Haben Sie schon einmal versucht, ein Girokonto für ein Kind digital zu eröffnen? Falls ja, werden Sie schnell gemerkt haben: Das ist gar nicht so einfach, denn viele Prozessschritte gilt es zu meistern. An erster Stelle müssen Banken die Identität eines minderjährigen Kontoinhabers verifizieren. Falls kein gültiger Personalausweis oder Reisepass vorliegt, bleibt oft nur eine einzige Option: die Vorlage einer originalen Geburtsurkunde. Eine Kopie reicht gesetzlich dafür nicht aus. Eltern müssen die originale Urkunde per Brief schicken, Banken senden sie anschließend wieder zurück. Doch wer gibt schon gerne Originaldokumente heraus?
Hier zeigt sich ein fundamentales Problem: Die Geburtsurkunde besitzt keinerlei Sicherheitsmerkmale, kann als papierhaftes Dokument kaum bis gar nicht auf Echtheit überprüft werden und lässt sich mit wenig Aufwand fälschen. Zudem haben Banken keinen Zugriff auf das Geburtenregister, um ihre Echtheit zu überprüfen. Dennoch verpflichtet die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Geldhäuser – insbesondere durch die Auslegungs- und Anwendungshinweise, die am 1. Februar 2025 in Kraft getreten sind – dazu, bei jeder Kontoeröffnung das Original der Geburtsurkunde einzufordern, wenn kein gültiges Ausweisdokument vorliegt. Was bisher nur für Girokonten galt, gilt jetzt auch für Spar- und Depotprodukte. Das ist ineffizient, teuer und widerspricht den Digitalisierungs- und Entbürokratisierungszielen, die allenthalben gefordert werden.
Aber die Kontoeröffnung ist nur ein Beispiel. Auch bei der Anmeldung zur Familienversicherung, in Kindergärten oder bei der Schuleinschreibung wird die Geburtsurkunde verlangt. All diese Prozesse könnten längst digitalisiert sein – wenn es eine sichere digitale Identität für Minderjährige gäbe.
Die eID für Kinder? Fehlanzeige.
Theoretisch könnte die eID, also die Online-Ausweisfunktion, des Personalausweises eine Lösung sein. Denn Personalausweise können ab der Geburt beantragt werden und ab 16 Jahren besteht eine Ausweispflicht. Doch der Gesetzgeber hat entschieden, dass die eID erst ab 16 Jahren und nur auf Antrag aktiviert werden kann. Noch problematischer: Zwar können Personalausweise auch für jüngere Kinder beantragt werden, doch hier ist eine Aktivierung der eID gar nicht erst möglich.
Besonders paradox wird diese Entscheidung, wenn man bedenkt, dass aktuell über verpflichtende Altersverifikationen für soziale Netzwerke wie Tiktok oder Instagram diskutiert wird. Wie soll ein effektiver Jugendschutz funktionieren, wenn es für Minderjährige kaum praktikable digitale Identitätsmöglichkeiten gibt?
Digitale Hürden: Der Kulturpass als Beispiel
Die Notwendigkeit digitaler Identitäten für Minderjährige zeigt sich auch in anderen Bereichen. Ein Beispiel ist der Kulturpass der Bundesregierung: Seit dem Wegfall des kostenlosen PIN-Rücksetzbriefs im Dezember 2023, mit dem auch die digitale Aktivierung der eID möglich war, gingen die Nutzungszahlen deutlich zurück. Erst als die Sparkassen eine Identifikationsprüfung über das Konto des Minderjährigen ermöglichten, nahmen die Beantragungen wieder zu.
Das zeigt: Digitale Identitäten für Minderjährige sind nicht nur eine technische Notwendigkeit, sondern ein gesellschaftlicher Mehrwert.
Eine digitale Identität für Minderjährige – warum nicht auch fürs Smartphone?
Ab 2027 wird die European Digital Identity Wallet (EUDI) eingeführt. Sie soll es EU-Bürgerinnen und -Bürgern ermöglichen, ihre staatliche digitale Identität und digitale Nachweise auf dem Smartphone zu speichern. In der bisherigen Entwicklung stehen jedoch ausschließlich Volljährige im Fokus. Warum eigentlich?
Eine sichere digitale Identität wäre auch für Minderjährige sinnvoll. Laut einer aktuellen Bitkom-Studie besitzen 76 Prozent der 10- bis 12-Jährigen ein Smartphone, unter den 13- bis 15-Jährigen sind es bereits 90 Prozent, und ab 16 Jahren nahezu alle (95 Prozent). Warum also nicht auch eine digitale Identität für Kinder und Jugendliche in die Entwicklung der EUDI mit aufnehmen?
Diese müsste zudem durch einen digitalen Sorgerechtsnachweis für Erziehungsberechtigte ergänzt werden. Denn Minderjährige dürfen viele digitale und finanzielle Dienstleistungen nicht ohne Zustimmung ihrer Erziehungsberechtigten nutzen. Heute ist es sehr aufwendig, die Sorgerechtslage zu prüfen, da Erziehungsberechtigte in vielen Fällen ihre Berechtigung durch verschiedene papierbasierte Dokumente nachweisen müssen – zum Beispiel, wenn ein Kind nur einen Erziehungsberechtigten hat oder wenn sich der Nachname von dem der Eltern unterscheidet. Eine digitale Lösung würde diesen Prozess erheblich vereinfachen und beschleunigen und zugleich die sichere und rechtskonforme Nutzung digitaler Angebote für Minderjährige ermöglichen.
Bis zur Umsetzung einer digitalen Identität: Drei kurzfristige Maßnahmen
Bis eine vollumfängliche digitale Identität für Minderjährige etabliert ist, könnten bereits kurzfristig folgende Maßnahmen die aktuelle Situation verbessern:
Steuer-ID als Identitätsnachweis: Die Steuer-ID des Kindes, die Banken ohnehin gesetzlich erfassen und melden müssen, könnte als zuverlässige Identitätsprüfung dienen. Bei der Beantragung von Kindergeld reicht sie bereits aus. Warum also nicht auch bei Bankprozessen?
Standardmäßige eID-Aktivierung: Die eID sollte in allen Personalausweisen unabhängig vom Alter per Werkseinstellung aktiviert sein. Das wäre nicht nur ein Schritt in Richtung digitaler Identität für Minderjährige, sondern würde auch eine effektive Jugendschutzprüfung für soziale Netzwerke ermöglichen.
Abschied von der Geburtsurkunde im Original: Keiner sollte länger gezwungen sein, eine Geburtsurkunde im Original zu verschicken oder anzufordern. Da das Originaldokument ohnehin keine Sicherheitsmerkmale ausweist und nicht verifiziert werden kann, wäre eine digitale Kopie genauso sinnvoll – oder eben genauso unsicher.
An die Zukunft denken – aber jetzt handeln
Digitale Identitäten für Minderjährige sind kein Zukunftsthema – sie sind eine aktuelle Notwendigkeit. Die Frage ist nicht, ob wir sie brauchen, sondern warum wir nicht längst pragmatische Lösungen umgesetzt haben.
Die Politik muss den Willen haben, ganzheitliche digitale Lösungen für Minderjährige zu entwickeln, damit sie digitale Angebote in Wirtschaft, Verwaltung und Bildung nutzen können. Die Bafin, das Bundesministerium der Finanzen (BMF) und das Bundesministerium des Innern (BMI) könnten kurzfristige Lösungen entwickeln, um bestehende Hürden zu beseitigen.
Kurzum: Es ist an der Zeit, althergebrachte Prozesse auf den Prüfstand zu stellen und die notwendigen Schritte in Richtung Digitalisierung zu gehen.
Ronnie Schrumpf ist Manager Public Affairs bei ING Deutschland.