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Standpunkte Unser Wunsch für 2021: Ein agiles Ministerium

Fellows im Work4Germany-Programm
Fellows im Work4Germany-Programm Foto: Work4Germany

Şebnem Andresen und Mirine Choi waren Fellows im Work4Germany-Programm. Ihre Erfahrungen mit der deutschen Verwaltung haben sie im heutigen Standpunkt zusammengefasst. Herausgekommen ist ein Plädoyer für ein neues, ein agiles Ministerium in der kommenden Legislaturperiode.

von Şebnem Andresen und Mirine Choi

veröffentlicht am 21.12.2020

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Was wäre, wenn es in der neuen Legislaturperiode ein eigenes Ministerium gäbe, das über richtungsweisendes digitales Know-How verfügt, von dem alle anderen Behörden profitieren und lernen können? Ein Ministerium, das in allen Aspekten „digital first“ denkt und handelt und eine infrastrukturelle Ausrüstung hat, die selbst Google aufhorchen lassen würde?

Ein Ministerium, in dem eine Alternative zu rein hierarchischen Strukturen geboten wird? Ein Ministerium, in dem agiles Arbeiten erlebbar wäre, in dem innovative Lösungen für die Verwaltung erarbeitet werden? Ein Ministerium, dass „Nutzerorientierung“ konsequent in den Mittelpunkt stellt und in eine aktiven und transparenten Austausch mit den Bürger:innen geht? 

Sollte unsere Bundesregierung nicht an der Spitze der technologischen Entwicklung stehen? Sollte das Selbstbild nicht dahingehend verändert werden? Sollten unsere nach heutigem Maßstab am besten ausgebildeten Menschen nicht für unseren Staat statt für die freie Wirtschaft arbeiten wollen? Und müssten wir nicht jetzt schon anfangen eine Art „Blaupause“ zu entwickeln, um neue Wege auszuprobieren, und herauszufinden, wie Verwaltung zukünftig aufgestellt sein könnte?

Ein Neues Ministerium braucht weitreichende Freiheiten

Sechs Monate lang hatten wir im Rahmen des Fellowship-Programms von Work4Germany die Möglichkeit, in verschiedenen Bundesministerien als „agile Coaches“ tätig zu sein. Zum Ende des Programms haben wir uns erlaubt, die Erfahrungen, die wir dabei gemacht haben, zu Papier zu bringen. 

Herausgekommen ist dieses Konzeptpapier. Ein Gedankenexperiment, in dem wir das Wissen und die Erlebnisse aus dem Fellowship-Programm und die Ideen, die in einigen Ministerien bereits vorhanden sind, zusammen geschrieben und es gewagt haben, noch einen Schritt weiter zu gehen: Wir haben das Papier „Das Neue Ministerium“ genannt.

Da gemäß § 2 Abs. 3 des Bundesministergesetzes jede Kanzlerin beziehungsweise jeder Kanzler ein eigenes Ressort aufstellen und organisieren darf (Art. 65 Abs. 2 GG), wäre die Aufstellung eines Neuen Ministeriums theoretisch schon zur nächsten Legislaturperiode, also im kommenden Jahr, möglich. Unser Ziel ist es, dass das Neue Ministerium als Pilotprojekt in den nächsten Koalitionsvertrag integriert wird.  

Das Neue Ministerium braucht seine eigenen Verantwortlichkeiten, ein eigenes Budget und einen eigenen Stellenplan. Es wird Projekte im Digitalkontext bearbeiten, darum ist es unabdinglich, dass das Neue Ministerium weitreichende Entscheidungsfreiheiten bei der Personalwahl sowie bei der Beschaffung von (Dienst-)Leistungen und Arbeitsmaterialien (digitale Tools etc.) bekommt.

Menschen aus der Verwaltung mit diversen Profilen zusammenbringen

Die Idee ist, das Neue Ministerium je​ zur Hälfte​ mit ​Verwaltungsmitarbeiter:innen und mit Menschen mit ​verwaltungsfremden Profilen​ zu besetzen, die vorerst für eine begrenzte Zeit und nach anderen Kriterien als bisher eingestellt werden (es zählt nicht nur formale Qualifikation, sondern Eignung und Erfahrung, maximale demografische Vielfalt etc.). Durch eine Zusammenarbeit beider Gruppen kann eine völlig ​neue Arbeitskultur​ entstehen, da diverse Teams die Interkulturalität​ und die ​Kreativität​ fördern. Möglich wäre in der Aufbauphase des Neuen Ministeriums zunächst auch eine Beschäftigung von Verwaltungsmitarbeitern auf Zeit.

Ein Working-Lab für neue Prozesse

Oft sind wir bei unserer Arbeit in den Ministerien auf Glaubenssätze wie „das geht bei uns nicht“, „dafür bin ich nicht zuständig“ oder „das haben wir schon immer so gemacht“ gestoßen. Das Neue Ministerium würde als „Working-Lab” für neue Prozesse dienen. Neben der Möglichkeit, agiles Arbeiten und Denken zu erleben, wird es getestete und praktizierte Ansatzpunkte liefern, wie und wo agiles Arbeiten sinnvoll einsetzbar ist und welche Verwaltungsprozesse dadurch vereinfacht, beschleunigt und/oder qualitativ verbessert werden können. Mitarbeiter:innen, die das Neue Arbeiten im Neuen Ministerium erleben, würden dabei zu Multiplikator:innen ausgebildet.                                         

Wir empfehlen, dass das Neue Ministerium von einer starken Kommunikationskampagne begleitet wird, um gezielt Transparenz für die erprobten Modelle zu schaffen und um das Image der Bundesverwaltung aufzuwerten.

Bei unserer Tätigkeit als W4G-Fellows ist uns aufgefallen, dass ressortübergreifende Zusammenarbeit nicht einfach zu realisieren ist. Angefangen von der nicht-kompatiblen IT-Infrastruktur gibt es andere strukturelle Hindernisse, etwa fehlende Räumlichkeiten. Das Neue Ministerium könnte einen „neutralen Boden“ bieten und Co-Working-Bereiche für vernetztes, ressortübergreifendes Arbeiten schaffen. 

Aushängeschild für die Zukunftsfähigkeit des Staates

Agiles Arbeiten stellt die Nutzerorientierung in den Vordergrund. Es geht darum, mit den Kund:innen in den Austausch zu treten. Beispielsweise könnte man beim Einführen neuer Gesetze, die vor allem Kommunen und Länder betreffen, diese früh zu Rate ziehen. Des Weiteren sollte das Neue Ministerium aktiv in den Austausch mit Bürger:innen treten, Feedback erfragen und sie in Prozesse mit einbeziehen. Das Haus könnte als Aushängeschild, Schaufenster und Wegbereiter für die Zukunftsfähigkeit des Staates dienen.

Ein Schwerpunkt wird auf Weiterbildung liegen – für Mitarbeiter:innen und Führungskräfte. Führungskräfte haben Vorbildfunktion für andere Mitarbeiter:innen und nehmen Einfluss darauf, welche Verhaltensweisen in einer Organisation ermutigt oder sanktioniert werden. Das „Design“ der Führung ist deshalb gerade für Organisationen mit Veränderungsinteresse ein wesentlicher Baustein. Dabei darf diese Gestaltung jedoch nicht im Konzeptionellen stecken bleiben, sondern muss sich in Alltagssituationen, Dialogen und Ritualen wiederfinden. 

Wir glauben, ​dass die Zeit für ein Neues Ministerium reif​ ist und freuen uns über Austausch, Anregungen und Kritik. Treten Sie mit uns in Kontakt! 

Şebnem Andresen und Mirine Choi waren Fellows im Work4Germany-Programm. Choi arbeitete zuvor als selbstständige Beraterin für agile Arbeit, Andresen als als Projekt- und Produktmanagerin bei dem auf Big Data spezialisierten Start-up Motionlogic GmbH. 

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