In Deutschland wie anderswo auf der Welt tüfteln zurzeit zahlreiche Start-ups und Entwicklungsabteilungen etablierter Unternehmen an neuen Klimatechnologien: Sie erproben und perfektionieren unterschiedlichste Methoden, um CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen, es wiederzuverwenden oder an Punktquellen abzuscheiden und dauerhaft zu speichern.
Ohne diese vielfältigen Methoden wird es nicht gelingen, die Erderwärmung auf zwei Grad oder gar 1,5 Grad zu begrenzen. Zugleich bieten die Ansätze ein großes Potenzial für grüne Wertschöpfung. Carbon Management ist eine ökologische Notwendigkeit und eine ökonomische Chance. Die Weichen dafür müssen jetzt gestellt werden.
Vorwärts in die ökologische Moderne
Für den deutschen Wirtschaftsstandort gibt es kein Zurück hinter die industrielle Moderne, sondern nur den Weg nach vorn zu einer neuen Synthese zwischen Natur und Technik. Wenn Europa global relevant bleiben will, müssen wir den Aufbruch in die ökologische Moderne wagen.
Hier kommt Carbon Management ins Spiel. Das viel diskutierte CCS (CO2-Abscheidung und -Speicherung) ist dabei nur ein Aspekt. Darüber hinaus geht es um das Schließen von Kohlenstoffkreisläufen („CO2-Recycling“) und die großangelegte Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre („Carbon Dioxide Removal“, CDR). Auf letzterem Wege lassen sich negative Emissionen erzielen.
Der tatkräftige und technikbegeisterte Geist vieler CDR-Start-ups ist dabei vorbildhaft: Klimawandelfragen gelten hier als technologische Herausforderung, die sich mit klugen Geschäftsmodellen bewältigen lassen. Dieser Ansatz sollte Schule machen. Dafür muss rasch der notwendige politische und infrastrukturelle Rahmen geschaffen werden.
Alle Verfahren sollten eine Chance bekommen
Der Enthusiasmus beim Thema Carbon Management ist groß. Die Unsicherheit allerdings auch. Und wie so oft hängt die Politik – zumal die deutsche – der Wissenschaft und den Unternehmen hinterher. Carbon Management etabliert sich aktuell als dritte Säule der Klimapolitik – neben der möglichst raschen Vermeidung von Treibhausgas-Emissionen sowie der Anpassung an Klimawandelfolgen.
Weil nicht vorhersehbar ist, welche Carbon-Management-Methoden zukünftig am effizientesten sein werden, plädieren wir für einen Portfolioansatz: Im Sinne des Wettbewerbs um die besten Lösungen sollten zunächst alle plausiblen Verfahren und Anwendungen verfolgt und erlaubt werden, bis sich diejenigen mit der besten Kosten-Nutzen-Bilanz durchsetzen.
Fördern müssen wird der Staat dabei Forschung und Entwicklung sowie den Übergang in die kommerzielle Anwendung. So können Verfahren, die jetzt noch in den Kinderschuhen stecken, im industriellen Maßstab skaliert werden. Auch Carbon Management benötigt einen Ordnungsrahmen, der die Dynamik der Marktwirtschaft in eine ökologische Richtung lenkt.
Die im Frühjahr vorgelegten Leitlinien für eine Carbon-Management-Strategie der Bundesregierung sind ein Schritt in die richtige Richtung. Aber sie erfassen nicht die vielfältigen Methoden und Potenziale, die in diesem Thema schlummern.
Carbon Management braucht breite Akzeptanz
Eine komplementäre Strategie, die hier Antworten geben könnte, lässt noch auf sicht warten. Es sieht allerdings nicht danach aus, als würden die beiden Strategien miteinander verzahnt. Stattdessen entwickelt die Bundesregierung sie nebeneinanderher her. Besser wäre es, sie würde beide Dokumente sowie die daraus resultierenden Politiken zusammendenken.
Insgesamt fehlt es an einer „großen Erzählung“, weshalb Carbon Management ein Eckpfeiler einer effektiven Klimapolitik ist. Ohne ein solches Gesamtbild wird es kaum gelingen, die Bevölkerung von der Notwendigkeit dieser Verfahren zu überzeugen. Dieses mangelnde Verständnis kann schnell umschlagen in die Ablehnung konkreter Infrastrukturprojekte wie zum Beispiel CO2-Pipelines.
Vielen Entscheidungsträgern in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ist außerdem noch nicht bewusst, welches Ausmaß die entstehende Carbon-Management-Industrie einnehmen wird. Nach Schätzungen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung dürfte die CO2-Entnahme in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zwischen 0,3 und 3 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung ausmachen.
Die Wissenschaft weist die Richtung
Die Szenarien des Weltklimarats IPCC zeigen deutlich die Notwendigkeit, zunächst vor allem schwer vermeidbare Emissionen aus den Sektoren Landwirtschaft, Verkehr oder Industriezweigen wie der Zementherstellung auszugleichen (Netto-Null-Ziel). Auf längere Sicht müssen große Mengen CO2 aus der Atmosphäre entnommen werden, um das Klima zu stabilisieren und den Temperaturanstieg wieder rückgängig zu machen (Netto-Negativ-Ziel).
Welche Herausforderungen auf uns zukommen, verdeutlichen die schieren Mengen an CO2, die gespeichert beziehungsweise der Atmosphäre entnommen werden müssen, um die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten. Weltweit müssen hierfür nach Darstellung des IPCC 550 bis 1017 Gigatonnen CO2 bis zum Ende des Jahrhunderts gespeichert werden – und damit etwa zehn- bis 20-mal so viel wie die Menschheit derzeit jedes Jahr an Treibhausgasen ausstößt.
In Deutschland werden die durch CO2-Entnahme auszugleichenden Restemissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts auf 60 bis 130 Megatonnen CO2-Äquivalent geschätzt. Das entspricht in etwa 9 bis 20 Prozent der deutschen Emissionen im Jahr 2023. Die durch CCS aufzufangenden Industrieemissionen sind dabei noch nicht einmal berücksichtigt.
Technischer Fortschritt transformiert Industrie
Die Möglichkeit und Notwendigkeit zur Speicherung, zum Recycling sowie der Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre darf keinen Zweifel an der Priorität für die Vermeidung von CO2 aufkommen lassen. Daraus folgt aber nicht, ein aktives Carbon Management auf die lange Bank zu schieben. Wir müssen CO2 rasch vermeiden und parallel dazu die Infrastrukturen für ein Carbon Management aufbauen.
Carbon Management wird dazu beitragen, bestehenden Industrien den Übergang zu einer klimaneutralen Zukunft zu ermöglichen. So ist nach heutigem Stand der Technik eine klimafreundliche Produktion von Zement ohne CCS nicht im industriellen Maßstab denkbar. Auch die Landwirtschaft wird auf absehbare Zeit Treibhausgase emittieren – könnte aber durch Verfahren wie „Carbon Farming“ zugleich einen wichtigen Beitrag zur Lösung des Klimaproblems leisten. Der Aufbau der Humusschicht auf landwirtschaftlichen Böden bindet in großem Stil CO2 und verbessert zugleich die Erträge.
Wie fast jede Innovation ist auch Carbon Management mit Zielkonflikten – etwa beim Energie-, Flächen- oder Finanzierungsbedarf – verbunden. Zugleich ermöglichen viele Methoden positive Nebeneffekte. So kann Pflanzenkohle auch die Vielfalt von Mikroorganismen und die Speicherung von Wasser und Nährstoffen in den Böden verbessern. Auch andere Carbon-Management-Verfahren ermöglichen einen ökologischen und ökonomischen Win-Win-Effekt.
Weichen für Innovationen und Investitionen nötig
Die Wiederverwendung von CO2 wird insbesondere in der chemischen Industrie einen wichtigen Beitrag zur Klimaneutralität leisten. CO2 dient dort als Grundstoff zur Herstellung von Kunststoffen, Polymeren, Düngemitteln, Baumaterialien, Treibstoffen oder organischen Verbindungen wie Harnstoff oder Ameisensäure.
Der Ersatz von Öl und Erdgas durch klimaneutrale Kraftstoffe in der Industrie, in der Schifffahrt oder im Flugverkehr benötigt CO2 in großem Ausmaß als chemischen Baustein der Photosynthese. Da diese Moleküle im Betrieb wieder freigesetzt werden, ist eine Kombination mit CCS oder „Direct Air Capture“-Methoden erforderlich, um die Kohlenstoffkreisläufe zu schließen. Deutschland hat das Know-how, eine führende Rolle bei vielen Carbon-Management-Methoden zu spielen. Dafür muss die Politik jetzt beherzt die Weichen stellen.
Auf dem Weg zu einem funktionierenden Carbon Management sind noch viele Fragen unbeantwortet. Das gilt auch für die Erschließung der Speicherstätten, die Finanzierung der notwendigen CO2-Infrastruktur und der Differenzkosten zwischen dem CO2-Preis und den Kosten für eine Tonne entnommenen CO2. Erfasst werden muss auch die Energiebilanz diverser Carbon-Management-Methoden oder der beste Weg zur Integration von Entnahme-Zertifikaten in den EU-Emissionshandel.
Klimaneutralität erfordert nichts weniger als eine grüne industrielle Revolution. Dafür muss kluge Politik eine marktwirtschaftliche Dynamik von Innovationen und Investitionen freisetzen. Carbon Management wird dabei eine begrenzte, aber wichtige Rolle spielen.
Ralf Fücks ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des Zentrums Liberale Moderne in Berlin, einer Denkfabrik und Diskussionsplattform.
Lukas Daubner leitet den Programmbereich „Ökologische Moderne“ beim Zentrum Liberale Moderne.