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Standpunkte Smart statt Staat: Wege aus der Innovationskrise

Tobias Gutmann von der EBS Business School und Thomas Sattelberger, ehemaliger FDP-Staatssekretär
Tobias Gutmann von der EBS Business School und Thomas Sattelberger, ehemaliger FDP-Staatssekretär Foto: Sattelberger & Gutmann

Noch immer steckt Deutschland in der Midtech-Falle fest – das muss sich dringend ändern. Der ehemalige Staatssekretär Thomas Sattelberger (FDP) und Innovationsforscher Tobias Gutmann fordern, nicht länger auf den Staat zu warten: Die Wirtschaft habe eigene Möglichkeiten und diese müssten aktiviert werden.

von Thomas Sattelberger & Tobias Gutmann

veröffentlicht am 19.02.2025

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Deutschland, einst bekannt für visionäre Ingenieure und bahnbrechende Innovationen, ist in Bürokratie und Behäbigkeit erstarrt. Während die USA mit Tech-Giganten wie Google, Meta oder Nvidia sowie zukunftsweisenden Branchen wie Biotech und New Space die Weltmärkte dominieren und unsere Nachbarländer Schweiz oder Dänemark an der Spitze der Innovationsrankings stehen, verharrt Deutschland in der selbst geschaffenen „Midtech-Falle“. Rund zwei Drittel unserer privaten Forschungsinvestitionen fließen weiterhin in die Automobilbranche – ein Relikt des 20. Jahrhunderts. Die Zukunft aber wird längst in anderen Sektoren geschrieben.

Währenddessen fliehen deutsche Tech-Gründer ins Silicon Valley, auf der Suche nach einem Umfeld, das Innovation ermöglicht. Unser Start-up-Ökosystem sowie unsere heimische Wirtschaft stecken indes im Käfig staatlicher Bevormundung. International mobile Mittelständler schauen zunehmend nach Ausweichoptionen im Ausland.

Deutschland droht, sich in eine Nation der Dichter und Denker zurückzuentwickeln – allerdings in der Rolle von Geistes- und Sozialwissenschaftlern im Staatsdienst, weit entfernt von Innovationsführerschaft. Statt ein Motor des Fortschritts zu sein, riskieren wir, zur verlängerten Werkbank der Tech-Nationen zu werden. Der Handlungsbedarf ist klar: Ohne einen radikalen Kurswechsel droht der wirtschaftliche und technologische Abstieg.

Staatliche Innovationsagenturen werden zum Alibi

Innovationsagenturen wie die Bundesagentur für Sprung-Innovationen (Sprind) und die inzwischen beerdigte Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (Dati) sollten eigentlich – eingebettet in dynamische Industrien – eine Antwort auf ausländische Pendants sein. Doch die schlussendlich übrig gebliebene Sprind bleibt bestenfalls Alibiprojekt in einer innovationsarmen Wirtschaftslandschaft. Deutschland muss sich in seiner heutigen Lage von der Illusion verabschieden, dass Innovation zentralstaatlich geplant und initiiert werden kann. Der Staat ist nicht die Lösung – er ist Teil des Problems.

Doch auf die Befreiung aus den staatlichen Fesseln zu warten, wäre naiv. Die Wirtschaft hat eigene Hebel, und es ist an der Zeit, diese jetzt voll zu aktivieren.

Smart statt Staat: Vier Hebel

Unzählige Studien belegen einen rasant wachsenden Bedarf an Tech-Fachkräften, insbesondere in den Bereichen Datenanalyse und Künstliche Intelligenz (KI). Doch während der Bedarf steigt, verlässt ein Drittel der deutschen KI-Talente – vor allem Postdocs – das Land. Ihre Ziele? Die USA, die Schweiz oder Großbritannien. Während die USA durch eine enge Verbindung von technischem Talent und Unternehmergeist weltweit führend sind, verharren deutsche Ingenieure und Entwickler häufig in der Komfortzone von Konzernkarrieren oder verlieren sich in staatlich finanzierten Innovationsprojekten.

Kein Wunder also, dass Deutschland zu wenige Tech-Gründer hervorbringt. Laut einer Studie des britischen Frühphasen-VCs Antler haben nur zwölf Prozent der Gründer hierzulande einen Tech-Background – weit abgeschlagen hinter dem europäischen Durchschnitt von 54 Prozent. Das ist fatal: Nichts gegen die Wirtschaftsleute und MBA‘s, aber 90 Prozent der scheiternden europäischen Unicorns haben laut derselben Studie Gründer mit einem nicht-technischem Hintergrund. Es fehlt Deutschland nicht nur an Anreizen, sondern an einem systemischen Nährboden für mutige Tech-Gründerinnen und Gründer.

Exzellente Talente werden zwar ausgebildet, aber kaum mobilisiert, um disruptive Start-ups zu gründen. Um diese Dynamik zu verändern, braucht es in Deutschland deutlich mehr Mint-Absolventen – sei es durch akademische oder berufliche Bildung. Der Pool an entsprechenden Gründern muss signifikant wachsen.

Tech-Talente als Kapitalgeber

Talente allein genügen nicht – ohne Kapital bleiben selbst die besten Ideen nur auf dem Papier. Und hier liegt das nächste große Defizit Deutschlands: Während in den USA im Jahr 2024 190,8 Milliarden Dollar in Start-ups investiert wurden, waren es in Deutschland gerade einmal 8,3 Milliarden Dollar. Kapital allein reicht jedoch nicht aus. Es braucht smarte Investoren, die über technologische und domainspezifische Expertise verfügen. Eine aktuelle Pitchbook-Studie zeigt, dass Start-ups, die von Kapitalgebern mit hoher Domain-Expertise finanziert werden, 1,2-mal häufiger IPOs oder Übernahmen erfolgreich abschließen. Deutschland leidet nicht nur unter Kapitalmangel, sondern auch unter einem eklatanten Defizit an qualifizierten Investoren mit tiefem technischem Know-how.

Karrieren in technologiebasierten, spezialisierten VCs müssen deutlich attraktiver werden, steuerliche Anreize für smarte Investoren könnten neue Dynamik schaffen, und der radikale Abbau bürokratischer Hürden würde den deutschen Wagniskapitalmarkt revolutionieren.

Smart Mittelstand: Der Wille entscheidet

Ein dritter Hebel für Veränderung liegt im Mittelstand – dem vielzitierten Rückgrat der deutschen Wirtschaft, der jedoch ohne radikale Neuerfindung zur Achillesferse werden könnte. Eine der größten Herausforderungen ist der eklatante Mangel an einer führungsstarken, transformationswilligen und digital kompetenten Nachfolgegeneration. Allzu oft fehlen entweder technologische Kompetenzen, der Mut zu unternehmerischem Neudenken – oder schlicht beides.

Die Lage ist alarmierend. Laut der aktuellen KfW-Studie stehen bis 2028 jährlich 106.000 mittelständische Unternehmen vor einem Führungswechsel. Noch gravierender: 231.000 Unternehmen planen bis 2025 ihre Stilllegung – nicht wegen wirtschaftlichem Scheitern, sondern schlicht, weil niemand bereit ist, das Ruder zu übernehmen. Das sind Zahlen, die keine Volkswirtschaft ignorieren kann.

Wenn der Mittelstand eine Zukunft haben soll, braucht er Nachfolger, die für die Herausforderungen von morgen gerüstet sind. Hochschulen und Business Schools dürfen dafür nicht länger nur Betriebswirtschaftslehre lehren, sondern müssen Technologie fest in ihre DNA integrieren. Doch das allein genügt nicht. Familienunternehmen benötigen gezielte Programme, die über technische und betriebswirtschaftliche Inhalte hinausgehen. Sie müssen psychosoziale Dynamiken adressieren: Konflikte zwischen Gründern und Nachfolgern, der ewige Spagat zwischen Tradition und Innovation. Diese Themen sind unbequem, aber unvermeidlich.

Für Unternehmen ohne familiäre Nachfolger braucht es alternative Ansätze. Modelle wie Search Funds, bei denen Investoren eine Einzelperson oder ein Team bei der Suche, Übernahme und Weiterentwicklung eines Unternehmens finanzieren, bieten eine strukturelle Lösung, indem sie Unternehmen in die Hände qualifizierter, technologieaffiner Führungskräfte legen.

Smarte Tech-Ökosysteme statt einsame Einzelkämpfer

Unternehmertum darf aber nicht nur eine individuelle Mission bleiben. Tech-Gründer in Deutschland denken noch zu oft nur an den eigenen Erfolg und unterschätzen das Potenzial von Ökosystemen. Erfolgreiche Start-up-Ökosysteme wie die mittlerweile über 20 University Enterprise Zones (UEZ) in Großbritannien zeigen, dass gerade im Bereich Deeptech die einst belächelten Sonderwirtschaftszonen Nuklei für Innovation und Wachstum sein können.

Diese Innovationsdistrikte, beispielsweise rund um Forschungsuniversitäten wie Cambridge oder Manchester, verbinden Spitzenforschung mit unternehmerischem Denken und finanziellen Anreizen des Staates. Gründer, Industriepartner, Hochschulen, Investoren und Kommunen, die in solche Ökosysteme investieren, multiplizieren ihren eigenen Erfolg. Ohne diese Erkenntnis bleibt Deutschland ein Land der Einzelkämpfer – und damit auch ein Land der verpassten Chancen.

Die Zeit des Zauderns, getrieben von der inzwischen international bekannten „German Angst“, ist vorbei. Deutschland steht am Scheideweg: Wir können nicht auf den Staat, auf Berlin warten! Entweder wir nutzen die Hebel, die uns zur Verfügung stehen, oder wir akzeptieren, dass die Zukunft woanders geschrieben wird. Noch haben wir die Wahl.

Tobias Gutmann ist Assistenzprofessor für Produktinnovation an der EBS Business School und Leiter des Siemens Product Innovation Labs.

Thomas Sattelberger (FDP) war von 2007 bis 2012 im Vorstand der Deutschen Telekom tätig. Von 2017 bis 2022 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und von Dezember 2021 bis Juni 2022 Staatssekretär im BMBF.

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