Standpunkte Neue Haftungsregeln bei KI sind unnötig

Die schwarz-rote Regierung will prüfen, ob Europa neue Haftungsregeln für Künstliche Intelligenz braucht. Doch die EU-Kommission hat eine von ihr geplante KI-Haftungsrichtlinie nicht ohne Grund auf Eis gelegt, meint Anja Käfer-Rohrbach. Das geltende Recht ist technologieoffen. Es schafft schon heute Klarheit in Haftungsfragen und lässt Raum für Innovation.
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Jetzt kostenfrei testenKünstliche Intelligenz ist das Buzzword der Stunde. Sie gehört zu den Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts, kann die Produktivität erhöhen, Services verbessern, Wachstum schaffen. Von selbstlernenden Robotern über vernetztes Fahren bis zur Diagnose von Krankheiten sind enorme technische Fortschritte möglich. Die Europäische Union hat mit der KI-Verordnung (AI Act) eine gute Grundlage dafür geschaffen, dass Europa das Innovationspotenzial voll ausschöpfen kann und im globalen Wettbewerb nicht ins Hintertreffen gerät (Tagesspiegel Background berichtete). Wird die KI-Verordnung richtig umgesetzt, können Verbraucherinnen und Verbraucher auf das hohe Sicherheitsniveau der Standards vertrauen, während Unternehmen gleichzeitig Handlungsspielräume und Planungssicherheit haben.
Künstliche Intelligenz wird bereits von Haftungsregeln erfasst
Keine neuen Regeln brauchen wir hingegen für Fragen der gesetzlichen Haftung. Klar ist: Die KI selbst haftet nicht. Der Status einer Rechtspersönlichkeit mit eigenen Rechten und Pflichten wird ihr aus guten Gründen nicht zuerkannt. Stattdessen hat die gerade erst überarbeitete EU-Produkthaftungsrichtlinie unmissverständlich klargestellt, dass Software jeder Art, also auch Künstliche Intelligenz, ein Produkt im Sinne der Richtlinie ist. Gleichzeitig hat die Richtlinie den Haftungsrahmen zulasten von Produzenten verschärft, während Verbraucher ihre Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Produkte künftig leichter durchsetzen können. Im Ergebnis behandelt das Zivilrecht die Künstliche Intelligenz heute nicht anders als andere Produkte, Dienstleistungen oder Werkzeuge auch. Solange das so bleibt, ist jeder, der durch einen Fehler einer Künstlichen Intelligenz geschädigt wird, durch das Recht – und die entsprechenden Haftpflichtversicherungen – gut geschützt.
Einige Beispiele:
- Ein Pharma-Hersteller entwickelt ein neues Medikament. Die in der Forschung eingesetzte Künstliche Intelligenz liefert falsche Daten, wodurch Nebenwirkungen nicht erkannt werden. Erkranken Menschen an den übersehenen Nebenwirkungen, werden ihre Schadensersatzansprüche von der Produkthaftpflichtversicherung des Pharma-Herstellers übernommen.
- Ein Maschinenbauer repariert eine Anlage auf Basis einer falschen Analyse und Empfehlung einer von ihm eingesetzten Künstlichen Intelligenz. Entstehen durch diese fehlerhafte Reparatur Schäden an der Anlage oder werden Menschen verletzt, übernimmt die Betriebshaftpflichtversicherung des Maschinenbauers den Schaden.
- Das KI-System einer Personalabteilung sortiert Bewerbungen vor. Dabei diskriminiert es eine bestimmte Gruppe und lehnt alle entsprechenden Bewerbungen ab. Die Schadensersatzansprüche der diskriminierten Menschen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz sind von der Betriebshaftpflichtversicherung des Unternehmens gedeckt.
- Ein IT-Dienstleister verkauft eine fehlerhafte Steuerungssoftware mit KI-Unterstützung an einen Möbelhersteller. Die KI bemisst die Stärke des Holzes falsch und lässt es zu dünn sägen. Verletzen sich Kunden durch die instabilen Möbel, deckt zunächst die Produkthaftpflichtversicherung des Möbelherstellers die Schäden. Dann nimmt er Regress beim IT-Dienstleister – der wiederum durch seine eigene Haftpflichtversicherung geschützt ist.
Die Beispiele zeigen, dass die aktuelle Rechtslage ohne Weiteres tragfähig ist.
Keine überflüssige Gesetzgebung schaffen
Haftungsverschärfungen oder gar neue EU-Haftungsordnungen für Künstliche Intelligenz sind überflüssig. Selbstverständlich wird KI – wie jede andere neue Technologie – im Einzelfall haftungsrechtliche Fragen aufwerfen. Für die Antworten auf diese Fragen braucht es aber keine gesetzgeberischen Eingriffe. Die Gerichte können künftige Streitfälle rund um die Haftungsfragen beantworten, indem sie die bestehenden Regeln auslegen und anwenden. Die europäische Produkthaftungsrichtlinie und das bewährte deutsche Haftungsrecht schützen dabei etwaige Geschädigte und wahren gleichzeitig die berechtigten Interessen von Herstellern und Nutzern, die ihre Haftungsrisiken problemlos versichern können. Haftungsrechtliche Schutzlücken beim Einsatz Künstlicher Intelligenz müssen also nicht geschlossen werden – sie sind schlicht nicht vorhanden.
Europa sollte bei Entwicklung und Einsatz von KI mutig voranschreiten – die anderen tun es bereits. Das große Innovationspotenzial und die Chancen gilt es zu heben. Dafür braucht es kluge Rahmenbedingungen, zu denen auch ein klarer, beständiger und bewährter Rechtsrahmen gehört. Aber kein neues Haftungsrecht, das zu Widersprüchen und Rechtsunsicherheit führen und das Potenzial der Künstlichen Intelligenz im schlechtesten Fall von vornherein ersticken könnte. Noch besser als Bürokratieabbau im Nachhinein ist es schließlich, überflüssige Regelungen gar nicht erst entstehen zu lassen.
Anja Käfer-Rohrbach ist stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV).
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