Seit die Europäische Kommission 2017 eine Rekordgeldbuße gegen Google verhängte, immerhin 2,4 Milliarden Euro, werden das Kartellrecht und seine Hüter als Helden des freien Internets gefeiert. Diese Woche zogen die Konkurrenten von Google Shopping, Preisvergleichsdienste wie Idealo und Kelkoo, eine Bilanz, was sich seither geändert hat. Sie fiel ernüchternd aus: Die Auflagen, die die Europäische Kommission Google 2017 gemacht hatte, damit der Wettbewerb nicht systematisch behindert wird, ziehen nicht. Weiterhin haben alternative Preisvergleichsportale keine Chance.
Das hatten viele Experten schon befürchtet. Als überzeugter Kartellrechtler muss ich zugeben: Wir sind am Ende unserer Möglichkeiten. Ein Durchbruch muss her! In dieser Woche erklären mein britischer Kollege Philip Marsden und ich beim European Data Summit der Konrad-Adenauer-Stiftung, wie dieser Durchbruch aussehen kann. Er musste einige Überzeugungsarbeit bei mir leisten, aber jetzt bin auch ich überzeugt, dass Online-Plattformen reguliert werden müssen.
Warum das Kartellrecht an seine Grenzen stößt
Zur Erklärung: Juristinnen und Juristen denken in Schubladen, meine ist die des Kartellrechts. Es ist das grundlegende Ordnungsinstrument der freien Marktwirtschaft, durchgesetzt vom Bundeskartellamt und der Europäischen Kommission. Die Behörden reagieren auf Regelverstöße im Wettbewerb der Unternehmen „ex post“, also nachträglich: Wenn der Verstoß festgestellt wurde, wird er im Nachhinein abgestellt. Manchmal gibt es ein Bußgeld und Vorgaben, wie sich Unternehmen künftig zu verhalten haben. Dieses Vorgehen, jahrzehntelang bewährt, hat angesichts der Geschäftsmodelle der Plattformökonomie seine Grenzen aufgezeigt bekommen. Drei Faktoren machen den Wettbewerbshütern das Arbeiten schwer:
1. Geschäftsmodelle werden mit atemberaubendem Speed ausgerollt und skaliert. Langwierige behördliche und gerichtliche Verfahren kommen schlicht zu spät. Märkte sind längst gedreht, bis die Kartellbehörden einschreiten können.
2. Netzwerkeffekte und Datenmacht führen in der Plattformökonomie zu Winner-takes-it-all-Szenarien. Wer sich als Plattform durchsetzt, ist für die Konkurrenz unangreifbar. Hier noch nachträglich Wettbewerb herstellen zu wollen, funktioniert nicht.
3. Die Finanzmittel der Superplattformen wie Google oder Facebook sind quasi unbeschränkt. Was sich ihnen an Wettbewerb in den Weg stellt, können sie wegkaufen („killer acquisition“) oder verdrängen.
GWB-Novelle reicht nicht
Deutschland steuert angesichts dieser Erkenntnisse nach: Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat einen Gesetzentwurf für ein modernisiertes Kartellrecht vorgelegt, der neue Möglichkeiten für das Bundeskartellamt vorsieht. So gut und wichtig das ist – meine Prognose ist: Es wird nicht reichen, um die digitalen Giganten zu zähmen. Dabei geht der Entwurf bereits an die Schmerzgrenzen der „klassischen Kartellrechtler“.
Auch die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Margrethe Vestager, war nicht untätig. Sie fordert ein „New Competition Tool“ und will im „Digital Services Act“ Vorgaben für Online-Plattformen machen. Hier deutet sich der entscheidende Schritt an: Neben die „ex post“-Kontrolle der Kartellbehörden muss eine Vorab-Regulierung treten. Bislang greifen wir zu solchen Instrumenten vor allem in Branchen wie Telekommunikation, Energie oder Bahn. Philip Marsden und ich begrüßen diesen Schritt. Nur so können freier Wettbewerb, die Fairness der Vermittlung und auch die Entscheidungshoheit des Verbrauchers gesichert werden. Durch eindeutige Gebote und Verbote könnte wenigstens ein bisschen Wettbewerbsdruck aufrecht erhalten bleiben. Wir schlagen Regeln vor, die über das kartellrechtliche Missbrauchsverbot hinausgehen, etwa zum Datenzugang und zur Interoperabilität. Das ist auch mehr als die europäische Platform-to-business-Verordnung leistet, die nur Erläuterungspflichten, aber keine Verbote kennt.
Welche Regeln braucht es? Ein Vorschlag
Die Europäische Kommission hat in ihren Vorschlägen vor allem das „institutionelle Design“ offen gelassen: Wer soll das regeln und durchsetzen? Wie genau soll das ausgestaltet werden? Über diese Fragen haben Philip Marsden und ich geschrieben. Mein Ausgangspunkt war die Überlegung, wie wir die Fehler vermeiden, die bei der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gemacht wurden. Die DSGVO, ein durchaus eindrucksvolles Beispiel für europäische Rechtsetzung, leidet darunter, dass sie schon bei Verabschiedung der tatsächlichen Entwicklung hinterherhinkte, dass die Rechtsdurchsetzung mangelhaft bleibt, dass Verhandlungsungleichgewichte ausgeblendet werden und dass die etablierten Player besser mit ihr klarkommen als Newcomer, Start-ups und KMU.
Als deutscher Jurist denkt man bei Regulierung erst einmal an Top-down-Verfügungen, mit denen eine Behörde, mit Aktenzeichen und Stempel, einem Unternehmen erklärt, was zu tun ist, wenn das Unternehmen Regeln verletzt hat. Genau das ist aber das Modell, das ja kartellrechtlich gescheitert ist. Philip, mein Counterpart bei dem Projekt für die Adenauer-Stiftung, kommt aus einer anderen Rechtstradition: In Großbritannien darf eine Marktuntersuchung auch ohne konkrete Verdachtsmomente und Rechtsverstöße durchgeführt werden, an ihrem Ende stehen Empfehlungen an Unternehmen und öffentliche Stellen. So etwas braucht auch die EU, um Fehlentwicklungen besser in den Blick nehmen zu können und den rechtlichen Rahmen up-to-date zu halten.
Die Untersuchungskommission muss aber unabhängig sein und mit Sachverstand gerüstet. Ihr vorgelagert sollte in der Europäischen Kommission eine „Early Alert Unit“ den Alarmknopf drücken, wenn die Konzentration in Märkten zu hoch wird. Die Empfehlungen in Folge der Marktuntersuchung müssen dann ihren Weg ins Recht finden, und zwar schnell. Das kann eine „Platform Compliance Unit“ leisten. Behörden allein werden aber überfordert sein. Sie brauchen die Unterstützung aus den Märkten selbst. Marktakteuren sollte daher der Weg zu einem schnell entscheidenden Beschwerdepanel ermöglicht werden, das über die Vorgaben wacht, die in einer neuen Plattformregulierung vorgesehen sind, etwa für den Datenzugang.
Unser Modell ist sicher noch nicht in allen Details richtig durchdacht. Aber Perfektion ist vielleicht auch nicht der richtige Maßstab: Das Zähmen der digitalen Giganten kann nur schrittweise erfolgen. Etwas Lust auf ein regulatorisches Experiment ist dabei nötig.
Rupprecht Podszun ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und dort Direktor des Instituts für Kartellrecht.
Zusammen mit Philip Marsden hat er im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung die Studie „Restoring Balance to Digital Competition – Sensible Rules, Effective Enforcement“ verfasst, die heute auf der Fachtagung „European Data Summit“ präsentiert wird.
Der Kartellrechtler Marsden, der für die Bank of England arbeitet und am College of Europe unterrichtet, war unter anderem Mitglied des „Digital Competition Expert Panel“, das für die britische Regierung den so genannten Furman Report zum Wettbewerb im digitalen Zeitalter erstellt hat.