Die ganze Welt spricht über Künstliche Intelligenz? Nein, nicht die ganze. Bisher beschränkt sich ein Großteil der Entwicklung und Anwendung ebenso wie die Debatte um ihre Chancen und Risiken auf wenige Teile der Welt. Das große KI-Rennen zwischen dem Silicon Valley und China ist Dauerthema, selbst Europa kommt darin kaum vor. Aber auch die neueren multilateralen Foren sind meist dominiert von den großen und mittleren Wirtschaftsnationen. Großbritannien organisierte den AI Safety Summit, im Trade and Technology Council (TTC) sprechen die USA und Europa über gemeinsame KI-Standards, die General Partnership on AI (GPAI) fand zwar zuletzt in Indien statt, rückt politisch aber auch eher näher an die OECD.
Die UN will eine globale Governance für KI
Dieser Dominanz weniger Akteure stehen gleichzeitig etwa 2,4 Milliarden Menschen weltweit ohne Internetanschluss gegenüber, die keinen Zugang zu den Chancen einer digitalen und smarten neuen Technologiewelt haben. Dieses Ungleichgewicht gilt es zu ändern und dieser Aufgabe haben sich nun zurecht die Vereinten Nationen (UN) angenommen.
Etwas abseits von den Titelseiten wird derzeit ein Global Digital Compact (GDC) erarbeitet, der die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung weltweit adressiert und in dem Künstliche Intelligenz eine wesentliche Rolle spielt (Tagesspiegel Background berichtete). Daher wurde vom UN-Generalsekretär António Guterres für KI eigens eine Beratungsgruppe eingesetzt, bei der ich seit vergangenem Oktober Mitglied bin.
Das Ziel ist dabei klar: Es reicht nicht, wenn es einen europäischen AI Act gibt oder einer Executive Order in den USA. Wir brauchen eine globale Governance für KI, um sowohl die Chancen gerechter zu verteilen als auch auf Risikoszenarien besser vorbereitet zu sein. Idealbild wäre, dass wir KI-Technologien einsetzen, um die nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals – SDGs) zu erreichen, und um weltweit bedeutende Fortschritte in Bereichen wie Gesundheit, Bildung, Umweltschutz und Armutsbekämpfung zu erzielen.
Mit einem KI-Expertenrat den globalen Norden und Süden zusammenbringen
Ein erster Schritt dazu ist gemacht: Im ersten Entwurf des GDC findet sich der Vorschlag für ein wissenschaftliches Expertenpanel zu KI, ähnlich dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) im Bereich Klima. Zudem soll es eine Zusammenarbeit zwischen Standardisierungsakteuren geben und eine jährliche Konferenz stattfinden, um alle Stakeholder einzubeziehen. Das wären bereits bedeutende Fortschritte, um sowohl den globalen Norden und Süden zusammenzubringen als auch Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in diesem Prozess eine Stimme zu geben.
Besonders spannend ist die Initiative eines Globalen KI-Fonds, der in nachhaltige KI-Anwendungen investieren soll. Denn wenn wir bisher über die Chancen von KI reden, fallen zwar oft das Potential für Ressourceneinsparung oder eine Gesundheitsversorgung, die mehr Menschen erreichen kann. In der Praxis setzen sich bisher aber zunächst sehr konsum- und marktorientierte Anwendungen durch – eben solche, mit denen man Geld verdienen kann und deren Wertschöpfung im Wesentlichen in den Sitzländern der jeweiligen Anbieter stattfindet. Wenn die Vereinten Nationen global Investitionen in nachhaltige KI voranbringen können, wäre ein wichtiger Schritt gemacht. Diese Investitionen müssen dann aber auch aus privater Hand stammen. Es kann nicht sein, dass private Unternehmen gewinnorientierte KI betreiben und öffentliche Haushalte dann allein für die gesellschaftlich relevanten Anwendungen zahlen sollen. Das muss eine Gemeinschaftsaufgabe sein.
Alternativen zu den Marktführern von KI-Anwendungen schaffen
Verbunden mit der Idee des KI-Fonds ist generell das Machtgefüge weniger großer Firmen gegenüber dem möglichen Mehrwert für die Breite der Weltbevölkerung Thema des UN-Prozesses und findet sich in Ansätzen im ersten Entwurf des GDC. Hier wird noch stärker zu verdeutlichen sein, wie mit dem Aufbau lokaler Ökosysteme mit den nötigen Talenten, IKT-Infrastruktur, Rechenkapazitäten und regionalen Daten mehr Zugang zu KI geschaffen werden kann, jenseits von einseitigen Abhängigkeitsverhältnissen. Open Source und das Teilen von und die faire Wertschöpfung durch Daten können hier eine wichtige Rolle spielen.
Nicht zuletzt liegt eine Chance des Prozesses in der klaren Benennung der Risiken von KI auf Gesellschaft und Demokratie. Die große Gefahr durch Desinformations- und Deepfake-Kampagnen, welche Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen und Prozesse erodieren, müssen weltweit adressiert werden. Es reicht nicht, wenn nur Europa ein Ort ist, in dem demokratiezersetzende KI verboten ist. Es braucht hier eine globale Anstrengung, auch in einem geopolitisch angespannten Umfeld. Dieser Aspekt findet sich in den bisherigen Diskussionen und des Zwischenberichts der KI-Expertengruppe noch zu wenig wieder.
Das Risiko der Untätigkeit ist groß, zu schnell schreiten die Entwicklungen im KI-Bereich aktuell voran. Daher ist es nun an der Zeit, auch auf globaler Ebene eine nachhaltige Governance-Struktur zu schaffen, welche den positiven Nutzen von KI für alle zugänglich macht, die möglichen Gefahren präventiv adressiert, die digitale Teilhabe des Globalen Südens erhöht, und KI-Anwendungen im Sinne der Sustainable Development Goals und der Menschenrechte langfristig ausrichtet.
Anna Christmann (Grüne) ist Koordinatorin der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt sowie Beauftragte des Bundesministeriums für Wirtschaft- und Klimaschutz für die digitale Wirtschaft und Start-ups.