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Digitalisierung & KI

Standpunkte Politik und Verwaltung brauchen KI-Nachhilfe

Juri Schnöller (Cosmonauts & Kings) & Daniel Privitera (Kira)
Juri Schnöller (Cosmonauts & Kings) & Daniel Privitera (Kira) Foto: Privat

KI verändert unsere Gesellschaft rasant, doch Mitarbeitende in Behörden, dem parlamentarischen Raum und Politiker:innen selbst haben – verständlicherweise – allgemein noch immer nicht genug KI-Kompetenz, um kluge Weichenstellungen für die Zukunft zu stellen. Das sollte sich spätestens jetzt ändern, fordern Juri Schnöller von Cosmonauts and Kings und Daniel Privitera von dem Thinktank Kira.

von Juri Schnöller & Daniel Privitera

veröffentlicht am 06.07.2023

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Der Spott war groß, als Angela Merkel das Internet im Sommer 2013 als „Neuland“ bezeichnete. Ein ähnliches Schicksal ereilte den US-Senat 2018: Die Anhörung, in der Mark Zuckerbergs berühmter Satz „Senator, we run ads“ fiel, offenbarte die Unkenntnis führender US-Politiker:innen über die Funktionsweise sozialer Medien. Und auch heute schreiben laut einer aktuellen Umfrage 63 Prozent der Deutschen der Politik eine begrenzte oder überhaupt keine Digitalkompetenz zu.

Dieses Problem droht sich jetzt zu verschärfen. Denn zu den bekannten Herausforderungen – etwa die schleppende Digitalisierung der Verwaltung oder der Kampf gegen Hate Speech in den sozialen Medien – gesellt sich nun Künstliche Intelligenz (KI). Die Technologie ist endgültig im Alltag angekommen und wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zutiefst disruptive Veränderungen mit sich bringen. Gleichzeitig sind sich selbst Fachleute über die genauen Auswirkungen von KI uneinig. Für Entscheidungsträgerinnen gestaltet es sich umso schwerer, sich einen Überblick über dieses neue, noch viel größere „Neuland“ zu verschaffen. Was also tun?

Gesucht: KI-Kompetenzen in der Politik und Verwaltung

Kurt Schumacher sagte einmal: „Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit“. Obwohl es in Deutschland eine nationale KI-Strategie, mehrere „Innovation Labs“ und einzelne KI-Referate gibt, sind wir von flächendeckender Kompetenz in Politik und Verwaltung noch weit entfernt. Damit politische Entscheider die neue Realität erfassen können, muss die „KI-Literacy“ in Ministerien, parlamentarischen Gremien und Behörden umfassend gesteigert werden. Dabei müssen sowohl die technischen Grundlagen moderner KI vermittelt als auch deren Chancen und Risiken aus verschiedenen sozialen, politischen und ethischen Perspektiven eingeordnet werden.

Wie können die Verantwortlichen ihre KI-Kenntnisse konkret erweitern? Zwar gibt es schon eine Reihe hochwertiger Online-Lernangebote, wie den „AI For Everyone“-Kurs des KI-Pioniers Andrew Ng, „Prompt-Engineering“-Kurse, Vorträge über KI-Risiken beziehungsweise -Governance sowie wissenschaftliche Vorhersagen über die Zukunft von KI. Aber wie realistisch ist es, dass im hektischen Alltag in Politik oder Verwaltung Zeit bleibt, um einen mehrwöchigen Online-Kurs zu belegen?

Bootcamps für Staatsbedienstete und Politiker:innen

Deswegen braucht es darüber hinaus dringend auf politische Entscheiderinnen zugeschnittene Intensiv-Formate mit steiler Lernkurve, die einen direkten Austausch untereinander und mit KI-Fachleuten aus verschiedenen Bereichen ermöglichen. In unserem heute stattfindenden 1. KI-Bundestags-Bootcamp erlangen Abgeordnete und ihre Mitarbeitenden ein besseres Verständnis in drei zentralen Bereichen: 1) technische Grundlagen moderner KI-Systeme, 2) praktische Use Cases aus dem politischen Alltag, 3) Risiken und Regulierung. In dem überparteilichen Workshop kommen verschiedene Fachleute mit unterschiedlichen Perspektiven zu Wort: der Thinktank aus Washington, die Forscherin aus Oxford, der Unternehmensvertreter und die Expertin aus der Zivilgesellschaft.

Veranstaltungen wie diese dienen auch dazu, mit häufigen Missverständnissen rund um KI aufzuräumen. 1) Zum Beispiel: Dass KI-Modelle von Menschen gebaut werden, bedeutet nicht, dass deren Entwickler genau verstehen, was innerhalb dieser Modelle vor sich geht. 2) Nicht alles, was ein Modell wie GPT-4 tut, wurde vorher explizit in das Modell hineinprogrammiert. Das führt zu Herausforderungen in der Regulierung. 3) Die Leistungsfähigkeit von ChatGPT geht nicht allein auf technische Innovation und große Mengen an Trainingsdaten zurück, sondern in großen Teilen auf die immensen Steigerungen an Rechenleistung in den letzten Jahren.

Ein solides Verständnis dieser und anderer Zusammenhänge ist unerlässlich, um kluge und verantwortungsvolle KI-Politik zu betreiben. Deswegen braucht es jetzt umfassende Schulungsprogramme für Staatsbedienstete und Politiker:innen. Andernfalls können sie weder die Chancen noch die Risiken dieser Technologie richtig einschätzen. Sie können weder effektive Regelwerke erstellen, um KI-Risiken zu minimieren, noch effektive Anreize für die Entwicklung von KI setzen, die zum Wohle der Gesellschaft beitragen.

KI-Technologie entwickelt sich in einem rasanten Tempo weiter. In der Zukunft wird unsere Gesellschaft auf schnelle und manchmal sprunghafte Veränderungen reagieren müssen, die Auswirkungen auf unser ganzes Zusammenleben haben. Es braucht ein gedankliches Grundgerüst und breit gestreute Expertise, um in diesen Situationen besonnen und verantwortlich zu handeln. Investitionen in KI-Literacy in Form von Schulungs- und Weiterbildungsprogrammen für Verwaltung, Parteien und Ministerien sind jetzt nötig, um diese Voraussetzungen für erfolgreiche KI-Politik zu schaffen.

Juri Schnöller ist Gründer und Geschäftsführer von Cosmonauts and Kings, einer digitalen Politikberatung in Berlin.

Daniel Privitera ist Gründer und Geschäftsführer des Zentrums für KI-Risiken und -Auswirkungen (Kira), eines Thinktanks in Berlin. 

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