Normalerweise findet der nationale Volkskongress (NVK), die Mega-Versammlung chinesischer Abgeordneter aus Städten, Provinzen und auch Militär-Einheiten, im März statt. Wegen der Coronapandemie wurde Chinas größtes politisches Spektakel in den Mai verschoben. Am vergangenen Freitag kamen die rund 3000 Delegierten in Peking zusammen – allesamt mit Atemschutzmasken ausgestattet. Getagt wird bis zum Mittwoch.
Auch an anderer Stelle stört die Coronakrise den normalen Ablauf des NVK: Es gab keine Wachstumsprognose für 2020. „Unser Land ist mit Entwicklungen konfrontiert, die schwer vorherzusehen sind“, erklärte Chinas Ministerpräsident Li Keqiang in seinem Regierungsbericht. Der Fokus des Konjunkturpakets, für das 900 Milliarden US-Dollar eingeplant sind, soll sich auf Arbeit und Armutsbekämpfung fokussieren. Unterstützt wird auch das Thema „Neue Infrastruktur“, das Chinas Führung vor allem im Ausbau der Digitalisierung sieht. Details der „grünen“ Anteile in den vorgesehenen Investitionen sind noch nicht genau bekannt. Ob sie überhaupt noch kommen, ist ungewiss.
„Im diesjährigen Regierungsbericht tauchen grüne Schlagwörter seltener auf als im Bericht des vergangenen Jahres“, sagt Nis Grünberg, Experte am Mercator-Institut for Chinas Studies (Merics). Der Bericht gebe einen Überblick zum Zustand der Nation, auch würden darin grobe Ziele formuliert. „Und das Ziel der chinesischen Regierung lautet nun, die Wirtschaft zu stabilisieren.“ Alles andere rücke in den Hintergrund.
Einst große Hoffnungen auf China beim Klimaschutz
Den Eindruck, dass der Klimaschutz wegen der Coronakrise zunehmend abseits steht, nährt der Umstand, dass die chinesische Führung die Zielgröße für die Energieeffizienz auf dem NVK nicht näher benannt hat. China werde „eine weitere Senkung des Energieverbrauchs pro BIP-Einheit“ anstreben, sagte Premierminister Li. Aber er ließ den erwarteten prozentualen Rückgang aus, von dem sich die Politik seit 2014 leiten lässt.
Parallel wurde der Bericht von Chinas oberster Wirtschaftsbehörde, der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission, präsentiert, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete. In dem Bericht heißt es, dass sich die Energieeffizienz im vergangenen Jahr nur um 2,6 Prozent verbessert habe und damit das 3-Prozent-Ziel verfehlt wurde.
Der internationalen Klimaschutz-Community dürfte all das Sorgen bereiten. Da die USA als verlässlicher Partner ausfallen und womöglich das Pariser Klimaabkommen dieses Jahr verlassen werden, waren die Hoffnungen groß, dass China das Vakuum füllen und beim Klimaschutz eine neue Führungsrolle übernehmen werde. Es sah bisher gut aus: Chinas Führung betrachtet Klimaschutz ganz pragmatisch als etwas, um das sich das Land nicht drücken kann, wenn es im internationalen Wettbewerb mithalten will. Zumal Klimaschutzmaßnahmen oft auch dabei helfen, die Umweltprobleme vor der eigenen Haustür – gekippte Flüsse, verschmutzte Luft – in den Griff zu bekommen.
Die Entscheidung für mehr Klimaschutz ist dabei kaum im in China gedämpften gesellschaftlichen Diskurs entstanden, sondern wurde von ganz oben verordnet. China zieht Wind- und Solarparks im Eiltempo hoch, ohne viel Rücksichtnahme auf die lokale Bevölkerung. Von 2021 bis 2030 will China jährlich 80 bis 160 Gigawatt Solarkapazität zubauen. China ist der weltgrößte Produzent von Solarmodulen, Windturbinen, Batterien und Elektrofahrzeugen. Außerdem war das Land in neun der letzten zehn Jahre der größte Investor in saubere Energie.
Andere Länder sollen den Takt vorgeben
Dass China wegen der Coronakrise seinen Klimaschutz-Plan ganz aufgegeben hat, glaubt Merics-Experte Grünberg aber nicht. „Die Psyche der Partei ist so angelegt, das alles, was die Stabilität des Landes gefährdet, unverzüglich beseitigt werden muss. Klimaschutz ist aber nicht abgeschrieben und wird wieder auftauchen sobald sich die Wirtschaft stabilisiert hat.“ Andere Regionen könnten Einfluss auf China nehmen, indem sie ihrerseits auf Klima-Kriterien setzen oder grüne Produkte vermehrt nachfragen.
China wird zudem Europa und die USA beobachten, wenn es um das neue nationale Klimaziel (NDC) geht, das die Staaten laut Pariser Klimaabkommen in diesem Jahr vorlegen sollen. China sei kein Land, das bei Zielen vorprescht, sagt Grünberg. Große Hoffnung setzt die internationale Klimaschutz-Bewegung in diesem Zusammenhang auf den China-EU-Gipfel, der im September stattfinden soll – zur Not könnte es ein virtuelles Treffen geben. Das jetzige Ziel Chinas für 2030 stuft die NGO Carbon Tracker als „hoch ungenügend“ ein. Chinas verspricht bisher, dass die CO2-Emissionen bis 2030 ihren Höhepunkt erreicht haben sollen.
Viele Kohlekraftwerke schreiben Verluste
Wahrscheinlich ist, dass der Fünf-Jahres-Plan, den die chinesische Regierung im nächsten Jahr vorlegen wird, Klimaschutz wieder auf die Tagesordnung bringt. Der Plan könnte eine Art Roadmap beinhalten, die zeigt, wie die Klimaziele Chinas etwa für 2030 eingehalten werden können. Zum Ziel der Klimaneutralität bis 2050 hat sich Chinas Führung noch nicht offiziell bekannt. „Die Parteispitze schreibt Ziele erst fest, wenn sie weiß, dass man diese sicher einhalten und deren Erreichung auch feiern kann.“ Instrumente sind dabei nachhaltige Kriterien in der öffentlichen Finanzierung und der Emissionshandel (Background berichtete).
Sollte Chinas allerdings glaubwürdig die Rolle eines Klimavorreiters in der Welt einnehmen wollen, müsste das Land auch langfristig aus der Kohle aussteigen und schnell den Neubau von Kraftwerken stoppen. Das Ende des fossilen Energieträgers ist aber nicht in Sicht. 2019 befanden sich fast zwei Drittel der knapp 70 Gigawatt neu in Betrieb genommener Kohlekapazität in China. Die chinesischen Behörden haben jüngst eine Flut von Genehmigungen für neue Kohlekraftwerke erteilt. Nationale und internationale Finanzexperten haben den chinesischen Zentralbehörden aber empfohlen, mittels des Konjunkturpakets erneuerbare Energien voranzutreiben.
Dafür gibt es handfeste ökonomische Gründe: Während erneuerbare Energien dank niedrigerer Kosten auf dem Strommarkt zunehmend wettbewerbsfähig geworden sind, sinkt die Rentabilität von Kohlekraftwerken in China weiter. Untersuchungen zeigen, dass fast 60 Prozent von Chinas vorhandener Kohleflotte mit Verlust arbeiten.