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Standpunkte Digitale Demokratie gibt es nicht zum Nulltarif

Astrid Deilmann
Astrid Deilmann, Vorständin der Kampagnenorganisation Campact Foto: Foto: Julia Steinigeweg/Campact

In Europa und Deutschland braucht es mehr als nur die Durchsetzung von bestehendem Recht, um die digitale Demokratie zu verteidigen, findet Astrid Deilmann von Campact. Nötig ist ein langfristig angelegtes digitales Investitionspaket seitens der Bundesregierung, inklusive der Förderung zivilgesellschaftliche Plattformprojekte und Factchecking-Organisationen.

von Astrid Deilmann

veröffentlicht am 23.06.2025

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Europa steht am digitalen Scheideweg. Konzerne wie Meta, Tiktok oder X manipulieren unsere öffentlichen Debatten und steuern unseren digitalen Alltag. Milliardenschwere Tech-Bros wie Mark Zuckerberg und Peter Thiel schwören Trump die Treue im Kampf gegen geltende Gesetze im digitalen Raum und schränken Faktenchecks ein. Der erklärte AfD-Fan Elon Musk inszeniert sich als Hüter der „Redefreiheit“ – während er kritische Journalisten blockiert und die Algorithmen für Fake News und Hetze optimiert.

Microsoft sperrt dem Internationalen Strafgerichtshof, vermutlich auf Druck Trumps, den Zugang zu E-Mail-Adressen. Unterdessen fehlt es uns in der EU an politischer Gegenwehr und einer positiven Vision. Selbst bereits beschlossene Standards wie der DSA stehen unter dem Druck der Big-Tech-Lobby.

Schlimmer noch: Es mangelt oft an grundlegenden Kompetenzen. Big Tech von Google über Amazon, Apple, Meta bis Microsoft kontrollieren unsere digitalen Infrastrukturen, sie sind aus Behörden nicht wegzudenken, aus dem medialen Diskurs schon gar nicht. Wer setzt dieser Macht etwas entgegen?

Digitale Souveränität braucht neue Allianzen

Die Demokratie ist auf eine funktionierende digitale Öffentlichkeit angewiesen. Diese Infrastruktur ist in Europa aktuell fast vollständig in der Hand von US-Konzernen. Obwohl klar ist, dass kein Big-Tech-Unternehmen politisch neutral ist, verlassen sich viele öffentliche Akteure und Institutionen immer noch auf deren Plattformen, Strukturen und Programme.

Dabei gibt es längst Alternativen: Open-Source-Software oder Plattformen wie Bluesky, das Fediverse oder den datenschutzfreundlichen Messenger Signal. Es gibt die Technik, die Ideen und zahllose Ansätze, aber es fehlt an Strukturförderung und politischer Unterstützung – und oft auch schlicht an Wissen um die Alternativen, die der Macht der Tech-Konzerne etwas entgegensetzen.

Es ist ein Skandal, dass wir fast nichts in den Aufbau demokratischer digitaler Räume investieren. Solange die öffentliche Kommunikation von privaten Geschäftsinteressen einer Broligarchie dominiert wird, bleibt digitale Souveränität in Europa eine Illusion.

Es ist klar, was nötig ist. Wir brauchen eine gemeinwohlorientierte Digitalpolitik und als erstes ganz konkret ein digitales Investitionspaket für Demokratie – getragen von der Bundesregierung und langfristig angelegt. Wir müssen eine digitale Infrastruktur schaffen, die die Interessen Europas wahrt, unsere Wahlen und Diskurse vor illegalen Eingriffen von außen schützt, uns unabhängig macht von den Markt- und Machtinteressen des Trumpismus.

Wir können nicht bei der nötigen Durchsetzung rechtlicher Standards stehen bleiben – so wichtig es auch ist, Verstöße gegen EU-Recht konsequent zu sanktionieren. Die digitale Demokratie können wir nur noch im Vorwärtsgang erfolgreich verteidigen. Es braucht den Auf- und Ausbau einer digitalen Infrastruktur, die an die Anfänge eines demokratischen Internets anknüpft und zugleich raus aus der Nische kommt – also für die ganze Gesellschaft hoch skalierbar ist. Es ist ermutigend, dass Bundesländer wie Schleswig-Holstein nun Schritte unternehmen, um die öffentliche Verwaltung unabhängig von Microsoft-Software zu machen und vermehrt auf Open Source setzen. Aber das sind nur erste Schritte, es braucht einen wirklichen, digitalen Aufbruch.

Eine Frage des gegenseitigen Respekts

Dafür braucht es auch eine neue Haltung – bei allen Akteuren in der politischen Arena. Die digitale Zivilgesellschaft ist das Immunsystem der Demokratie. Akteure wie der Chaos Computer Club, Hateaid oder Campact mögen manches Mal für politische Entscheider unbequem sein. Sie haben aber eine essenzielle Rolle: als Frühwarnsystem, Innovationsmotor und demokratisches Korrektiv.

Gleichzeitig ist es an der digitalen Zivilgesellschaft, ihre Kommunikation zu überdenken. Als Angela Merkel 2013 das Internet als „Neuland“ bezeichnete, hagelte es Hohn und Häme. Dabei war das ein Moment politischer Offenheit – und eine verpasste Chance für Aufklärung. Wer digitale Teilhabe will, muss nicht nur Techniken entwickeln, sondern auch kommunikative Brücken bauen.

Weniger Misstrauen hier und Nerd-Arroganz dort, Schluss mit „Boomer versus Gen Z“, stattdessen mehr Verständnis und Kooperation auf beiden Seiten – das sollte unsere neue digitale Maxime sein.

Digitale Infrastruktur ist öffentliche Daseinsvorsorge

Die aktuellen Herausforderungen unserer Demokratie münden in einer zentralen Frage: Wollen wir unsere systemrelevante digitale Infrastruktur weiter profitorientierten und demokratisch nicht legitimierten Konzernen aus den USA und China überlassen – oder verstehen wir sie als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge? Ich finde: Wie Wasser, Energie und Bildung muss auch digitale Kommunikation demokratisch gestaltet und öffentlich verantwortet werden.

Wir brauchen einen neuen Konsens. Das Primat des Allgemeinwohls gegenüber kurzfristigen Profitinteressen gilt für Schulen, für Verwaltungen – es sollte auch für öffentliche Debattenräume und digitale Infrastruktur gelten.

Was jetzt zu tun ist:

  • Ein Bundesprogramm für gemeinwohlorientierte digitale Infrastruktur: Langfristige Förderung für zivilgesellschaftliche Plattformprojekte, Factchecking-Organisationen, Open-Source-Entwicklung und inklusive Technologien. Das meint nicht mehr staatliche Bürokratie, sondern öffentliche Förderung für kluge institutionelle Arrangements, die – etwa über Stiftungsmodelle – Gemeinnützigkeit und Kreativität kombinierbar machen und absichern. Das wäre ein gutes Vorbild für die gesamte Europäische Union.
  • Faire Wettbewerbsbedingungen für digitale Alternativen: Überwindung regulatorischer Hürden und politische Unterstützung kleiner europäischer Anbieter. Dazu gehört eine Digitalsteuer, die dafür sorgt, dass die größten Nutznießer der Digitalisierung endlich einen fairen Anteil der gesamtgesellschaftlichen Kosten tragen und ihre wirtschaftliche Macht zumindest ein Stück umverteilt wird.
  • Ein digitales Investitionspaket für Demokratie: Der Aufbau gemeinnütziger Plattformen, Dateninfrastrukturen und europäischer Alternativen brauchen jetzt einen Beschleunigungs-Impuls – mit öffentlicher Finanzierung und demokratischer Kontrolle.
  • Stärkung der digitalen Zivilgesellschaft und Schulterschluss gegen die Big-Tech-Lobby: Vertrauen statt Verdacht – institutionelle Förderung, Schutz vor Überwachung und Mitsprache auf Augenhöhe. Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik müssen gemeinsam verhindern, dass Konzerne unsere Regeln diktieren beziehungsweise – etwa auf EU-Ebene – immer weiter aufweichen.

Digitale Demokratie gibt es nicht zum Nulltarif. Aber sie ist unbezahlbar, wenn wir sie verlieren. Denn sie ist das Fundament dafür, dass wir als Gesellschaft in Europa heute noch frei über unsere Zukunft entscheiden können. Jetzt ist die Zeit, sie neu zu erfinden – gemeinsam, solidarisch, gemeinwohlorientiert.

Astrid Deilmann ist Vorständin der Kampagnenorganisation Campact, Gesellschafterin bei Hateaid und Expertin für Zivilgesellschaft und Digitale Demokratie. Gemeinsam mit Markus Beckedahl (Gründer von Netzpolitik.org) hat Campact kurz vor der diesjährigen Re:publica in Berlin das Zentrum für Digitalerechte und Demokratie gegründet.

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