Standpunkte Eine europäische Mediathek für ein gesamteuropäisches Kulturangebot

Das Geoblocking von Filmen und Serien widerspricht den Grundprinzipien des gemeinsamen Marktes und der europäischen Idee. Doch es gibt einen konkreten Vorschlag zur Verbesserung des Zugangs zum Kulturangebot innerhalb der EU.
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Jetzt kostenfrei testenNoch in diesem Jahr muss die EU-Kommission die Verordnung gegen unberechtigtes Geoblocking einer turnusmäßigen Überprüfung unterziehen. Eigentlich sollte dieses 2018 verabschiedete Instrument einen Beitrag zur Vollendung des digitalen Binnenmarkts leisten. Immerhin hat die EU-Kommission im Rahmen ihrer Kultur- und Medienpolitik das Ziel ausgegeben, „den europäischen Bürgerinnen und Bürgern [...] Zugang zu allen Inhalten von überall in Europa zu ermöglichen.“
Aufgrund einer Ausnahme für audiovisuelle Dienste in der Geoblocking-Verordnung können die europäischen Konsument:innen den Großteil der in der Europäischen Union produzierten Filme und Serien allerdings nicht sehen.
Warum Geoblocking?
Geoblocking bedeutet, dass ein Inhalt aufgrund des geografischen Aufenthaltsortes einer Person gesperrt ist. Wer schon einmal im Ausland versucht hat, auf eine deutsche Mediathek zuzugreifen, weiß, dass das einen erheblichen Anteil des Angebots betrifft.
Dass so viele Inhalte außerhalb ihres Produktionslands nicht verfügbar sind, liegt am territorialen Finanzierungsmodell von Filmen und Serien. Um die Kosten für ein Projekt bestreiten zu können, verkaufen Produzenten vorab die Exklusivrechte für die Vermarktung in einem bestimmten Territorium, wie zum Beispiel Deutschland. Dort, wo der Anbieter einer Onlinemediathek die Rechte für einen Inhalt nicht hat, muss er den Zugang beschränken – durch Geoblocking.
Für Konsumenten ist schlicht nicht nachvollziehbar, warum ihnen die meisten in Europa produzierten Inhalte versperrt bleiben. Hart trifft es auch die vielen Unionsbürger, die von ihrer Freizügigkeit Gebrauch machen und dauerhaft in einem anderen Mitgliedstaat leben. Aufgrund von Geoblocking sind sie von großen Teilen des kulturellen Angebots ihres Herkunftslandes abgeschnitten. Die Filmindustrie warnt hingegen vor der Abschaffung des Geoblocking. Dies würde das Ende für das gegenwärtige Finanzierungsmodell bedeuten, was schwer zu kompensieren wäre.
Konsumentenverbände wie der Europäische Verbraucherverband Beuc und andere zivilgesellschaftliche Organisationen wie Communia kritisieren das Geoblocking seit langem. Sie sind der Ansicht, dass Filme, Serien und andere audiovisuelle Werke, die in einem EU-Mitgliedstaat angeboten werden, in allen Mitgliedstaaten unter ähnlichen Bedingungen angeboten werden sollten. In Anbetracht der Tatsache, dass die Mehrheit der Produktionen zu einem erheblichen Teil öffentlich finanziert sind, in vielen Fällen auch aus EU-Mitteln, ist nicht ersichtlich, warum sie der europäischen Öffentlichkeit vorenthalten werden. Diese Praxis hat jüngst auch der Europäische Rechnungshof kritisiert und die Kommission aufgefordert, eine Ausweitung des Geoblocking-Verbots zu prüfen.
Ein öffentlich-rechtlicher Streamingdienst
Dabei liegen Lösungsvorschläge längst auf dem Tisch. Das Geoblocking von Filmen und Serien war bereits Gegenstand eines von der EU-Kommission initiierten Stakeholderdialogs, zu dem neben der Filmindustrie auch einige wenige Nutzerverbände geladen waren. Wir brachten einen konkreten Vorschlag für ein Pilotprojekt ein: einen nicht-profitorientierten paneuropäischen Streamingdienst für öffentlich finanzierte Inhalte.
Die Grundlage für einen solchen Streamingdienst wäre eine sogenannte Transactional-Video-on-Demand-Plattform. Hier würden Zuschauer für das Abrufen eines Inhalts einen zu definierenden Betrag zahlen. Es geht also nicht darum, Filme und Serien einfach kostenfrei anzubieten, sondern deren Verfügbarkeit zu verbessern und zusätzliche Einkünfte für Kreative zu generieren.
Um Produzenten während der kommerziellen Lebensdauer eines Werks nicht die Möglichkeit für Lizenzvertragsabschlüsse zu nehmen, würden öffentlich finanzierte Inhalte erst nach Ablauf einer Karenzzeit ins Angebot der Plattform aufgenommen werden. Darüber hinaus würden Inhalte nur in den Ländern auf dieser speziellen Plattform angeboten, wo sie nicht auf anderem Wege verfügbar sind. Wird ein Inhalt in Deutschland also kommerziell angeboten, wäre er durch Geoblocking auf dieser Plattform gesperrt. Wird für ein Werk in einem Land ein anderer Vermarktungsweg erschlossen – erhalten die Konsumenten also auf anderem Wege Zugang – würde es ebenfalls wieder gesperrt. Damit stellt unser Vorschlag das territoriale Lizenzmodell überhaupt nicht in Frage.
Im Gegenzug sollte eine Förderung aus europäischen Töpfen an eine Bedingung zur späteren Aufnahme in den Streamingdienst geknüpft sein. Wir glauben allerdings, dass Kreative auch so starke Anreize für eine Beteiligung an diesem Modell haben, da die Erträge aus dem Streaming direkt an sie fließen und ihre Werke einem breiteren Publikum zugänglich gemacht würden.
Wir sind der Ansicht, dass eine Überarbeitung der Geoblocking-Verordnung notwendig ist und für audiovisuelle Güter keine Ausnahme mehr gelten sollte. Allerdings ist auch nachvollziehbar, dass die gewachsenen Strukturen Zeit für einen geordneten Übergang brauchen. Mit einem Pilotprojekt für eine gesamteuropäische Mediathek wäre ein Anfang für ein gemeinsames europäisches Kulturangebot gemacht.
Justus Dreyling ist Policy Director der Communia Association.
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