Ein Leben ohne Smartphone? Das erscheint nicht nur den Digital Natives vormodern. Je selbstverständlicher und für unseren Alltag unverzichtbarer etwas ist, desto ärgerlicher sind die Defizite. Eine flächendeckend stabile Mobilfunkversorgung ist kein Nice-to-have, sondern Anforderung der Zeit. Und da hilft es nur bedingt, auf Statistiken zu verweisen. Über allem steht die Lebenswirklichkeit. Die Versorgungsdarstellungen – erst Recht solche, die die Abdeckung mehrerer Netze übereinanderlegen – entsprechen nicht den Erfahrungen der Nutzerinnen und Nutzer, deren Verbindungen immer wieder abreißen.
Hier endlich für spürbare Verbesserungen zu sorgen, ist Verpflichtung für Netzbetreiber in der Umsetzung und für die Politik bei der Regulierung und Aufsicht. Das „Jemand anders ist zuständig“-Spiel wurde lange genug gespielt. Ja, auch in Nordrhein-Westfalen gibt es noch zu viele weiße Flecken, die von gar keinem Anbieter mit 4G oder 5G versorgt werden.
Ungeachtet massiver Investitionen der Netzbetreiber in den 5G-Ausbau und deutlicher Fortschritte auch bei der 4G-Versorgung besteht nunmehr der Eindruck, dass der 4G-Ausbau in der Fläche stagniert. Und die weißen Flecken scheinen in der Priorisierung, vorsichtig formuliert, nicht auf dem Spitzenplatz zu liegen. Die Versorgungszahlen der drei etablierten Netzbetreiber – laut Bundesnetzagentur liegt die deutschlandweite 4G-Versorgung zwischen 86 und 91,4 Prozent der Fläche – bedeuten eben auch, dass je nach Netz zwischen 8,6 und 14 Prozent der Fläche weiße Flecken sind. Die gewiss anspruchsvolle Auflage der vergangenen Frequenzvergabe, deutschlandweit 500 dezidiert benannte Lücken bis Ende 2022 zu schließen, ist verfehlt worden – obwohl ein gemeinschaftliches Vorgehen der drei Netzbetreiber ermöglicht wurde.
Rahmenbedingungen besser denn je
2024 ist ein entscheidendes Jahr für die zukünftige Mobilfunkversorgung in Deutschland. Mit der anstehenden Frequenzvergabe werden die Weichen bis zum Ende des Jahrzehnts und zum Teil darüber hinaus gestellt. Statt Werbeslogans müssen jetzt die richtigen Fragen im Mittelpunkt stehen: Welche Versorgung brauchen wir als Gesellschaft? Wo sind die Grenzen des Infrastrukturwettbewerbs? Welche Hürden können wir überwinden und welche nicht?
Eine Flächenversorgung von 100 Prozent ist technisch nicht zu garantieren. Hier dürfen keine überzogenen Erwartungen geweckt werden, weder seitens der Politik noch der Netzbetreiber. Fest steht: Der Bedarf der Bürgerinnen und Bürger wie auch der Wirtschaft ist deutlich größer als der aktuelle Versorgungsstand. Das zeigen auch Rückmeldungen aus der ersten Mobilfunk-Messwoche NRW im vergangenen Jahr. Und die Anforderungen an die Netze wachsen absehbar weiter.
Die Rahmenbedingungen für den Mobilfunkausbau waren dabei nie so gut wie heute. Mit der Förderung von Mobilfunkkoordinatorinnen und -koordinatoren unterstützt Nordrhein-Westfalen systematisch den Mobilfunkausbau vor Ort. Zudem haben wir mit einer weitgehenden Genehmigungsfreistellung für den Bau von Mobilfunkmasten eine Vorreiterrolle in Deutschland eingenommen. Jetzt sind Mobilfunknetzbetreiber und Tower Companies in der Verantwortung, die größeren Freiheiten zu nutzen. Das muss sich klar und schnell in den Ausbauzahlen und in den Versorgungswerten niederschlagen.
Was jetzt zu tun ist
Der Staat muss den Auftrag des Grundgesetzes umsetzen, das bei der Telekommunikation „flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen“ gewährleistet sehen will. Die Mobilfunknetzbetreiber erwerben mit den Frequenzen nicht nur das Recht auf wirtschaftliche Chancen, sondern auch die Verantwortung für ein öffentliches Gut auf Zeit. Es ist an beiden Seiten, die Instrumente zur Verbesserung der Mobilfunkversorgung zu bedienen. Dazu drei Punkte:
1. Wir brauchen mehr Wettbewerb im Mobilfunkmarkt und eine wirksame Aufsicht.
Die kontrovers diskutierte Wettbewerbsstudie im Auftrag der Bundesnetzagentur kommt zwar insgesamt zu dem Schluss, dass ein wirksamer Wettbewerb bestehe. Sie konstatiert allerdings auch Markteintrittsbarrieren, die von einzelnen Mobilfunknetzbetreibern geschaffen werden. Das wirft die Frage auf, ob die aktuelle Regulierungspraxis greift. Der wirksamste Hebel zur Verbesserung der Mobilfunkversorgung ist das Telekommunikationsgesetz und der darauf basierende Handlungsrahmen der Bundesnetzagentur als unabhängiger Regulierungsbehörde, vor allem mit Blick auf Frequenzvergabeverfahren. Der Vorschlag, im Rahmen des TK-Netzausbaubeschleunigungsgesetzes die Verlegung von TK-Linien als im „überragenden öffentlichen Interesse“ zu definieren, ist aus meiner Sicht konsequent und richtig.
Die Netzbetreiber brauchen Planungs- und Investitionssicherheit. Gleichzeitig braucht es mehr Kooperationen beim Ausbau im Rahmen der kartellrechtlichen Grenzen. Bei der Mitnutzung von Infrastrukturen ist nach meiner Beobachtung noch Luft nach oben. Flexiblere Wege für Mobilfunknetzbetreiber zur Erfüllung von künftigen Versorgungsverpflichtungen sind ebenfalls in den Blick zu nehmen. Die konkreten Maßnahmen aus dem Pakt zur Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung müssen zügig umgesetzt werden.
2. Es ist nicht die Zeit für Frequenzhamster.
Eine effiziente Frequenznutzung ist wichtiger denn je. Wenn eine flächendeckende Versorgung nicht im Wettbewerb, eigenwirtschaftlich und im bestehenden regulatorischen Rahmen möglich ist, dann müssen wir über andere Instrumente nachdenken. Beispielsweise könnte ein Mobilfunkbasisdienst ausgeschrieben werden, der deutschlandweit eine Mindestversorgung mit Mobilfunkdiensten auf Breitbandniveau garantiert. Dafür wäre perspektivisch der Einsatz von UHF-Frequenzen geeignet, deren zukünftige Nutzung intensiv diskutiert wird. Die Bundesnetzagentur sollte hierfür die regulatorischen, technischen und ökonomischen Anforderungen untersuchen lassen.
Die in der Vergangenheit erzielten Erlöse aus den Frequenzversteigerungen waren Ausdruck der großen ökonomischen Attraktivität der Frequenznutzung für die bietenden Unternehmen. Rückblickend betrachtet wäre es besser gewesen, Investitionen in die digitale Infrastruktur stärker zu adressieren. Angesichts des enormen Investitionsbedarfs ist weder private Frequenzhamsterei noch staatliche Einnahmenmaximierung sinnvoll.
3. Wir müssen das „mobil“ in Mobilfunk erstnehmen.
Den in der Gigabitstrategie des Bundes angekündigten „Meilensteinplan Weiße Flecken“ braucht es dringender denn je. Eine verlässliche, flächendeckende Mobilfunkversorgung ist Anspruch der Zeit, für den Alltag der Menschen und unseren Wirtschaftsstandort unverzichtbar und nicht zuletzt eine Frage der öffentlichen Sicherheit, wenn teilweise noch nicht einmal Notrufe oder Warndienste funktionieren. Auch wenn keine 100 Prozent zu erwarten sind, dürfen wir uns von dem Ziel einer maximalen möglichen Flächenversorgung nicht verabschieden. Ein Türschwellen-Indikator, der die Mobilfunkabdeckung an der Außenversorgung von Haushalten berechnet, mag eindrucksvolle Zahlen produzieren. Die tatsächlich nutzbare Versorgung bildet er jedoch nur unzureichend ab und widerspricht dem Mobilfunk bereits im Wortsinn. Der beste Empfang vor der eigenen Haustür nutzt schließlich nichts, wenn das Kind auf dem Fußballplatz am Ortsrand nach dem Training seine Eltern nicht erreicht, damit es abgeholt wird.
Wenn wir über die künftige Mobilfunkversorgung sprechen, dann geht es nicht um den kleinen Ärger, wenn man im Gespräch nur jedes dritte Wort versteht oder die Datenverbindung stockt. Es geht nicht um Statistiken und auch nicht um Werbeversprechen. Es geht um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Wir sprechen von einem elementaren Bestandteil unserer digitalen Grundversorgung. Das sollte Ansporn genug sein, nun zügig die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Mona Neubaur (Bündnis 90/Grüne) ist stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen und Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie. Die Diplom-Pädagogin war zuvor Referentin Öffentlichkeitsarbeit/PR beim Ökostrom-Anbieter Naturstrom und Geschäftsführerin der Heinrich-Böll-Stiftung NRW. Von 2014 bis 2022 war sie Landesvorsitzende der Grünen in Nordrhein-Westfalen.