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Standpunkte Kaum neue Freiheiten durch Media Freedom Act

Hans-Christian Gräfe (l.) und Marcus Schladebach (r.)
Hans-Christian Gräfe (l.) und Marcus Schladebach (r.)

So richtig schlüssig finden die Medienrechtler Marcus Schladebach und Hans-Christian Gräfe den Vorschlag der EU-Kommission für den Europäischen Media Freedom Act nicht. Unter einer überpathetischen Überschrift regelt er fiktive Fragen, die eigentlich keiner Regelung bedürfen. Zudem ohne Kompetenz auf dem Gebiet der Medienpolitik.

von Marcus Schladebach (r.) und Hans-Christian Gräfe (l.)

veröffentlicht am 04.10.2022

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Das europäische Medienrecht hat Konjunktur. Die EU hat den Medienbereich als wirtschaftlich sehr relevanten Interaktionsraum erkannt und erlässt nach Vorschlägen der Kommission in kurzen Abständen aufsehenerregende Rechtsakte. Ob Digital Services Act, Digital Markets Act, Artificial Intelligence Act, Data Act oder Urheberrechtsrichtlinie: Die Medienbranche sieht sich derzeit vielen neuen Regelungen und Vorschlägen gegenüber, die gerade großen Medienunternehmen zahlreiche unmittelbare Verpflichtungen auferlegen. Mit dem im September vorgelegten Vorschlag eines European Media Freedom Act wird eine weitere EU-Verordnung präsentiert, die bereits begrifflich falsche Assoziationen hervorruft – und auch inhaltlich mehr Fragen aufwirft als löst.

Impressumspflicht statt Medienfreiheit

Der Titel der neuen Verordnung suggeriert, dass die Medienakteure vor staatlichem Einfluss geschützt werden sollen. Diese beabsichtigte Staatsferne ist ein richtiges Ziel und wird durch Art. 5 GG in Deutschland und Art. 11 der EU-Grundrechtecharta bereits umfassend grundrechtlich gewährleistet. Jedoch geht es inhaltlich gar nicht nur um eine Abwehr möglicher Grundrechtseingriffe, sondern um ein Sammelsurium – vermeintlich – vielfaltssichernder Maßnahmen.

So enthält der Vorschlag das Recht der Mediennutzer, ein vielfältiges Medienangebot vorzufinden und nach Art. 3 sogar einklagen zu können. Zudem sollen Medienanbieter ihre wirtschaftlichen Aktivitäten ungestört von unerlaubten Restriktionen durchführen können und im Wege einer Anbieterkennzeichnungspflicht gewisse Grunddaten über ihr Unternehmen veröffentlichen. Indem Art. 6 die Medienanbieter zur Offenlegung von Unternehmensangaben verpflichtet, legt der Gesetzgeber eine zweifelhafte Impressumspflicht fest, die unter dem Vorwand der Transparenz von einer „Freiheit“ für Medienakteure meilenweit entfernt ist. Es handelt sich daher eher um ein Vielfaltssicherungs- als ein Medienfreiheitsgesetz. Schon der Titel führt in die Irre.

Im Grunde hat die EU keine Kompetenz

Der Vorschlag stellt in inflationärer und redundanter Weise auf „media services in the internal market“ ab, was offenbar der Kompetenzbegründung dienen soll. Denn die EU besitzt nach dem insoweit maßgebenden Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zwar eine vielgenutzte Zuständigkeit zur Regelung des Binnenmarkts, aber keine Befugnisse für den Medienbereich. Um nun aber gleichwohl medienrechtliche Regelungen treffen zu können, wird der Binnenmarktbezug derart stark betont, dass niemand auf die – berechtigte – Frage kommt, ob denn die bloße Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEUV hierfür ausreicht. Der Vorschlag verfolgt damit unter dem Deckmantel des Binnenmarkts unzulässige, d.h. medienrechtliche Ziele und ist deshalb kompetenzwidrig.

In dem angesichts des Titels auffallend kurzen Regelungstext dominiert die formale Frage, wie der European Board for Media Service einzurichten ist. Die materiellen Vorschriften verlieren sich in vier Artikeln, deren Inhalte weder von Seiten der Medienbranche, noch von Seiten staatlicher Organe angezeigt und notwendig waren. Wenn den Mediennutzern nun ein Recht auf mediale Vielfalt gegenüber den Medienanbietern gewährt werden soll, bleibt auch in den Erwägungsgründen vollkommen unklar, wo, gegen wen und unter welchen Voraussetzungen dieses Recht einklagbar sein soll. Offenbar sollen damit die Medienanbieter zur Änderung ihres Programms gerichtlich gezwungen werden können, was zumindest mit deren Programmautonomie kollidiert.

Wo immerhin richtige Ansätze drinstecken

Immerhin wird bestimmt, dass die mitgliedsstaatlichen Medienbehörden möglichst nicht in die Arbeit der Medienanbieter eingreifen sollen. Hierfür gibt es weder einen Anlass, noch ein Bedürfnis. Das bestehende grundrechtliche Instrumentarium hält für solche Gefahren ausreichende Antworten bereit. Es ist offensichtlich, dass die Regelung gewissen Regierungsbestrebungen in einzelnen EU-Mitgliedstaaten gilt.

Dem umgekehrten – nämlich externen – Bedrohungsszenario widmet sich Art. 16 des Vorschlags. Danach sollen Maßnahmen gegen außereuropäische Medien, die die öffentliche Sicherheit beeinträchtigen, koordiniert werden. Die Kommission gesteht dem Board dann allerdings nur das Recht zu, seine Stellungnahme abzugeben, die von den Mitgliedstaaten nach Möglichkeit berücksichtigt werden soll. Es bleibt abzuwarten, ob sich hinter diesem Feigenblatt noch der Schutz des europäischen Informationsraums vor äußerer Beeinflussung verbirgt.

Am eigentlichen Problem vorbeireguliert

Trotz aller Kritik bleibt anzuerkennen, dass der Vorschlag versucht, einen einheitlichen Operationsraum für europäische Medien zu schaffen. Das größte Problem einer ausreichenden Refinanzierung unabhängiger und vielfältiger Angebote wird nur sehr zaghaft angegangen. Hierzu sind die Bestimmungen in den einzelnen Mitgliedstaaten allerdings auch sehr unterschiedlich. Der Vorschlag scheint insofern hauptsächlich als Ergänzung zu den bisherigen Gesetzgebungsakten der Kommission gedacht zu sein, die gern tagesaktuelle Herausforderungen durch bürokratieaufbauende Regeln zu lösen versucht.

Insgesamt sollte der Vorschlag grundlegend überdacht werden. Unter einer überpathetischen Überschrift regelt er in kompetenzwidriger Weise fiktive Fragen, die auch einer kompetenzgerechten Regelung nicht bedürfen. Wenn die EU hiermit eine lex Ungarn/Polen anstrebt, sollte das klar benannt werden. Ansonsten bleibt es größtenteils bloße Symbolpolitik, die die europäische Medienbranche ohne jede Not in Irritation und Ratlosigkeit zurücklässt.           

Marcus Schladebach ist Professor für Öffentliches Recht, Medienrecht und Luft- und Weltraumrecht an der Universität Potsdam und Leiter des dualen Masterstudiengangs „Digital Media Law and Management, LL.M./MBA“ am Erich Pommer Institut in Potsdam Babelsberg. Er ist Herausgeber der Studien zum Medienrecht und veranstaltet regelmäßig Juristische Salons mit hochkarätigen Gesprächspartnern aus dem Medienbereich oder zu Weltraumthemen.

Hans-Christian Gräfe ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft und Gastwissenschaftler an der Universität Potsdam. Sein Forschungsinteresse liegt hauptsächlich im Medien- und Informationsrecht, genauer gesagt im Online-Medienrecht, insbesondere zum Einfluss von Technologie und KI auf Kommunikation und Medien.

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