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Digitalisierung & KI

Standpunkte Low Code: Nachhaltige Basis für die digitale Verwaltung

Hamarz Mehmanesh, CEO bei MGM Technology Partner
Hamarz Mehmanesh, CEO bei MGM Technology Partner Foto: mgm

Um bei der Digitalisierung mitzuhalten, können der Verwaltung so genannte Low-Code-Lösungen helfen, meint Software-Unternehmer Hamarz Mehmanesh. Im heutigen Standpunkt legt er dar, wie Beschäftigte ihre Abteilungen ohne viel Programmieren digitaler machen können und wo die Grenzen von Low Code liegen.

von Hamarz Mehmanesh

veröffentlicht am 03.11.2020

aktualisiert am 31.10.2022

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Die deutsche Verwaltung sieht sich mit einem Digitalisierungsdruck von beispiellosem Ausmaß konfrontiert. Da sind die Vorgaben des OZG (Onlinezugangsgesetz), der lauter werdende Ruf nach digitaler Souveränität und die zusätzliche Notwendigkeit schneller, pragmatischer Lösungen in der Coronakrise. Low Code-Ansätze sind ein wichtiger Baustein, um diese Herausforderungen zu stemmen: Sie können die Entwicklung von OZG-Diensten und kurzfristig bereitzustellender Verwaltungsangeboten erheblich beschleunigen, weil Low Code ohne klassische Pflichtenhefte für Entwickler auskommt. Außerdem eröffnet der Ansatz den Mitarbeitenden in den Verwaltungen einen völlig neuen Gestaltungsspielraum durch einen selbstbestimmten Umgang mit digitalen Lösungen. 

Vor allem aber können sogenannte Low Code-Plattformen ein gigantisches Problem lösen, das erst in Zukunft auf die Verwaltung zurollt. Zu den größten Aufwands- und Kostentreibern von Software zählen fachliche Anpassungen der angebotenen Dienste, wenn sie bereits in Betrieb sind. Software ist nun mal kein statisches Bauwerk, das einmal gebaut werden muss und dann „fertig“ ist. Es fallen Folgeaufwände für die laufende Produktion und die Weiterentwicklung über viele Jahre bis Jahrzehnte an. Das im Hinblick auf Effizienz und Kosten als Heilsbringer gepriesene „Einer für alle“-Prinzip wird daran nur wenig ändern können, solange Verwaltungsdienstleistungen ausschließlich nach dem klassischen Softwareentwicklungsprozess digitalisiert werden. Low Code-Ansätze können einen wichtigen Beitrag leisten, um diese Aufwände langfristig zu verringern. 

Fachabteilungen werden durch Low Code zu Co-Entwicklern 

Low-Code-Plattformen arbeiten nach einem einfachen Prinzip: Sie stellen Modellierungswerkzeuge bereit, mit denen Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter ohne explizite Programmierkenntnisse wesentliche Teile der digitalen Fachverfahren selbst abbilden können. Spezielle Interpreter und Generatoren übersetzen diese Modelle dann automatisiert in Programmcode. Je nach dem Umfang und den Schwerpunkten des zugrundeliegenden Modellierungskonzeptes lassen sich auch sehr komplexe fachliche Zusammenhänge abbilden. 

Die Vorteile liegt auf der Hand: Fachabteilungen können so langfristig zum Beispiel Änderungen in Gesetzen oder rechtlichen Vorgaben selbst umsetzen. Neue Eingabefelder, benötigte Unterlagen oder geänderte Abhängigkeiten zu anderen Eingaben? Kein Problem! Ohne tiefergehende IT-Kenntnisse können Mitarbeitende diese Dinge in grafischen Modellierungswerkzeugen umsetzen. Das betrifft sowohl die Antragssicht für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen als auch die eigene Fachsicht für die Bearbeitung bis zur Archivierung. Über diesen Weg lassen sich Anpassungen von Online-Diensten viel schneller und direkter umsetzen. 

Damit entfällt initial und fortlaufend also der sonst übliche Schritt der Fachseite, detaillierte Anforderungen zu formulieren, die anschließend von dem Software-Team zunächst verstanden und dann umgesetzt werden müssen. Darüber hinaus haben Low-Code-Ansätze das Potenzial für Synergieeffekte: Modelle können geteilt und wiederverwendet werden. Um eine Anwendung zu digitalisieren, können Fachexpertinnen und Fachexperten auf bereits bestehende Modelle zurückgreifen. 

Die Grenzen von Low Code 

So charmant die Idee eines reinen Software-Baukastens für die Verwaltung auch sein mag, muss sie vor dem Hintergrund komplexer Fachanwendungen immer auch relativiert werden. Der öffentliche Sektor ist schließlich durch eine heterogene komplexe IT-Landschaft gekennzeichnet. Digitalisierungsprozesse von Kernprodukten oder -Leistungen sind in der Regel zu tief mit vorhandenen IT-Systemen verbunden als dass Fachverfahren alleine im Klickmodus realisiert werden können. Auch langfristig wird es technische Aspekte und Integrationsszenarien geben, für die klassische individuelle Entwicklungen schlichtweg der effizienteste und nachhaltigste Weg sind. 

Deshalb sollten Low Code-Plattformen kompromisslos offen sein für individuelle Lösungen. Sie müssen in jedem Aspekt der Architektur erweiterbar sein und Schnittstellen in alle Richtungen anbieten, um anschlussfähig an die komplexe behördliche IT-Landschaft zu sein. Geschlossene Plattformen punkten zwar mit schnellen Ergebnissen und einfach zu bauenden Apps, sind auf lange Sicht für ausgewachsene Anwendungen aber unbrauchbar. Zumal solche Anwendungen schließlich nachhaltig viele Jahre lang laufen sollten. 

Low Code wird den klassischen Entwicklungsprozess also nicht vollständig verdrängen. Der Einsatz an den richtigen Stellen – eben dort, wo immer wieder fachliche Anpassungen zu erwarten sind – sollte aber unbedingt forciert werden. Nur dann kann durch einen modellgetriebenen Prozess der größte Kostenblock unter der Wasseroberfläche signifikant kleiner werden, der erst später nach der initialen Umsetzung sichtbar wird. 

Inkludiert: Attraktivitätsplus für die Verwaltungsarbeit 

Nicht zu unterschätzen dürfte zudem der Einfluss der neuen Arbeitsweisen auf die Kultur und Arbeitgeberattraktivität von Behörden sein. Statt „Amtsstuben“ auf der einen Seite und IT-Silos auf der anderen, bekommen die Fachebenen eine aktive Rolle und Möglichkeiten für schnelle Umsetzungen entlang der Prozesskette. Egal ob es um OZG- oder schnelle Corona-Projekte geht. 

Letztlich ist die digitale Befähigung der Verwaltungsmitarbeitenden ein nicht unerheblicher Mosaikstein zur digitalen Souveränität der Verwaltung. Diese neue Fachsouveränität verhindert nicht nur potentielle Fehlentwicklungen sowie Missverständnisse zwischen Fachbereichen und IT. Sie eröffnet Verwaltungen auch einen völlig neuen Gestaltungsspielraum, um die Herausforderungen der Digitalisierung zu meistern. 

Hamarz Mehmanesh ist CEO des Software- und Lösungsanbieters MGM Technology Partners. Hauptsitz des 1994 von ihm mitgegründeten Unternehmens ist München, hinzu kommen Büros in 15 Städten im In- und Ausland. Bereits während seines Psychologie- und Philosophie-Studiums Mitte der 80er-Jahre an der Universität Regensburg hatte er seinen Schwerpunkt in kognitiver Modellierung und der Programmierung von Expertensystemen. 

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