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Energie & Klima

Standpunkte Der Kohleausstieg – unnötig für den Klimaschutz?

 Friedrich Breyer, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim BMWi
Friedrich Breyer, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim BMWi Foto: Universität Konstanz

Der Ausstieg aus der Kohleverstromung wird teuer. Zu teuer für den Steuerzahler und zu wenig wirksam für den Klimaschutz, finden die Wirtschaftsprofessoren Friedrich Breyer und Klaus Schmidt. Beide gehören dem wissenschaftlichen Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium an und plädieren dafür, auf die Wirkung des CO2-Preises zu setzen.

von Friedrich Breyer

veröffentlicht am 06.02.2020

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Die Bundesregierung und die betroffenen Bundesländer haben sich auf einen Ausstiegsplan aus der Braunkohleverstromung geeinigt, in dem für jedes Kohlekraftwerk ein genaues Abschaltdatum festgelegt ist. Von Umweltverbänden und Klimaaktivisten und sogar von Mitgliedern der „Kohlekommission“ wurden diese Pläne scharf kritisiert, weil ihnen die Stilllegung der Kohlekraftwerke zu langsam erfolgt. Gleichzeitig sind mit dem Ausstiegsplan erhebliche Kosten für den Steuerzahler verbunden. Diese entstehen nicht nur durch die Strukturhilfen für die Kohleregionen, sondern auch durch Kompensationszahlungen an die Kraftwerksbetreiber in Höhe von 4,35 Milliarden Euro.

Darum stellt sich zum einen die Frage, ob die gewünschten Verringerungen der CO2-Emissionen durch diese Politik tatsächlich erreicht werden, und zum zweiten, ob es möglich gewesen wäre, dieses Ziel auch ohne hohe Entschädigungszahlungen an die Energieversorger zu realisieren.

Stilllegung bedeutet nicht automatisch weniger CO2

Dazu muss man sich die Funktionsweise des europäischen Emissionshandels (ETS) vor Augen führen. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass die Stilllegung von Kohlekraftwerken automatisch zu einem entsprechenden Rückgang der CO2-Emissionen in Europa führt. Das ist nicht der Fall, weil die Stromwirtschaft im ETS erfasst ist, in dem die Menge der jährlich ausgegebenen Emissions-Zertifikate für die Handelsperiode bis 2030 bereits festgelegt wurde. 

Wenn die Menge an Zertifikaten unverändert bleibt, führt der deutsche Kohleausstieg nur dazu, dass der Zertifikate-Preis solange fällt, bis die bei der deutschen Kohlverstromung eingesparten Zertifikate in anderen Industrien oder in anderen europäischen Ländern nachgefragt werden und dort einen höheren CO2-Ausstoß erlauben. Das ist der sogenannte „Wasserbetteffekt“: Wenn die Emissionen in einem Sektor heruntergedrückt werden, steigen sie an anderer Stelle an. Darum ergibt sich eine Minderung der Emissionen nur dann, wenn die von der deutschen Kohle nicht mehr benötigten Emissions-Zertifikate im ETS gelöscht werden, wenn also Wasser aus dem Wasserbett abgelassen wird.

Willkürliche Annahmen

Dabei gibt es jedoch zwei Probleme. Zum einen ist die Löschung von Zertifikaten zwar möglich, für Deutschland aber sehr teuer, weil die gelöschten Zertifikate ansonsten versteigert worden wären und zu Einnahmen für den deutschen Staat in Milliardenhöhe geführt hätten. Auf diese Einnahmen müsste Deutschland verzichten, jedes Jahr aufs Neue. Zum zweiten ist es wegen der komplizierten Regelungen im ETS, die über die Marktstabilitätsreserve auch eine automatische Löschung von Zertifikaten vorsehen, gar nicht so einfach, die zu löschende Menge korrekt zu bestimmen. Das Kohleausstiegsgesetz sieht vor, dass dazu jährlich zwei Gutachten eingeholt werden sollen. Da aber niemand weiß, wie sich die Marktstabilitätsreserve und der Zertifikate-Preis ohne den Kohleausstieg entwickelt hätten, hängt jede Schätzung von zahlreichen mehr oder weniger willkürlichen Annahmen ab. Es besteht die Gefahr, dass man sich ein möglichst billiges Ergebnis zusammenrechnet, bei dem nur wenige Zertifikate gelöscht werden müssen. 

Auf der anderen Seite hat der Emissionshandel dazu beigetragen, dass sich schon im Jahr 2019 die deutschen CO2-Emissionen stärker verringert haben als noch kurz zuvor erwartet, weil sich der Strommix deutlich zugunsten der Erneuerbaren und zu Lasten der Kohle verändert hatte. Diese Entwicklung wurde befördert, weil sich der Zertifikate-Preis in den beiden vergangenen Jahren mehr als verdreifacht hat und derzeit bei etwa 25 Euro pro Tonne CO2 liegt.

Je höher der Zertifikate-Preis, umso größer ist der Anreiz für die Stromversorger, von Kohle- auf Gaskraftwerke umzusteigen. Es fragt sich daher, ob es wirklich notwendig ist, die Kraftwerksbetreiber gesetzlich zu einem Ausstiegsplan zu zwingen und gleichzeitig für die Enteignung zu kompensieren, wenn der Preismechanismus schon ausreicht, um den Ausstieg aus der Kohle voranzutreiben und damit die deutschen Klimaziele zu erreichen.

Kohle durch steigenden CO2-Preis aus dem Markt drängen

Diese Wirkungszusammenhänge zeigen, dass es in die Irre führt, wenn klimapolitische Maßnahmen nur national gedacht werden. Wegen des ETS hat die deutsche Klimapolitik unmittelbare Rückwirkungen auf Europa und umgekehrt.  Die neue Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, hat gerade eine Klimainitiative gestartet, um alle EU-Mitgliedsstaaten auf ehrgeizigere Klimaziele schon für die Periode bis 2030 zu verpflichten. Das sollte sich vor allem im ETS widerspiegeln.

Denkbar wären entweder eine schnellere Verringerung der Zertifikate-Mengen oder die Festlegung eines über die Zeit ansteigenden Mindestpreises für CO2-Emissionen, bei dessen Unterschreiten Zertifikate aus dem Markt genommen müssen. Beide Lösungen hätten die Wirkung, dass die Kohle durch den weiter steigenden Zertifikate-Preis aus dem Markt gedrängt wird, ohne dass milliardenschwere Entschädigungen gezahlt werden müssen. Gleichzeitig sorgt diese Politik dafür, dass CO2-Emissionen dort eingespart werden, wo es am kostengünstigsten möglich ist.

Die staatlich verordnete Stilllegung von Kohlekraftwerken, die sich bei einer angemessenen Bepreisung des CO2-Ausstoßes für die Betreiber ohnehin nicht mehr lohnen, ist weder notwendig noch hinreichend für die Erreichung der deutschen und europäischen Klimaziele, sondern vor allem teure Symbolpolitik.

Klaus Schmidt ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Friedrich Breyer ist Mitglied des Beirats sowie Professor am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik der Universität Konstanz. Beide haben maßgeblich an dem Gutachten „Energiepreise und effiziente Klimapolitik“ für das BMWi vom Juli 2019 mitgewirkt.

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