Standpunkte Ein digitales Deutschland – dringend notwendig, aber wie?

Was in anderen Ländern seit Jahren selbstverständlich ist, fehlt in Deutschland bis heute. Die neue Bundesregierung hat die Chance, die Digitalisierung endlich voranzubringen. Ein Digitalministerium und eine Digitalagentur könnten dabei eine Schlüsselrolle spielen, schreibt Katarina Bartz von EY.
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Jetzt kostenfrei testenEs ist das Jahr 2025 und Deutschland hat immer noch keine digitale Identität, die für Bürger und Bürgerinnen einfach über das Handy abrufbar ist. Organisationen geht es ähnlich. Viele andere grundlegende Elemente der Digitalisierung, die in anderen europäischen und nicht-europäischen Ländern bereits seit Jahren als gegeben betrachtet werden, sind in Deutschland nicht vorhanden.
Die Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern für Wirtschaft, Forschung und Gesellschaft insgesamt von immenser Bedeutung. Unsere Industrie muss die Chancen der digitalen Transformation ergreifen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Digitalisierung und Automatisierung können eine wichtige Rolle spielen, um Bürokratiekosten zu reduzieren. Digitalisierung ist gleichzeitig unerlässlich für die Beschleunigung von Forschung und Entwicklung und treibt somit Innovationen voran. Bürger und Bürgerinnen erwarten inzwischen, dass Dienstleistungen digital abrufbar sind – auch von der Verwaltung. Auch mit Blick auf die geopolitische Lage ist Digitalisierung ein wichtiger Schlüssel der Resilienz des Landes. Die Liste kann unendlich weitergeführt werden.
Wer treibt die Digitalisierung in Deutschland aktuell voran? Die Industrie und die Forschung spielen hier eine unverzichtbare Rolle. Das reicht aber nicht aus. Die neue Regierung hat jetzt die Möglichkeit, eine Digital-Governance aufzusetzen, die sowohl über die notwendigen Zuständigkeiten als auch Ressourcen – personell, finanziell und technologisch – verfügt, um einen echten Unterschied zu machen.
Digital-Governance neu gedacht
In der Digitalisierungs-Community in Deutschland kennen alle das „Wimmelbild“ des Normenkontrollrats. Es ist ein durchaus gelungener Versuch, einen Überblick über die Digitalisierungsverantwortlichen und die komplexen Umsetzungsstrukturen in Deutschland zu schaffen. Allein der Titel „Wimmelbild“ reicht schon aus, um die aktuelle Problematik darzustellen. Wir haben in Deutschland viele fähige Akteure, gleichzeitig bestehen aber zu viele Doppelstrukturen und unklare Zuständigkeiten. Die Folge: Wir hinken im globalen Digitalisierungswettlauf hinterher.
Die aktuelle Diskussion um die zukünftige Digital-Governance, die im Kontext der Regierungsbildung geführt wird, zeigt mögliche Wege auf: Ein neues Bundesdigitalministerium, eine neue Digitalagentur und eine Digital-Aufsicht könnten wichtige Hebel werden, um die Verantwortlichkeiten neu zu ordnen und die Digitalisierung in Deutschland entschlossen voranzutreiben (Tagesspiegel Background berichtete). Dabei gilt es, nicht erneut redundante Strukturen zu schaffen, um sich nicht selbst wieder auszubremsen.
Ein Bundesdigitalministerium als Treiber der digitalen Transformation könnte nicht nur die Zuständigkeiten klären und die Entscheidungsprozesse beschleunigen, sondern auch die Digitalisierung als zentrales Anliegen der Regierungsarbeit etablieren. Es könnte eine effizientere Verwaltung ermöglichen und sicherstellen, dass die Digitalisierung nicht länger ein Schattendasein führt, sondern den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft, Forschung und Zivilgesellschaft zugutekommt.
Um Doppel- und Dreifachstrukturen zu vermeiden, stellt sich unter anderem die wichtige Frage, welche konkreten Zuständigkeiten das neue Ministerium übernehmen und welche bei anderen Ministerien zukünftig bleiben sollten. Digitalisierung ist eine Querschnittsaufgabe, und de facto werden sich auch weiterhin andere Ministerien mit Digitalisierung befassen müssen – idealerweise auch vermehrt.
In der aktuellen Debatte werden beispielsweise Fragen wie Künstliche Intelligenz und Datenpolitik sowie IT-Beschaffung in der Verantwortung des Digitalministeriums gesehen. Einige Akteure gehen weiter und stellen sich das Digitalministerium als ein Transformationsministerium vor, das auch nach innen wirkt und die Arbeitsweise und Prozesse eines eher traditionellen Bundesministeriums grundsätzlich verändert.
Vielfältige Bereiche der Digitalpolitik werden aber heute nicht mehr nur auf nationaler Ebene entschieden, sondern viele Fragen – zum Beispiel Plattformregulierung und Regulierung von Künstlicher Intelligenz – und Weichen auf europäischer Ebene betrachtet. Durch ein Digitalministerium bieten sich für Deutschland daher auch Potenziale, eine noch aktivere Rolle in der europäischen Digitalpolitik einzunehmen.
Digital und Datenstrategie vonnöten
Doch um die digitale Transformation erfolgreich vorantreiben zu können, benötigt ein neues Digitalministerium mehr als nur klare Zuständigkeiten – es braucht eine Digital- und Datenstrategie, Haushaltsmittel und einen operativen Arm, der als Motor der Transformation fungiert. Wichtig ist hierbei auch ein angemessener Spielraum, um neue Vorhaben zügig anstoßen zu können. Als konkretes Beispiel könnte ein neues Wachstums-Investmentfonds in Künstliche Intelligenz zukünftig eine Schlüsselrolle einnehmen und die deutsche Industrie, Forschung und Entwicklung sowie Start-ups und weitere Govtech-Akteure maßgeblich unterstützen.
Die Schaffung einer neuen Digitalagentur könnte darüber hinaus als wichtiger Katalysator für die Umsetzung dienen. Es sollte geprüft werden, inwieweit bereits bestehende Strukturen – wie beispielsweise die Bundesnetzagentur oder Teile davon – in die neue Digitalagentur oder auch Digitalaufsicht umgewandelt werden sollten oder eher neue Strukturen aufgesetzt werden sollten. Klares Ziel sollte es dabei sein, die Agentur bis Mitte 2026 zu etablieren.
Es bedarf darüber hinaus auch spezieller Ministerpräsidentenkonferenzen zur Digitalisierung. Diese könnten die Koordination und Umsetzung nationaler und europäischer Digitalpolitik deutlich verbessern.
Dabei ist es entscheidend, dass die gesamten neuen Strukturen, die gemeinsam Schlüsselrollen in der Digital-Governance übernehmen, evidenzbasiert und wirkungsorientiert aufgebaut werden, um messbare Erfolge in der digitalen Transformation zu erzielen. Dies bedeutet aber nicht, dass erst umgesetzt werden soll, wenn die perfekte Lösung steht: Ein gewisses Maß an Pragmatismus würde helfen.
Deutschland steht an einem Wendepunkt: Wir haben die Chance, die Digitalisierung entschlossen anzugehen und das Land zukunftsfähig zu machen. Dafür müssen wir jedoch die Weichen richtig stellen. Insbesondere ein Digitalministerium und eine Digitalagentur könnten die nötigen Impulse liefern, um Deutschland in die digitale Zukunft zu führen – effektiv, effizient und am besten evidenzbasiert und wirkungsorientiert.
Katarina Bartz ist Partnerin im Economics & Politics Hub bei EY und fokussiert sich auf den Government & Public Sector. Sie verfügt über mehr als 15 Jahre Erfahrung in der Strategieberatung der öffentlichen Hand und ist spezialisiert auf die Ausarbeitung, Evaluation und Optimierung sowie das Monitoring von Politikmaßnahmen, inklusive der Analyse der damit verbundenen sozioökonomischen Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft.
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