Der Showdown läuft. Die Bundesregierung will sich bis Oktober entscheiden, welche Kapazitätsmechanismen künftig Versorgungssicherheit im Strommarkt gewähren sollen. Dabei gibt es spannende Auseinandersetzungen. Braucht es überhaupt Kapazitätsmärkte oder könnte auch ein weiterentwickelter Strommarkt die Versorgungssicherheit gewährleisten? Und wenn man sich für einen Kapazitätsmarkt entscheiden will, soll der dann zentral, dezentral oder beides sein?
Ein Markt, der keiner ist
Bizarr ist schon der Begriff, denn, der sogenannte zentrale Kapazitätsmarkt ist überhaupt kein Markt mit Käufern und Verkäufern, sondern eine simple wettbewerbliche Ausschreibung zur Vergabe von Fördermitteln. Es käme auch niemand auf die Idee, die vergleichbaren Ausschreibungen des Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetzes als KWK-Markt zu bezeichnen oder die EEG-Ausschreibungen.
Dass diese Kapazitätsausschreibungen den Strommarkt zu Lasten Vieler verzerren würden, liegt auf der Hand; aber bislang hat in der Politik niemand die selbige gehoben, um heftigen Lobbydruck abzuwehren und für den Markt im Sinne der Verbraucher aber auch der Marktteilnehmer zu kämpfen.
Dabei hat sich der Markt seit Jahrzehnten bewährt – auch in Krisenzeiten. Das Preissignal hat geholfen die Versorgungssicherheit zu bewahren. Nichtsdestotrotz hat sich gerade in der kriegsbedingten Strompreiskrise 22/23 gezeigt, dass es noch Verbesserungspotenzial im Markt gibt. Deshalb hat die EU in der Strommarktreform eine Absicherungspflicht (Hedgingpflicht) beschlossen. Dieses EU-Recht wird aktuell im Rahmen der EnWG-Novelle umgesetzt. Das wäre natürlich eine gute Gelegenheit, den Einstieg in eine Kapazitätssicherung mittels Absicherungspflicht zu verankern. In weiteren Novellen könnte die Absicherungspflicht angepasst sowie weiterentwickelt werden und so zeitnah zur Versorgungssicherheit beitragen.
Absicherungspflicht als günstigster Weg
Das wäre der günstigste, einfachste und mit Abstand schnellste Weg, da dies so gestaltet werden könnte, dass eine beihilferechtliche Genehmigung der EU-Kommission nicht erforderlich wäre. Sowohl Consentec als auch Connect Energy Economics hatten auf die Möglichkeiten der Absicherungspflicht zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit hingewiesen. In der Plattform Klimaneutrales Strommarktsystem (PKNS) wird die Absicherungspflicht folgerichtig als eine Kapazitätsmechanismen-Option diskutiert. Korrekterweise handelt es sich bei der Absicherungspflicht sogar um einen realen Kapazitätsmarkt im Gegensatz zum sogenannten zentralen Kapazitätsmarkt, der wie oben beschrieben ein Wettbewerb um Subventionen wäre.
In der Realität liefe es beim sogenannten zentralen Kapazitätsmarkt vor allem auf die Förderung von Erdgaskraftwerken hinaus. Der Grund hierfür ist das „Derating“, das dazu beiträgt, dass zum Beispiel Speicher oder Nachfrageflexibilität kaum zum Zuge käme, wodurch die Versorgungssicherheit geschwächt würde.
Beim Derating erhalten insbesondere Speicher und Nachfrageflexibilität einen Abschlag im Vergleich zu Kraftwerken. Folglich wäre ein „zentraler Kapazitätsmarkt“ in der Realität nichts weiter, als eine fortgeschriebene Kraftwerksstrategie – also das, was in der Politik eigentlich niemand will, jetzt aber begrifflich mit dem Wörtchen Markt verziert ist und damit einen anderen Anstrich bekommt.
Optisch würde dieses Förderinstrument als technologieoffen bezeichnet werden. In der Realität wäre es ein Förderprogramm für Erdgaskraftwerke, ganz so, wie formal beim Basketball alle mitspielen dürfen, aber völlig klar ist, dass die Spieler auf dem Platz eher über zwei Meter groß sein werden als 1,70. Kein Wunder also, dass sich vor allem diejenigen Akteure für einen zentralen Kapazitätsmarkt stark machen, die Erdgaskraftwerke bauen wollen.
Apropos RWE. RWE-Chef Krebber hatte auf einer RWE-Veranstaltung unlängst die Kosten eines zentralen Kapazitätsmarktes auf fünf Milliarden Euro pro Jahr beziffert, also schlappe 100 Milliarden Euro in 20 Jahren. In der Realität könnten die Zahlen auch deutlich höher liegen. Hinzu kommen die hohen Kosten durch Marktverzerrungen. Connect Energy Economics schätzt diese noch höher ein als die direkt sichtbaren Subventionskosten.
Dass die Politik einigen Erklärungsbedarf gegenüber den Wählerinnen und Wählern haben wird, liegt auf der Hand. Die Popularität einer zusätzlichen Umlage in Milliardenhöhe dürfte absehbar überschaubar sein.
Jahrelanger Attentismus zu erwarten
Unabhängig davon ob zentral, dezentral oder in Kombination, muss der Mechanismus erst einmal entwickelt und dann beihilferechtlich genehmigt werden. Das ist gar nicht so einfach, da Deutschland laut eigenem Versorgungssicherheitsbericht kein Versorgungssicherheitsproblem hat. Selbst für den Fall absehbarer Kapazitätsdefizite könnte dieses durch eine Hedgingpflicht gelöst werden, zumal es zudem ja weiterhin eine Kapazitätsreserve als Hosenträger zum Gürtel gibt. Ob und gegebenfalls wann es eine solche beihilferechtliche Genehmigung dann am Ende geben könnte, wird man erst in einige Jahren wissen. Siehe hierzu auch die beihilferechtliche Analyse von Kapazitätsmechanismen durch die Kanzlei Raue.
Bis dahin würden die Investitionen zurückgehalten werden, weil die Investoren verständlicherweise erst einmal wissen wollen, woran sie sind. Am Ende könnte dadurch tatsächlich ein Versorgungssicherheitsproblem entstehen und als Self-Fullfilling-Prophecy wäre dann auch eine Kapazitätsförderung endlich genehmigungsfähig.
Kapazitätssubventionen erhöhen EEG-Kosten
Eigentlich müsste der Bundesfinanzminister der schärfste Gegner von Kapazitätssubventionen sein. Das gilt auch dann, wenn die Kosten von den Stromkunden statt der Steuerzahler gezahlt werden müssen, wie dies noch bei der Kraftwerksstrategie der Fall ist. Hintergrund ist, dass Kapazitätsförderungen für konventionelle Kraftwerke die EEG-Kosten für den Bundeshaushalt erhöhen würden. Denn die subventionierten zusätzlichen Kapazitäten würden die Marktwerte der Erneuerbaren Energien (auch der Bestandsanlagen) reduzieren. Die Differenzkosten und damit die Belastungen des EEG-Kontos würden steigen und diese zusätzlichen Kosten müssten durch den Bundeshaushalt ausgeglichen werden.
Die Kapazitätssubventionen würden zudem auch den Anstrengungen zuwiderlaufen, dass die Erneuerbaren Energien sich möglichst über den Markt finanzieren sollen. Je stärker der Strommarkt über Kapazitätszahlungen verzerrt wird, desto größer wird die Hürde für die reine Erneuerbare-Energien-Vermarktung.
Fazit: Die Ampel sollte noch einmal darüber nachdenken, ob sie wirklich einen Kapazitäts-„markt“ einführen will, der eben kein Markt ist, sondern den Markt verzerrt. Das Konstrukt würde überflüssige Kosten hervorrufen und diese für politische Gegner per Umlage transparent ausdrücken. Die EEG-Kosten würden für den Bundeshaushalt erhöht. Das Ganze führt zudem zu einem langwierigen Prozess, der über Jahre hinweg Investitionen in die Versorgungssicherheit verzögert. Die Absicherungspflicht kann stattdessen zügig umgesetzt werden und sofort Investitionen in Kapazitäten anreizen.