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Standpunkte Warum die Prognose von Abregelungen Erneuerbarer im Stromhandel berücksichtigt werden sollte

Andreas Luczak
Andreas Luczak, Professor für Nachhaltige Energietechnologien an der Fachhochschule Kiel Foto: Fachhochschule Kiel

Die Abregelung von Wind- und Solaranlagen ist ein typisches Aufregerthema in der Energiewendediskussion. Andreas Luczak, Professor für Regenerative Energien an der Fachhochschule Kiel, ordnet in seinem Standpunkt die verschiedenen Fakten und Meinungen dazu ein und diskutiert Maßnahme zur Kostensenkung, wie etwa eine Berücksichtigung der erwarteten Abregelungen im Stromhandel.

von Andreas Luczak

veröffentlicht am 18.06.2025

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In der Energiewendediskussion wird immer wieder darauf herumgeritten, dass die Vergütung von abgeregelten überschüssigen „Geisterstrom“ hunderte von Millionen Euro an sinnlosen Kosten verursacht. Je nach Eigeninteresse werden die unterschiedlichsten Konsequenzen gefordert. Für Energiewende-Gegner ist dies der Beweis der Unsinnigkeit der Energiewende und Grund genug, den weiteren schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien zu stoppen, da man ja jetzt schon „zu viel“ davon hätte. Andere fordern eine Beschleunigung des Netzausbaus oder den Bau von Elektrolyseuren in dem irrigen Glauben, dass der damit erzeugte Wasserstoff dann konkurrenzlos günstig sein müsste, da der dafür benötigte Strom kostenlos ist.

Folgen der Abregelung nicht dramatisch

Zeit für eine kleine Einordnung verschiedener Fakten. 2024 wurden weniger als vier Prozent des Stroms aus Erneuerbaren Energien (mehr als 80 Prozent davon Windstrom) abgeregelt. Die Menge des abgeregelten Stroms ist von 2023 auf 2024 dabei um etwa zehn Prozent gesunken. Die 554 Millionen Euro, die als Entschädigung für den abgeregelten Strom an die Anlagenbetreiber gezahlt wurden, entsprechen etwa drei Prozent der jährlich gezahlten EEG-Vergütung. So richtig dramatisch klingt das eigentlich nicht. Grund für die Abregelungen war auch kein „Überschuss“ an Wind- und Solarstrom (im europäischen Verbundnetz hätte es genug Abnehmer für den abgeregelten Strom gegeben), sondern Netzengpässe, vor allem in der Nähe der Windparks im Norden Deutschlands.

Indirekte Kosten der Abregelung übersteigen Entschädigungszahlung erheblich

Der für die Entschädigung der Anlagenbetreiber oft verwendete Begriff „Abregelungskosten“ suggeriert, dass sich die Kosten des Energiesystems um diesen Betrag verringern ließen, wenn man die Abregelung verhindern würde (z.B. durch Netzausbau oder Speicherung). Dies ist jedoch ein Irrglaube, da bei Verhinderung der Abregelung exakt diese Entschädigung dann eben als „normale“ Vergütung an die Anlagenbetreiber gezahlt werden würde. Der ökonomische Schaden der Abregelung beträgt also aus energiewirtschaftlicher Sicht theoretisch nur den Marktwert des abgeregelten Stroms, welcher in Zeiten umfangreicher Abregelungen aber naturgemäß oft sehr gering oder sogar negativ ist.

Regulatorik erhöht Redispatch

Die regulatorisch vorgegebene Trennung zwischen Stromhandel und Netzbetrieb führt zu der absurden Situation, dass der von den Netzbetreibern recht genau prognostizierte Umfang der zu erwartenden Abregelung im Stromhandel nicht berücksichtigt werden darf. Das Stromnetz wird also als ideale „Kupferplatte“ angesehen und jegliche netzphysikalischen Restriktionen ignoriert. Dies führt dann beim Zeitpunkt der eigentlichen Stromlieferung dazu, dass der abgeregelte Strom von den Netzbetreibern im Rahmen von kostspieligen Redispatch-Maßnahmen ersetzt werden muss.

Diese indirekten Kosten der Abregelung durch Kompensationszahlungen an die Bilanzkreisverantwortlichen, Börsengeschäfte oder das Hochfahren von konventionellen Markt- oder Netzreservekraftwerken sind erheblich und ergeben sich aus der Differenz der Gesamtkosten der Abregelung und der finanziellen Entschädigung an die Anlagenbetreiber. Die Gesamtkosten der in 2024 erfolgten Abregelung von 9,4 Terawattstunden (TWh) Erneuerbaren Stroms betrugen laut der Bundesnetzagentur 200 Euro pro Megawattstunde und damit knapp 1,9 Milliarden Euro. Zieht man davon die oben erwähnten 554 Millionen Euro ab ergeben sich mehr als 1,3 Milliarden Euro und damit im Vergleich zur finanziellen Entschädigung fast dreimal so hohe indirekte Kosten.

In der ursprünglichen konventionellen Energiewelt war Redispatch dazu gedacht, Prognoseabweichungen und Störfälle zu kompensieren. Damit war deren Berücksichtigung im Stromhandel naturgemäß gar nicht möglich. Mittlerweile dient der von Erneuerbaren Energien verursachte Redispatch jedoch oft dazu, ein eigentlich bereits im Stromhandel bekanntes, aber aufgrund der Regulatorik zu ignorierendes Stromdefizit im Nachhinein extrem kostspielig auszugleichen.

Prognostizierte Abregelung im Stromhandel berücksichtigen

Es geistern viele Vorschläge zu einer Änderung des Strommarktdesigns durch die Medien, die diese Abregelproblematik reduzieren soll. Diese fokussieren sich aber leider vor allem auf die Aufspaltung der bundesweit einheitlichen Strompreiszone in mehr oder weniger viele kleinere regionale Strompreiszonen. Abgesehen von den damit unvermeidbar verbundenen Nachteilen, die eine kleinere Marktgröße mit sich bringt, ist eine Reform, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu höheren Strompreisen im Süden Deutschlands führen würde politisch schwer durchsetzbar.

Deshalb wäre es wünschenswert, zunächst einmal die Regulatorik dahingehend anzupassen, dass die von den Netzbetreibern prognostizierte Abregelungsmenge im Stromhandel berücksichtigt werden muss. Dabei würde der bundesweit einheitliche Strompreis erhalten bleiben und von den eingesparten Redispatch-Kosten würden sämtliche Verbraucher über sinkende Netzentgelte profitieren. Da es keine „Verlierer“ gibt wäre dies auch politisch leichter durchsetzbar. Ein Verstoß gegen den grundlegenden Sinn des Unbundlings läge nicht vor, da die Abregelmenge in erster Linie von den Windverhältnissen und den Netzkapazitäten abhängt und damit kein direkter Markteingriff der Netzbetreiber vorliegt.

Abregelung ist eine sinnvolle ökonomische Optimierung

Damit bliebe als einziger wesentlicher energiewirtschaftlicher Nachteil der Abregelung, dass dadurch aktuell jährlich 9 TWh an grünem Strom „weggeworfen“ werden. Diese Menge lässt sich durch zusätzlichen Ausbau der Wind- und Solarenergie viel günstiger kompensieren als durch teure zusätzliche Infrastruktur wie Netze, Speicher oder Wasserstoff-Elektrolyseure, welche im Jahresmittel nur selten ausgelastet werden und damit unökonomisch sind.

Eine gewisse Abregelung ist kein Beweis für das Scheitern der Energiewende, sondern Ergebnis einer sinnvollen Optimierung des Energiesystems. Erst bei Annährung an ein klimaneutrales Stromsystem wird ein massiver Ausbau an Netzen und Speichern ökonomischer, als die Abregelung durch zusätzlichen Ausbau der Wind- und Solarenergie zu kompensieren. Davon sind wir aber noch Jahre (beim gegenwärtigen Ausbautempo sogar Jahrzehnte) entfernt. Kostspielige Infrastrukturmaßnahmen, die aktuelle Abregelmenge zu reduzieren sollten deshalb kritisch auf deren Kosten-Nutzen-Verhältnis überprüft und zunächst regulatorische Unsinnigkeiten beseitigt werden.

Abgesehen davon: Angesichts der Tatsache, dass zur Erzielung der Klimaneutralität die Stromerzeugung aus Wind- und Solar ohnehin noch um etwa 1000 TWh zunehmen muss, ist es durchaus erstaunlich, wie viel über die abgeregelten 9 TWh diskutiert wird.

Prof. Dr. Andreas Luczak ist Professor für Nachhaltige Energietechnologien an der Fachhochschule Kiel.

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