Klimaschutz oder Wirtschaftswachstum – was ist wichtiger? Das fragte kürzlich der Deutschlandtrend. Zwei Drittel der Befragten gaben Klimaschutz den Vorrang. Doch können wir das „oder“ akzeptieren? Wenn wir Emissionen auf Kosten von Wohlstand und Beschäftigung senken, gefährden wir die Zukunft unseres Landes, werden international zu einem Beispiel misslungenen Klimaschutzes und erweisen diesem einen Bärendienst. Wir brauchen innovative Lösungen, digitale und analoge, die Klimaschutz und Wirtschaftswachstum gleichsam voranbringen.
Die Klimaschutz-Bewegung brachte einen einzigartigen Schulterschluss zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Endlich erhalten die evidenzbasierten Apelle der Klimaforschung den nötigen emotionalen, gesellschaftlichen und politischen Nachdruck.
Parallel – aber kaum mit der Klimaschutzdebatte verbunden – häufen sich volkswirtschaftliche Warnsignale: Das hiesige Bruttosozialprodukt sinkt voraussichtlich das zwei Quartal in Folge. Unsere Produktivitäts-Fortschritte schrumpfen. Im neuen Global Competitiveness Report des World Economic Forums rutscht Deutschland um vier Plätze ab. In der Forschung sind wir laut dem Report vorn, während eine Schwäche in den digitalen Infrastrukturen liegt. Bei den Neugründungen ist unser Standort nur gutes Mittelmaß. Teile der Maschinenbraubranche schalten in den Krisenmodus. Autozulieferer kündigen sogar erste Werksschließungen an. Die demografische Lücke verschärft den Produktivitätsdruck zusätzlich.
Wir brauchen neue Impulse für qualitatives Wachstum. Für eine gute Zukunft müssen wir wettbewerbsfähiger und produktiver werden – nicht trotz, sondern im Einklang mit dem Klimaschutz. Die Digitalisierung bildet hier eine Schlüsseltechnologie, die wir mit neuen Ansätze aus Chemie, Physik, Materialwissenschaft, Biotechnologie und vielen mehr verbinden müssen. An Lösungen orientierte Forschungsbereiche müssen deshalb dringend Teil des Schulterschlusses zwischen Klimaschutz und Wissenschaft werden.
Drei Voraussetzungen, Klimawandel und Wachstum zu verbinden
Dazu brauchen wir erstens mehr Effizienz, zweitens innovative und margenstarke Dienstleistungen, Produkte und Geschäftsmodelle und drittens attraktivere Standortbedingungen.
Effizienz bringt die Digitalisierung der Industrie, bringen also die Echtzeit-Vernetzung der Wirtschaft, die Unterstützung menschlicher durch Künstliche Intelligenz, die Kooperation in branchenübergreifenden Plattformen sowie Sharing-Modelle in der Nutzung. Das Konzept „Industrie 4.0“ entstand im Acatech-Hauptstadtbüro und entwickelte sich zum anerkannten Leitbild. Studien von uns und vielen anderen zeigen Zögerlichkeit der Verwirklichung dieses Leitbildes – etwa bei der Einführung von Echtzeitvernetzung, beim Aufbau gemeinsamer digitaler Plattformen, aber in der Modernisierung der Weiterbildung.
Zu Effizienzsteigerungen müssen neue, innovative, margenstarke Produkte und Dienstleistungen kommen. Ebenso wichtig wie die Digitalisierung werden hier Fortschritte in den Produktionswissenschaften, in Chemie, Physik, und Materialwissenschaft. Sie alle sind beispielsweise an der Entwicklung der nächsten Batteriegeneration beteiligt, die ein Standortfaktor und stabilisierender Baustein erneuerbarer Energiesysteme sein wird.
Die Wachstumsfinanzierung innovativer Gründungen stärken
Deutschland ist stark in der Forschung, bringt diese aber zu wenig auf die Straße, also auf den Markt. Wir stehen für die schrittweise, inkrementelle Verbesserung hochwertiger Produkte, aber weniger für tiegfreifende, disruptive Innovationen – hier sind Digitalunternehmen und innovative Ökosysteme aus anderen Ländern dynamischer. Die Bundesregierung möchte sie nun durch eine Agentur für Sprunginnovationen fördern.
Disruptive Innovationen in Effizienz und Produkten entstehen in einem dynamischen Miteinander etablierter Unternehmen und neuer Gründungen: Wir brauchen mehr Gründergeist. Globale Champions aus innovativen, wissensintensiven Start-ups wachsen anderswo heran, sieht man von SAP und wenigen anderen ab, deren Gründung schon einige Jahre zurückliegt. Eine Hauptursache: Es mangelt hiesigen Gründungen – Digital-Start-ups ebenso wie wissensintensive Gründungen aus Medizin, Biotech und Co – an Finanzierung für ihre Wachstumsphase, also für den Sprung vom Start-up zum führenden Unternehmen und Arbeitgeber.
Acatech hat kürzlich Vorschläge entwickelt, wie sich die Wachstumsfinanzierung in Deutschland und Europa stärken lässt. Die Möglichkeiten reichen von der Mobilisierung von Risikokapital über Kooperationen zwischen neuen und etablierten Unternehmen bis zur Stärkung von Gründungszentren. Durch kluge Rahmenbedingungen könnten Deutschland und die EU hier viel bewegen.
Dringend müssen wir auch in unsere Infrastrukturen investieren – in digitale ebenso wie in Energie- und Verkehrsnetze. Über diese Investitionslücke wurde schon viel debattiert – aber zu wenig in Verbindung mit der Klimadiskussion. Dabei würde der Verkehr gleichzeitig menschen- und klimafreundlicher, wenn wir die Verkehrsträger digital miteinander vernetzen, wenn wir die Möglichkeiten der Automatisierung nutzen und wenn wir mittels Digitalisierung und KI eine intelligentere Verkehrssteuerung erreichen. Eine Allensbach-Umfrage im Auftrag von Acatech hat klar gezeigt, dass den deutschen Klimaschutz im Verkehr immer wichtiger wird, dass wir aber für eine klimafreundlicher Mobilität bessere, vernetzte Verkehrsangebote brauchen – auch hier liegt der Schlüssel in der Digitalisierung.
Nur 1,5 Prozent der Achtklässler erreichen Spitzenleistungen in Mathe
Effizienzsteigerungen, neue Produkte, bessere Infrastrukturen und eine bessere Wachstumsfinanzierung sind eine Seite der Medaille. Doch nur mit hoher Technikbildung gestalten wir als Gesellschaft unsere Zukunft. Fast ein Viertel unserer Viertklässler unterschreitet die Mindestanforderungen in Mathe. In der informatischen Bildung erreichen etwa 30 Prozent der Achtklässlerinnen und Achtklässler nur ein niedriges Kompetenzniveau.
Sie werden es vermutlich schwer haben, am gesellschaftlichen und beruflichen Leben in der digitalisierten Welt teilzunehmen. Nur 1,5 Prozent erreichen Spitzenleistungen. Teenager finden zu selten naturwissenschaftliche und technische Laufbahnen attraktiv. Immer noch trauen sich Mädchen in diesen Bereichen weniger zu, weil ihr Umfeld ihnen weniger zutraut. Investitionen in Schulen, in die Lehrerbildung, in außerschulische Initiativen, in Aus- und Weiterbildung sind dringend notwendig.
Die junge Generation hat dem Klimaschutz emotionale Wucht verliehen. Nun sollten wir möglichst viele dafür gewinnen, sich am notwendigen digitalen und technologischen Fortschritt zu beteiligen und dazu entsprechende Bildungs- und Berufswege einzuschlagen. Gleichzeitig dürfen wir die Älteren nicht vergessen. Es wird fundamental wichtig, sie weiterzubilden und auf dem Stand der technischen Entwicklung zu halten: Mit Blick auf die Demografie, auf den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und ihrer wertvollen Erfahrung. Auch hier passiert zu wenig in Unternehmen und Bildungseinrichtungen.
Ich wünsche mir einen Schulterschluss: zwischen dem Engagement für Klimaschutz und dem rationalen Entwickeln von Lösungen in den Technikwissenschaften. Qualitatives, nachhaltiges Wirtschaftswachstum – nicht statt, sondern dank klimaschonender Technologien – das wäre die beste Antwort auf die eingangs zitierte Frage. Wenn uns das gelingt, dann ist mir nicht bange um die Zukunft.
Dieter Spath ist Arbeitswissenschaftler, Produktionsforscher und hat Industrieunternehmen wie die Wittenstein SE geleitet. Er ist neben Karl-Heinz Streibich Präsident von Acatech, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften. Heute Abend spricht er bei einer Festveranstaltung der Akademie über die Verbindung von Wachstum, Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Für die Bundesregierung wird Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) sprechen.