Der „Deutschlandpakt“ nimmt Fahrt auf. Die Regierung und die demokratische Opposition des deutschen Bundestages wagen den Schritt, gemeinsam die ganz großen Aufgaben für das Land anzugehen. Umsetzungsbeschleunigung, Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum, von der Digitalisierung bis hin zu Fachkräftethemen reichen die Schwerpunkte. Von großer Bedeutung ist es nun, Stückwerk aufgrund abweichender Positionen in Einzelaspekten zu vermeiden. Der Deutschlandpakt sollte als Chance für eine Leitvision begriffen werden. So stellte der Bundeskanzler zuletzt klar, dass anstehende fundamentale Herausforderungen vor allem durch Investitionen im privaten und öffentlichen Sektor, in Innovation oder besser in die Zukunft, bewältigt werden sollen – nicht zuletzt, um mehr Tempo nach Deutschland zu bringen.
Eine Chance also für das Land, über eine konsolidierende Leitvision zum notwendigen Tempo und einer Fokussierung zurückzufinden. Im Kern ist das Ganze die Chance, zentrale Treiber gesellschaftlichen Wohlergehens, Innovation und Digitalisierung, mit dem richtigen Rahmenwerk zu versehen. Jedoch drängt sich der Eindruck auf, die Chance eines ganzheitlichen Ansatzes könnte verwässert werden. Vielleicht lohnt deshalb ein Blick nach Japan und zur dortigen bereits vorangeschrittenen Planung für die Transformation des Landes entlang einer nationalen Gesellschaftsvision.
Japan: Ähnliche Herausforderungen wie Deutschland
Der 2016 ausgerufene japanische Arbeitsplan „Society 5.0“ will durch ein umfangreiches Zusammenspiel von Verwaltung, Wissenschaft, Industrie und von Bürgerinnen und Bürgern die Innovationsfreundlichkeit fördern. Manifestiert wurde dieser Plan mit dem Ziel, globaler Führer beim Aufbau einer „Super Smart Society“ zu werden im 5. Masterplan für Wissenschaft und Technologie der Regierung. Er wird seitdem sukzessive in nationalen und industriellen Initiativen verankert. Das Ziel ist eine enge Ausbalancierung von wirtschaftlichem Fortschritt mit der Lösung sozialer Herausforderungen. Die „Society 5.0“ soll den Weg bereiten zur Bewältigung eines erfolgreichen Wandels mit der Eröffnung neuer gesellschaftlicher Perspektive für breite und nachhaltige soziale Verbesserung.
Japan hat dabei sehr ähnliche gesellschaftliche Herausforderungen wie Deutschland. Zunehmende Urbanisierung und gleichzeitig sinkende Geburtenraten und voranschreitender demografischer Wandel sind, vor allem in ländlichen Regionen, die zentralen Herausforderungen. Unmittelbar daraus resultiert ein Mangel an Fachkräften – und ökologische Fragen treten hier genauso auf, wie nicht zuletzt die Notwendigkeit des Aufbaus einer inklusiven Gesellschaft, in der niemand zurückgelassen wird. Das „Society 5.0“-Konzept formuliert diese bereits sehr ganzheitlich und praxisnah aus.
Wichtig waren von Beginn an ein starkes Ökosystemdenken, das vor allem die Industrie und weitere Innovationskompetenzträger wie Forschung, Start-ups und Wissenschaft stark in die Pflicht nimmt und ein starkes Bewusstsein für soziale Akzeptanz und Verständnis in der Gesellschaft.
Unternehmerische Kreativität fördern
Mit der „Society 5.0“ hat Japan einen klaren, langfristigen Plan für die gesellschaftliche Entwicklung entworfen und in politische, wirtschaftliche und bürgernahe Initiativen eingebettet: Diese Balance soll nicht nur das Wachstum der Wirtschaft sichern, sondern auch das Wohlergehen der Gesellschaft. Noch wichtiger: man rückt den Menschen sogar sehr bewusst stets ins Zentrum eines technologiegetriebenen Wandels. Man könnte es auch technologischen Humanismus nennen.
Beispiele hierfür sind eine Eröffnung von Technologie für alle Altersgruppen und Hintergründe durch Prinzipien wie Universal Design, aber auch der gezielt applikationsgetriebenen Automatisierung. Letztere soll dem Menschen Einschränkungen und Belastung nehmen, sei es durch autonome persönliche Mobilitätsvehikel für ältere Mitmenschen in Städten, Anbindung ländlicher Gebiete durch autonome, präzise Drohnenlieferungen oder die körperliche Entlastung von Arbeitern sowie die körperliche Belastung von repetitiven und fordernden Arbeiten in der Fertigung hin zu einem flexibleren Einsatz und Zusammenspiel mit kollaborativen Robotern.
Japan fördert hierbei Innovationen durch einen rechtlichen Rahmen, der unternehmerische Kreativität begünstigt, und nutzt digitale Methoden zur Aktivierung von Fachkräften – beispielsweise sollen innerhalb der Initiative „Digital Garden City Nation“ bis 2026 2,3 Millionen tech-affine Universitäts- und FachschulabsolventInnen wichtige digitale Fähigkeiten erwerben und diese zur Expansion der Digitalisierung in ländlichen Regionen einsetzen.
Ein dreistufiges Wertschöpfungssystem, das auf der Stärkung von Bildung und Forschung, Standardisierung und Patentstrategie aufbaut und über sektorspezifische Datenbanken letztlich soziale Systeme auf der Anwendungsseite als konkreten gesellschaftlichen Mehrwert ansetzt, ist ein zentrales Konstrukt.
Beispielhaft veranschaulichen lässt sich das durch Datennutzung von Satelliten. Japan ist seit jeher ein äußerst aktiver Akteur in der Weltraumindustrie und hat seit 2018 sein eigenes Positionssystem in Betrieb genommen, welches auf Zentimeterlevel Positionsdaten liefert und als Datenquelle Dienste realisierbar macht. Diese umfassen Ansätze wie etwa die hochgenaue, autonome Traktorennutzung in der Landwirtschaft, präzise Drohnenlieferungen in urbanen und entlegenen Gebieten bis hin zu entlegenen Inseln und nicht zuletzt ein auf 3D Karten, Sensordaten und Satellitenpositionsdaten aufbauendes Mobilitätssystem. Keine Zukunftsmusik, sondern bereits Wirklichkeit.
Zugegebenermaßen begünstigen auch „weiche“ Faktoren die „Society 5.0“, wie etwa kulturelle Aspekte. Beispielsweise existieren niedrigere gesellschaftliche Hürden für die Einbindung von Technologie, da man auf eine grundsätzlich technologieoffene Haltung bei den eigenen Bürgerinnen und Bürgern trifft. Dies ist etwa in der Einbindung von Robotik in Gesundheits- und Pflegewesen sowie der Servicebranche und der automatisierten Agrikultur der Fall. Wie in der Landwirtschaft stellt sich häufig gar nicht mehr die Frage eines „Für und Wider“ der Technologienutzung, da schlichtweg Fachkräfte fehlen und die Automatisierung der logische und einzig gangbare Weg ist. Es steht außer Frage, dass dieser integrierte Ansatz Modernisierung sichern kann – eine wertvolle Anregung daher auch für Deutschland.
Japanisch-deutsche Zusammenarbeit intensivieren
Wie weit Japan hier ist, soll der Welt nicht zuletzt auf der Weltausstellung 2025 in Osaka gezeigt werden, nachdem man bereits 2017 bei der Weltwirtschaftskonferenz und als Partnerland auf der damals noch existenten CeBIT in Hannover das Konzept einer „Society 5.0“ der Welt präsentiert hatte. Das Wiederauflebenlassen der Wertepartnerschaft von Japan und Deutschland ist im Koalitionsvertrag der deutschen Regierung fest verankert und wurde dieses Jahr im März in Tokio bei den ersten Regierungskonsultationen beider Länder auf höchster Ebene durch den Bundeskanzler und gut zwei Drittel seines Kabinetts intensiv diskutiert und gestaltet.
Gerade hier wurde das voneinander Lernen durch den Bundeskanzler deutlich betont. Vor wenigen Wochen fand in Berlin das jährliche Japanisch-Deutsche Forum als bilaterale Diskussionsrunde zwischen Politik, Industrie und Wissenschaft statt – im Zentrum wie bereits im März das Konzept wirtschaftliche Sicherheit. Ein guter Ausgangspunkt also, neben engerer Kooperation bei Resilienzthemen, den deutsch-japanischen Dialog neu aufleben zu lassen – und damit vielleicht nicht bis zur Expo 2025 zu warten.
Niels Meinke ist Head of Government & External Relations beim japanischen Technologiekonzern Mitsubishi Electric in Deutschland, Special Advisor beim Deutsch-Japanischen Wirtschaftskreis e.V. (DJW) und Vorstandsmitglied bei Asia Berlin Forum e.V.