Natürlich waren diese letzten fünf Jahre seit der Veröffentlichung der Blockchain-Strategie der Bundesregierung alles andere als normal und einfach – weder für die Bevölkerung noch für Unternehmer oder Politiker.
Aber dennoch muss in Berlin angesichts der massiven Herausforderungen, vor denen wir insbesondere in Deutschland stehen, der Fokus in Zukunft wesentlich stärker auf Lösungen gelegt werden, reine Ankündigungspolitik wird nicht mehr reichen. Und genau in dieser Hinsicht versagte leider auch die Ampelkoalition. Denn es hat trotz immer wieder aufflackernden Aktionismus sowohl beim technischen Regierungshandwerk als auch bei der Auswahl der richtigen Techniken und Technologien gehapert – und natürlich auch bei der Kommunikation.
Was fehlt also? Der Wille zur Umsetzung und die dafür gerade in der Technologie- und Innovationspolitik unerlässlichen tiefen Überzeugungen. Und die Auswahl der richtigen Maßnahmen, mit der staatliche Rahmensetzungen, die einheimische und internationale Wirtschaft und der Bildungssektor verzahnt werden. Besonders enttäuschend war in der letzten Legislatur in Deutschland der fehlende Wille der Grünen, das Potenzial der Blockchain-Technologie gerade auch für Umweltschutz, Cirular Economies und effizienteres Wirtschaften zu sehen. Stattdessen hat eine unnötige Blockade-Haltung auf Basis fragwürdiger ‚Expertenmeinungen‘ das verhindert, was die Ampelkoalition eigentlich gestalten wollte: Fortschritt.
Dem Zeitgeist fehlt das Fortschrittsdenken
Aber natürlich ist das nicht nur die Schuld der Politik – sondern vielmehr ein Trend dieser Zeit. Denn Technologien entwickeln sich heute wesentlich schneller weiter als die gesellschaftlichen und damit auch die politischen Prozesse. Als Resultat neigen viele Politiker eher dazu, statt eines „Vorwärts!“ eher den Rufen nach den Rezepten von gestern Gehör zu schenken. Man denke nur an die aktuellen Diskussionen rund um den Verbrenner-Motor oder den Re-Start der Kernkraft hierzulande.
Aber: Unsere Wirtschaft und unsere Wettbewerbsfähigkeit fußen immer noch auf dem Ingenieursgeist, der sich vor 150 Jahren auch durch staatliche Bildungs- und Förderpolitik ausgeprägt hat. Doch dieser Vorsprung durch Technik wird in der nächsten Dekade recht abrupt schwinden. Der demografische Wandel und vor allem die fehlende Kraft unseres Bildungssystems, das Wettbewerbern wie China oder Indien in der Zwischenzeit hinterherhinkt, sind wesentliche Gründe dafür.
Umso dringender wäre es also, dass wir uns auf die technologischen Bausteine besinnen, die heute zur Verfügung stehen. Und eine klare Idee für deren Anwendung entwickeln. Denn die Herausforderung in der Ära der exponentiellen Technologien wird weniger in deren Programmierung, sondern vielmehr in deren richtiger Orchestrierung liegen. Man kann dies sehr schön an der aktuellen Diskussion über die Vorschriften für nachhaltige Produktion und ESG-Reporting beobachten: Der Tenor ist, dass diese zusätzlichen Berichts- und Nachweispflichten die deutsche Wirtschaft behindern würden. Stattdessen sollten wir uns fragen, ob wir denn über Technologien verfügen, mit denen sich aus diesen Daten echte Steuerungstools entwickeln lassen. Denn dadurch ließen sich die für den Umweltschutz dringend nötigen Einsparungen genauso erreichen wie Wettbewerbsvorteile durch neue Produkte und smarte Lieferketten. Und ja, wir haben sie – bestehend aus der Kombination von Blockchain, KI und in der Zukunft wohl auch Quantencomputing.
Wir sollten also alles daransetzen, die führende Stellung, die Berlin als ‚Blockchain-Hauptstadt der Welt‘ noch 2017 innehatte, nicht vollends zu verspielen. Denn auch wenn die Segnungen der Blockchain-Technologie wesentlich mehr umfassen als nur das Phänomen der Kryptowährungen – eines macht der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg des Bitcoins deutlich: Die Welt der digitalen Assets und der darunter liegenden Blockchains werden offensichtlich weltweit zunehmend verstanden – in der Zwischenzeit auch von der klassischen Finanz-Industrie.
Berlin braucht mehr Vordenker
Aber Europa wird weder in Sachen Risikokapital noch bei der Größe des Finanzmarktes mit den USA konkurrieren können – deshalb sollte unser Hauptfokus für Blockchain-Anwendungen auch auf der Infrastruktur und der Verbesserung industrieller Prozesse liegen. Entsprechende Initiativen gibt es in der Zwischenzeit einige, wesentliche Projekte reichen dabei vom programmierbaren Giralgeld (Commercial Bank Money Token unter Beteiligung führender deutscher Banken und Industrie-Konzerne) über Infrastrukturen für die Mobilität der Zukunft (moveID) bis hin zum Identitäts-Management für dezentrale Energie-Erzeugungsanlagen (DIVE – Digitale Identitäten - dena Future Energy Lab).
Aber in Berlin fehlt die „Thought Leadership“, die Meinungsführerschaft, um aus diesen Insel-Projekten eine echte Strategie für das ‚Wirtschafts-Backend‘ der Zukunft zu entwickeln. Und es mangelt auch noch am umfassenden Verständnis in den Chefetagen der Wirtschaft – obwohl viele Manager durchaus wissen, dass die Entscheidungen der kommenden Jahre die Weichen für Jahrzehnte stellen dürften angesichts immer mächtigerer Technologien.
Aber die Mehrdimensionalität von Blockchains verlangt eben mehr dazuzulernen als für Führungskräfte üblich – reicht sie doch von der transparenten Registerführung über fälschungssichere digitale Zertifikate hin zu vernetzten Fabriken als Teil eines Industrial Metaverse und am Ende eben zu den monetären Incentive- und Abrechnungs-Systemen, die durch Tokens, Kryptowährungen oder digitale Formen unseres heutigen Geldes sichere Wert-Übertragungen auf digitalem Weg ermöglichen.
Ideen für die Innovationspolitik der nächsten Bundesregierung
Und auch wenn sich der Wind bereits wieder etwas gedreht hat und sich die Politik nach den Erfolgen von Donald Trump mit seinem ‚Sonderwahlkampf‘ für die Kryptobranche in den USA sich mit Bitcoin & Co. beschäftigt, würden wir uns einen breiteren Ansatz für Innovation einer neuen Bundesregierung wünschen:
- Die Kopplung exponentieller Technologien vorantreiben: Durch die Kombination von Blockchain und KI lassen sich zum Beispiel vertrauenswürdigere Anwendungen der künstlichen Intelligenz entwickeln – gerade in der kritischen Infrastruktur, zu der wir auch das Nachrichtenwesen zählen, ein fundamental wichtiger Aspekt
- ‚Made in Germany‘ neu mit Inhalt aufladen: Die technologische Entwicklung geht ohne Zweifel in Richtung Voll-Automatisierung für viele industrielle Prozesse – wir müssen hier so intelligent und nachhaltig wie möglich agieren. Dabei können wir zum Beispiel auf in der Blockchain verankerte Programmier-Bausteine (Smart Contracts genannt) zurückgreifen oder Lösungen für digitale Identitäten von Menschen, Maschinen und Firmen. Die Basis der Industrie 4.0 laufend zu erneuern und dabei unsere gesellschaftlichen Normen in dieser Automatisierung fest mitzuverankern wird eine der wichtigsten Herausforderungen der kommenden Jahre
- Und: Deutschland und Europa müssen in global unsicheren Zeiten die Voraussetzungen für digitale Souveränität schaffen – und dabei mehr bewegen als mit gutgemeinten (aber zu spät begonnenen und dann zu theoretisch gebliebenen) Initiativen wie Gaia-X. In Kriegs- und Krisenzeiten muss dieses Thema ernst genommen werden, und von der Finanzwirtschaft bis hin zu einer funktionalen und funktionierenden Verwaltung für Staat und auch die Bundeswehr und die kritischen Infrastrukturen vieles umfassen.
Als Fazit lässt sich sagen, dass sich die Blockchain-Technologie in den vergangenen Jahren technisch enorm weiterentwickelt hat. Und dass wir in der EU eine führende Stellung im Bereich der Regulierung innehaben. Aber mit der neuen US-Administration braucht es vor allem die Förderungen eines optimistischen, kämpferischen Unternehmergeistes, der bestehende Regulierung als eine Chance sieht, aber im Austausch mit der Politik auch laufend an einer Verbesserung der Rahmenbedingungen arbeitet. Und wir als Vertreter der Blockchain-Industrie wollen unseren Teil dazu beitragen, dass wir nicht in technischen Disziplinen denken, sondern Sektor-Kopplung, nachhaltige Prozesse und den Wettbewerb auf souveränen Infrastrukturen gerne mit vorantreiben. Aber die Politik muss besser zuhören – ein paar Experten-Roundtables oder ein eigenständiges Digitalministerium werden nicht reichen, um dem Ernst der Lage gerecht zu werden.
Sebastian Becker ist seit Oktober 2023 Geschäftsführer des Blockchain Bundesverband e.V., einer Organisation zur Förderung der Blockchain-Technologie in Deutschland. Außerdem leitet er die „thebrainbehind“ GmbH, die sich auf Innovationen in den Bereichen Web3, Blockchain und Green Tech konzentriert. Zusätzlich ist er Vorstandsmitglied bei Inatba (International Association for Trusted Blockchain Applications).