Versetzen wir uns zurück zu Sonntag, 28. Januar 2018: In zwei Tagen findet die jährliche Aktionärsversammlung von Qualcomm statt, einem der wichtigsten Tech-Unternehmen. Qualcomm-Patente stecken in jedem Handy. Diesmal interessieren sich die Aktionäre allerdings weniger für die Einnahmen aus Patentlizenzen, denn im Raum steht ein Übernahmeangebot: Broadcom aus Singapur bietet 117 Milliarden Dollar – das wäre die größte Tech-Übernahme der Geschichte. Das Qualcomm-Management ist wenig begeistert und sucht fieberhaft nach einer Abwehrstrategie. Aktienrückkäufe? Neue Aktien ausschütten? Gibt es einen Investor, der zum „Weißen Ritter“ wird? Keine der Optionen scheint gut zu sein.
Am Ende kommt die Rettung aus einer unerwarteten Richtung: der Politik. Hatte die damals frisch gewählte US-amerikanische Regierung unter Donald Trump nicht lautstark für eine robustere Wirtschaftspolitik geworben? Für mehr nationale Sicherheit und weniger „Freihandelsideologie“? Genau nach diesem Strohhalm greifen die Verantwortlichen von Qualcomm. 48 Stunden vor dem Shareholder-Meeting bittet Qualcomm die zuständige Investitionskontroll-Behörde CFIUS um eine Prüfung der geplanten Übernahme unter dem Gesichtspunkt von US-Sicherheitsinteressen. Das Timing ist gut, denn die Trump-Administration führt gerade einen Feldzug gegen das chinesische Telekommunikationsunternehmen Huawei. Qualcomms Patente im 5G-Bereich scheinen da geostrategisch durchaus relevant. Und in der Tat: Sobald die Nachricht der CFIUS-Überprüfung publik wird, geraten Broadcom’s Pläne durcheinander. Noch bevor CFIUS zu einem Abschlussbericht kommt, untersagt Präsident Trump die Übernahme.
Strategische Eingriffe in die deutsche Wirtschaft
Fall abgeschlossen? Nicht ganz. Denn die Vorgänge bei Qualcomm könnten beispielhaft werden. Hier ist zunächst ein Blick auf die Politik der Investitionskontrollen hilfreich. Diese sind ins Zentrum geopolitisch motivierter Regulierung gerückt. Investitionen chinesischer Unternehmen, insbesondere im Tech-Bereich, aber auch in der Medizin und im Immobilienbereich, gelten in den Vereinigten Staaten von Amerika als geopolitisches Risiko. Direktinvestitionen aus China sind seit 2018 stark rückläufig, im Tech-Sektor gänzlich gestoppt.
Spätestens seit der Übernahme des Industrieroboter-Unternehmens Kuka durch Midea aus China im Jahr 2016 schwelt diese Debatte auch in Deutschland. Die Ampelkoalition hat mit der Novelle des Außenwirtschaftsgesetz eine deutliche Verschärfung eingeführt: Nun ist eine Investitionskontrolle bereits möglich, wenn ausländische Direktinvestitionen geeignet sind, die Sicherheit oder „öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen“ (zuvor war immerhin eine „Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit“ als Eingriffsschwelle vorgesehen).
Investitionskontrollen können heimische Wirtschaft schaden
So richtig zufrieden ist man auf der anderen Seite des Atlantiks mit diesen Vorgaben aber nicht. Der Druck nimmt zu, diese Kontrollen weiter zu verschärfen und insbesondere gegenüber China anzuwenden. Dabei wären die USA gut beraten, Vorsicht walten zu lassen. Denn Investitionskontrollen können sich auch gegen amerikanische Direktinvestitionen wenden. Und das scheint angesichts der aktuellen politischen Situation sogar sehr wahrscheinlich. In Berlin ist die Stimmung jedenfalls schlecht. Weder das unabgestimmte Vorgehen beim Subventionsprogramm der Biden-Administration (Inflation Reduction Act) noch die Zölle gegen europäische Unternehmen der ersten Trump-Regierung sind vergessen. Warum sollte man also ausgerechnet jetzt US-amerikanischen Unternehmen erlauben, weitere „Assets“ in Europa einzusammeln? Die Chancen eines Vetos seitens der Bundesregierung wären im Falle eines solchen Übernahmeversuchs relativ hoch.
Aus Sicht von Unternehmen, die Investitionen planen, stellt eine solche Geopolitisierung der Investitionskontrollen ein erhebliches Prozessrisiko dar. Es gibt allerdings noch eine andere Perspektive auf die Dinge – und hier wird der Qualcomm-Fall relevant: Wäre es aus Sicht der Zielunternehmen eines feindlichen Übernahmeversuchs nicht attraktiv, eben jene geopolitisch begründeten Investitionskontrollen für die eigene Verteidigung zu nutzen?
Im Vergleich zu anderen Instrumenten aus dem unternehmerischen „Verteidigungshandbuch“ bei feindlichen Übernahmen, wie die Aktienverwässerung, die Übertragung von Aktien an Stiftungen („Giftpille“), die Veräußerung wesentlicher Assets („Crown Jewel Defence“) oder das Hoffen auf einen „Weißen Ritter“ – gibt es durchaus ein paar Vorteile: Die direkten Kosten sind gering, die vorhandene Aktionärsstruktur bleibt unverändert. Die Strategie der „geopolitische Giftpille“ Qualcomms könnte also Schule machen.
Geopolitik wird zum Ritt auf der Rasierklinge
Sollte es zu einer Ablehnung einer großen US-Übernahme in Deutschland kommen, wäre eine transatlantische Krise vorprogrammiert. Eine Trump-Administration würde ein solches Veto als einen weiteren Beweis für die angebliche anti-amerikanische Ausrichtung Europas sehen und vermutlich mit Vergeltung drohen. Wie ironisch: Aus einer ursprünglich gegen China gerichteten Verschärfung der Investitionskontrollen könnte so in kurzer Zeit eine echte Belastungsprobe für die transatlantischen Beziehungen werden. Geopolitik ist kompliziert.
Ansgar Baums ist Senior Fellow des Stimson Center und berät Unternehmen in Fragen des geopolitischen Risikomanagements. Baums hat einen Master-Abschluss mit Auszeichnung in internationaler Strategie und Wirtschaft von der University of St. Andrews und ein Postgraduierten-Diplom in Politikwissenschaft von der Freien Universität Berlin.
Michael Weiß ist Partner der Anwaltskanzlei A&O Shearman. Er verfügt über mehr als fünfzehn Jahre Erfahrung in der Beratung von Unternehmen bei Transaktionen mit Schwerpunkt auf börsennotierten Unternehmen und öffentlichem Übernahmerecht sowie in allen Fragen des Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts.