Die Probleme, die sich derzeit aus der Energie- und Klimakrise ergeben, sind so groß, dass den europäischen Regierungen eigentlich alles daran gelegen sein müsste, die Energiewende zu sichern. Doch mit der Ratifizierung von Ceta torpedieren sie selbst die Energiewende.
Wird das Abkommen, das seit 2017 zu großen Teilen vorläufig in Kraft ist, ratifiziert, so würde auch der besonders umstrittene Investitionsschutz wirksam. Hunderttausende Menschen in der EU und Kanada sind dagegen in den vergangenen Jahren auf die Straße gegangen.
Zwar will in Deutschland die Bundesregierung den Investitionsschutz vor der Ratifizierung durch eine sogenannte Interpretationserklärung einschränken — sie soll dafür sorgen, dass Investoren Staaten nicht wegen Klimaschutzmaßnahmen vor einem Ceta-Schiedsgericht verklagen können.
Doch auch trotz der Interpretationserklärung steht Ceta in grundsätzlichem Widerspruch zum Ziel, den Klimawandel zu bekämpfen. Es schützt alle Investitionen, also auch klimaschädliche Investitionen wie die Förderung fossiler Energien – und es enthält ausschließlich Rechte, aber keine Pflichten für Konzerne. Investoren können zudem direkt vor das Schiedsgericht ziehen, ohne zunächst den nationalen Rechtsweg auszuschöpfen – das ist auch deshalb ein Problem, weil Schiedsgerichte Staaten oft dazu verurteilt haben, gigantische Geldsummen in Milliardenhöhe an Unternehmen zu zahlen.
Gefährlich schwammig
Auch der juristische Blick auf die Interpretationserklärung selbst zeigt, dass diese nicht hält, was sie verspricht:
Die Erklärung ist an vielen entscheidenden Stellen zu schwammig formuliert: Klimaschutzmaßnahmen könnten so weiterhin als „indirekte Enteignung“ gesehen werden, wenn ihre Auswirkungen „völlig unverhältnismäßig“ und „eindeutig unangemessen“ erscheinen. Genau das wollte die Bundesregierung eigentlich verhindern.
Problematisch ist dies vor allem, weil die Entscheidung über die Unverhältnismäßigkeit etwa von staatlichen Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen dann den Ceta-Schiedsrichter:innen überlassen bleibt. Sie haben damit weiterhin einen sehr großen Interpretationsspielraum. Schiedsgerichtsurteile aus der Vergangenheit zeigen, dass derartige Begriffe durchaus unterschiedlich angewendet und ausgelegt werden.
So sprach beispielsweise ein Investitionsschiedsgericht im Jahr 2003 dem Unternehmen Tecmed eine Schadensersatzzahlung durch den mexikanischen Staat zu. Der spanische Konzern hatte zuvor mehrmals gegen Umweltgesetze verstoßen. Dass Mexiko die Genehmigung für den Betrieb daraufhin nicht verlängerte, sei eine unverhältnismäßige Reaktion auf die Verstöße gewesen, urteilten die Schiedsrichter:innen.
Abschreckende Beispiele
Erst kürzlich verurteilte zudem ein Schiedsgericht den italienischen Staat zu einer Schadenersatzzahlung von 250 Millionen US-Dollar, weil die Behörden dem britischen Unternehmen Rockhopper keine Genehmigung für ein geplantes Ölförderprojekt erteilten. Grundlage war der Energiecharta-Vertrag, aber auch ein Ceta-Schiedsgericht könnte in Zukunft zu einem ähnlichen Urteil kommen.
Der große Auslegungsspielraum ist also ein Problem, das insbesondere noch dadurch verschärft wird, dass Mitglieder internationaler Schiedsgerichte in aller Regel nicht über besondere Expertise im Umweltrecht verfügen. Nicht selten haben Schiedsgerichte in der Vergangenheit sogar eine offene Missachtung des internationalen, europäischen und nationalen Umweltrechts an den Tag gelegt. Auch Ceta nennt als wünschenswerte Qualifikationen der Schiedsrichter*innen „Fachkenntnisse im internationalen Investitionsrecht, im internationalen Handelsrecht und in der Beilegung von Streitigkeiten aus internationalen Investitions- oder Handelsabkommen“. Einem Schiedsgericht einen so großen Spielraum über essenzielle Fragen unserer ökologischen Lebensgrundlagen zu geben, das keine besondere Qualifikation im Umwelt- oder Menschenrechtsbereich vorweisen muss, ist mindestens besorgniserregend.
Darüber hinaus greift die Interpretationserklärung auch inhaltlich zu kurz. Sie beschränkt sich lediglich auf Klimaschutzmaßnahmen und lässt politische Maßnahmen zu anderen Problemfeldern wie beispielsweise dem Gewässerschutz oder Pestiziden unerwähnt.
Hintertür für Klagen aus den USA
Wenn Ceta vollständig in Kraft tritt, wird es nicht nur kanadischen Investoren, sondern auch US-amerikanischen Investoren mit Geschäftstätigkeit in Kanada ermöglichen, EU-Mitgliedsstaaten vor einem internationalen Schiedsgericht zu verklagen. Es führt dadurch ein System von Investor-Staat-Streitfällen ein, wo es vorher keines gab – noch dazu eines, das sicher nicht als fortschrittlich bezeichnet werden kann. Fortschrittliche Umwelt- und Klimapolitik braucht keine rückschrittlichen Abkommen. Parlamente sowie Abgeordnete sollten sich darüber im Klaren sein, dass es Alternativen gibt.
Eine solche Alternative wäre etwa, die Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit aus Ceta zu streichen. Rechtlich wäre das ohne weiteres möglich und könnte beispielsweise über eine Vertragsänderung oder ein Umsetzungsabkommen erreicht werden. Dadurch würden weder neue Verpflichtungen entstehen noch die anderen Teile von Ceta beeinträchtigt werden. Kanada könnte für einen solchen Vorschlag offen sein, da das Land bereits fortschrittlichere Investitionsschutzstandards als die EU verfolgt.
Statt Zeit und Mühe in die Präzisierung von Begriffen zu stecken, die einem großen Ermessensspielraum unterliegen, sollten die Bemühungen darauf abzielen, das internationale Investitionsrecht so umzugestalten, dass es den Kampf gegen den Klimawandel und die ökologische Krise wirklich unterstützt. In Bezug auf Ceta bedeutet das schlichtweg: Das Abkommen darf in seiner jetzigen Form nicht ratifiziert werden.
Alessandra Arcuri forscht als Professorin und Fedrica Violi als Doktorin für Globales Recht und Governance an der Erasmus-Universität Rotterdam. Im Auftrag der Berliner Nichtregierungsorganisation Powershift haben sie ein juristisches Gutachten zur deutschen Interpretationserklärung zu Ceta erstellt. Federica Violi nahm als Sachverständige an einer Anhörung zu Ceta im Wirtschaftsausschuss des Bundestags teil.