Digitalisierung-KI icon

Digitalisierung & KI

Standpunkte WSIS+20: Auf dem Weg zum nächsten UN-Weltgipfel

Wolfgang Kleinwächter, emeritierter Professor für Internetpolitik und Regulierung der Universität Aarhus
Wolfgang Kleinwächter, emeritierter Professor für Internetpolitik und Regulierung der Universität Aarhus Foto: Promo

In Vorbereitung auf den nächsten Weltgipfel zur Informationsgesellschaft muss sich die UN bis Jahresende auf einen Arbeitsprozess einigen. NGOs fordern mehr Transparenz und eine stärkere Einbindung in die Ausarbeitung der Schlüsseldokumente.

von Wolfgang Kleinwächter

veröffentlicht am 14.04.2025

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Die Vereinten Nationen (UN) befinden sich in der Vorbereitung eines Weltgipfels zur Informationsgesellschaft (WSIS+20). Bis Ende des Jahres sollen die Rahmenrichtlinien und Ideen des ersten Weltgipfels zur Informationsgesellschaft in einem zwischenstaatlichen Verhandlungsprozess aktualisiert werden. Ziel ist ein Abschlussdokument, welches bei der UN-Vollversammlung im Dezember 2025 verabschiedet werden könnte.

Diese Verhandlungen werden kontrovers, geht es doch um so strittige Themen wie die Überwindung der digitalen Spaltung, das Management von sozialen Netzwerken, die Gewährleistung von Cybersicherheit und der Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI).

WSIS 2003: Der erste Zukunftsgipfel der UNO

Ein Blick in die Vergangenheit: Beim ersten Zukunftsgipfel (World Summit on the Information Society, WSIS) war Google noch nicht an der Börse, Facebook noch nicht gegründet. KI und allgegenwärtige Smartphones waren noch Zukunftsmusik. WSIS verabschiedete erst in Genf (2003) eine Prinzipiendeklaration und einen Aktionsplan und ergänzte diese Dokumente um die „Tunis Agenda“ im Jahr 2005.

Rückblickend kann man sagen, dass in diesen Dokumenten viele Grundsätze formuliert sind, die von solcher Allgemeingültigkeit sind, dass sie auch noch die nächsten technologischen Revolutionen überleben werden. Allein das Ziel „eine auf den Menschen ausgerichtete, integrative und entwicklungsorientierte Informationsgesellschaft“ aufzubauen „in der alle Menschen Informationen und Wissen schaffen, nutzen und austauschen können, um Einzelpersonen, Gemeinschaften und Völker in die Lage zu versetzen, ihr Potenzial zur Förderung ihrer nachhaltigen Entwicklung und zur Verbesserung ihrer Lebensqualität voll auszuschöpfen“ ist ein universeller Grundsatz, der auch für die kommenden Jahrzehnte gültig ist.

Das mag heute etwas idealistisch klingen, aber das trifft auch auf die UN-Charta von 1945 und die Menschenrechtsdeklaration von 1948 zu – die bis heute Leitlinien für die Politik geblieben sind, ungeachtet der Tatsache, dass sie immer wieder ignoriert werden.

Die Weiterentwicklung nicht den Regierungen allein überlassen

Das trifft auch zu auf das Bekenntnis, die Entwicklung der Informationsgesellschaft nicht den Regierungen allein zu überlassen, sondern Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und technische Community in Politikentwicklung und Entscheidungsfindung einzubeziehen.

Auch der WSIS-Aktionsplan zeugt von der damaligen Weitsichtigkeit. Im Prinzip sind bereits alle Themen, die uns heute in der digitalen Welt beschäftigen, in den elf WSIS-Aktionslinien aufgelistet.

Dies zu betonen, ist am Vorabend von WSIS+20 nicht unerheblich. Es bedeutet nämlich, dass WSIS+20 das Fahrrad nicht neu erfinden muss. Vorschläge zur Schaffung neuer Strukturen und Mechanismen, wie sie in den vergangenen Jahren bei der Aushandlung des im September 2024 von der 79. UN-Vollversammlung verabschiedeten „Global Digital Compact“ (GDC) gemacht wurden, sind eigentlich überflüssig (Tagesspiegel Background berichtete). Sie würden eher zu einer Fragmentierung des digitalen Raumes sowie zu einer Verschwendung von knappen personellen und materiellen Ressourcen führen.

WSIS+20 sollte daher die mit dem GDC verbundenen Aktivitäten, einschließlich die für 2027 geplanten GDC-Überprüfungskonferenz, eng mit dem WSIS-Prozess verzahnen. Ja mehr noch, die elf WSIS-Aktionslinien sollten langfristig mit den 16 nachhaltigen Entwicklungszielen der UNO, deren Überprüfung 2030 ansteht, verbunden werden. Die Welt nach 2030 wird eine digitale Welt sein. Es wäre also sinnvoll, wenn die im Jahr 2000 formulierten „Millennium Development Goals“ (MDGs), die 2015 in „Sustainable Development Goals“ (SDGs) fortgeschrieben wurden, im Jahr 2030 zu „Digital Development Goals“ (DDGs) erweitert würden.

Verknüpfung und Vernetzung sollte auch das Ziel sein bei der Diskussion von künstlicher Intelligenz (KI). Die beiden neuen UN-Gremien für KI – das „KI-Panel“ und der „Global Dialog zu KI-Governance“ – dürfen nicht als neue Silos entstehen. Schaut man sich die WSIS-Aktionslinien, für deren Umsetzung unter anderem die UNESCO in Paris und die ITU in Genf zuständig sind, dann liegt es eigentlich auf der Hand, diese Verknüpfungen herzustellen. Es ist daher erfreulich, dass bei den Modalitäten, die momentan für das KI-Panel und den KI-Dialog diskutiert werden, die Stimmen, die vor Duplikationen warnen, an Gewicht gewinnen. Dass der erste UN-KI-Dialog 2025 in New York stattfindet, der zweite aber 2026 in Genf (in Kooperation mit der ITU und ihrem jährlichen „AI for Good Summit“) ist ein gutes Zeichen. Als Partner für kommenden KI-Dialoge bis 2030 würden sich anbieten, das IGF, UNESCO, UNCSTD oder auch UNECA, die afrikanische UN-Regionalorganisation mit Sitz in Addis Abeba.

Kontroverse Internet Governance Forum?

Dass die Nutzung von bestehenden Organisationen sinnvoller ist als ein Neubau, trifft auch auf das Thema Governance zu. Das Internet Governance Forum (IGF) wurde beim Tunis-Gipfel 2005 als eine Multistakeholder-Diskussionsplattform geschaffen. Ursprünglich ein Pilotprojekt für fünf Jahre wurde das Mandat 2010 zunächst um fünf Jahre, 2015 um weitere zehn Jahre verlängert. Nun steht die Frage an, wie es mit dem IGF weitergeht.

Das IGF ist formal keine UN-Organisation, es wird aber vom UN-Generalsekretär ausgerichtet. Dass das IGF kein Mandat hat, um Entscheidungen zu treffen, wurde von Kritikern häufig als ein Mangel bezeichnet, der das IGF zu einer „UN-Schwatzbude“ degradieren würde. Umgekehrt wird aber ein Schuh daraus. Dass jeder diskriminierungsfrei am IGF teilnehmen kann, ohne sich am Schluss auf eine Verpflichtung einzulassen, hat Hemmschwellen für einen Dialog über Stakeholder-Grenzen hinweg beseitigt und zu einer freien und offenen Diskussion geführt, die ihresgleichen sucht. Das IGF ist zu einem „Davos des Internets“ geworden.

Die Schwäche das IGF liegt nicht in einer mangelnden Entscheidungskompetenz, sondern im mangelnden Willen von nicht wenigen Regierungen und Tech-Konzernen, das IGF zu unterstützen, ernsthaft zuzuhören und die beim IGF formulierten „Messages“ bei ihren Entscheidungen in Politik und Wirtschaft angemessen zu berücksichtigen.

Wie viel zivilgesellschaftlicher Input darf's denn sein?

Es kann aber passieren, dass das IGF zum Spielball der aktuellen geopolitischen Auseinandersetzungen wird. Einige Länder, die 2005 eine UN-Regierungsorganisation für das Internet gefordert hatten, haben diese Pläne nicht aufgegeben. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Projekt bei WSIS+20 wieder auftaucht. Was in den vergangenen 20 Jahren gleichfalls zugenommen hat, ist staatliche Internet-Kontrolle. Es gibt nicht wenige Regierungen, die Mitspracherechte von Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und technischer Community als unerwünschte Einmischung in staatliche „digitale Souveränität“ sehen. Es wäre nicht überraschend, wenn einige Regierungen versuchen würden, WSIS+20 zu benutzen, um sich nationale Internet-Kontrollen von der UNO legitimieren zu lassen.

Vor diesem Hintergrund drängen nicht-staatliche Akteure seit Wochen darauf, angemessen in den jetzt anlaufenden WSIS+20 Verhandlungsprozess einbezogen zu werden. Grundsätzlich heißt es zwar immer wieder aus New York, dass man sich dem Multistakeholder-Prinzip verpflichtet fühlt. Schaut man sich aber das Kleingedruckte der UN-Resolution für die WSIS+20-Vorbereitung genauer an, sind Zweifel angebracht.

Artikel 1 spricht zwar allgemein davon, dass der „zwischenstaatliche Vorbereitungsprozess Input von allen relevanten WSIS-Stakeholdern“ zu berücksichtigen hat, er lässt aber offen, wie das geschehen soll. Auch bleibt unklar, wie dieser Input konkret einfließt in die Regierungsverhandlungen, wie die Interaktion zwischen staatlichen und nicht-staatliche Vertretern im Lauf des Vorbereitungsprozesses organisiert wird und ob diese Verhandlungen offen und transparent oder hinter verschlossenen Türen stattfinden.

In einem Fünf-Punkte-Plan haben am 26. März 2026 über 100 NGOs konkrete Vorschläge gemacht, wie eine solche Interaktion aussehen könnte. Stakeholder sollten von Anfang an in die Ausarbeitung von Entwürfen des Abschlussdokuments einbezogen werden, es sollte Möglichkeiten für Kommentierungen im gesamten Verhandlungsprozess geben und bei der hochrangigen Abschlusskonferenz im Dezember 2025 in New York müssen alle Stakeholder angemessen vertreten sein. Mit den im April 2024 von der NetMundial+10 Konferenz verabschiedeten „Sao Paulo Multistakeholder Guidelines“ (SPMG) gibt es mittlerweile auch weithin anerkannte konkrete Prozeduren, wie ein effektives Zusammenwirken aller Stakeholder organisiert werden kann.

Dass die UNO eine zwischenstaatliche Organisation ist und es am Schluss die Regierungen sind, die abstimmen, wird dabei nicht in Frage gestellt. Das Problem ist aber, wie man zu dem Text gelangt, über den am Ende abgestimmt wird.

Wolfgang Kleinwächter ist emeritierter Professor für Internetpolitik und Regulierung an der Universität Aarhus. Der Kommunikationswissenschaftler ist Internet-Governance-Experte und Mitglied des IGF. Er gehört auch zu den Unterzeichnenden des im Text genannten Fünf-Punkte-Plans.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen