit der neuen Richtlinie hat die EU einen ersten Aufschlag gemacht. Jetzt liegt es an allen Beteiligten, daraus einen nachhaltigen Erfolg zu machen. Das Recht auf Reparatur kann deshalb nur ein Anfang sein.

Paul Heimann ist der Geschäftsführer von Kleinanzeigen.

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