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Energie & Klima

Standpunkte Der Preis der deutschen Klimaziele

Marc Oliver Bettzüge, kommissarischer Geschäftsführer des EWI der Universität Köln
Marc Oliver Bettzüge, kommissarischer Geschäftsführer des EWI der Universität Köln

Die Bundesregierung will einen einheitlichen CO2-„Preis“ einführen – ein insgesamt positiver Paradigmenwechsel in der deutschen Klimapolitik, schreibt Marc Oliver Bettzüge, kommissarischer Geschäftsführer des EWI der Universität Köln. Die Diskussion über die künftige Höhe dieses Preises zeige das Spannungsfeld zwischen ehrgeizigen Minderungszielen und gesellschaftlicher Akzeptanz.

von Marc Oliver Bettzüge

veröffentlicht am 30.10.2019

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Ehrgeizige Treibhausgasziele für eine ferne Zukunft zu setzen – das ist in der Politik ein wohlfeiles Mittel. Gerne überbieten Politiker sich gegenseitig und fordern immer noch höhere Prozentsätze. In der EU und in Deutschland war und ist die Macht dieser politischen Dynamik so groß, dass man sich freiwillig und einseitig zu anspruchsvollen Minderungszielen verpflichtet hat – sogar einschließlich zwischenstaatlicher Strafzahlungen bei Nicht-Erreichung der Ziele für 2030.

Die europäische und deutsche Politik hat diese Ziele ohne ausführliche Folgenabschätzung und ohne belastbaren Implementierungsplan festgelegt. Das Binden an diese Ziele geschah also unabhängig von den Konsequenzen ihrer Umsetzung: nicht abgestimmt auf den Rest der Welt, nicht abgestimmt auf die Tragfähigkeit der Bevölkerung oder der Staatsfinanzen, nicht abgestimmt auf die notwendigen Kompensationen zum Erhalt des sozialen Friedens und der wirtschaftlichen Prosperität. Es ist nicht einmal klar, ob derartige Ziele in einer offenen, freiheitlich verfassten Gesellschaft überhaupt durchsetzbar sind, vor allem wenn sie bis zur „Klima-Neutralität 2050“ gesteigert werden.

Die Politik der ehrgeizigen Mengenziele wird dadurch erleichtert, dass sich aus solchen Vorgaben für die gesamte Volkswirtschaft nicht direkt ergibt, was sie für einzelne Haushalte oder Unternehmen konkret bedeuten. Jede und Jeder kann hoffen, dass die großen Minderungsbeiträge von anderen erbracht werden müssen.

Menge und Preis

Die Verhandlungen über das Ambitionsniveau des „Klimaschutzes“ werden hingegen konkret, wenn statt über eine Menge über einen „Preis“ für CO2-Emissionen gesprochen wird. Dieser würde auf den Marktpreis für Kohle, Öl und Erdgas aufgeschlagen und die Wirtschaftssubjekte dazu verleiten, die schädlichen Umweltfolgen des CO2-Ausstosses in ihren Investitions- und Verbrauchsentscheidungen zu berücksichtigen. Je höher dieser Preis, desto höher die Minderungsanstrengungen. Jede und Jeder kann unmittelbar erkennen, was ein solcher Preis für die eigene Geldbörse bedeutet.

Für jedes Mengenziel gibt es ein passendes Preis-Niveau. Zu diesem Preis führt die Summe der individuellen Minderungsentscheidungen zur jeweiligen gesamtwirtschaftlichen CO2-Minderung. Die Frage ist: Welchen Preis für CO2 müssten Energieverbraucher in Deutschland mindestens entrichten, damit die Mengenziele in Summe erreicht werden? Die Antwort ist nicht offensichtlich, da die (zukünftigen) Zahlungsbereitschaften und somit die Wirkung eines CO2-Preises unbekannt sind. Zudem gibt es bereits ein komplexes Geflecht von staatlichen Eingriffen in den Energiesektor, dessen Wirkung bei dieser Rechnung ebenfalls berücksichtigt werden muss.

Eine aktuelle Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI) in Kooperation mit dem Institute for Future Energy Consumer Needs and Behavior der RWTH Aachen analysiert diesen Sachverhalt. Unter einer Vielzahl von Annahmen errechnet das Autorenteam, dass selbst Preisniveaus von rund 90 Euro pro Tonne CO2 zusätzlich zu den bestehenden Energiesteuern nicht ausreichen könnten, um die Klimaziele 2030 im Verkehrs- und Gebäudesektor zu erreichen. Zum Vergleich: Derzeit wird Heizöl mit einer Energiesteuer von umgerechnet etwas mehr als 20 Euro pro Tonne CO2 belastet, Diesel mit rund 180 Euro pro Tonne und Benzin mit fast 300 Euro pro Tonne – gerade im Wärmesektor wäre die Zusatzbelastung also enorm.

Die Einführung eines CO2-Preises ist ein zentraler Baustein des aktuellen Klimapakets. Für ihr neues Emissionshandelssystem plant die Bundesregierung allerdings mit einem Preiskorridor von 35 bis 60 Euro pro Tonne für das Jahr 2026, und lässt die weitere Entwicklung offen. Die neue Studie deutet also an, dass ein CO2-Preis deutlich über dem beschlossenen Preispfad nötig wäre, um die Klimaziele zuverlässig zu erreichen.

Effizienz und Verteilung

Die Wirtschaftstheorie geht mit guten Gründen davon aus, dass ein einheitlicher CO2-Preis der kostengünstigste Weg zur Treibhausgasminderung ist – ganz gleich übrigens, ob dieser Preis wie eine Steuer staatlich gesetzt oder durch Zertifikathandel wettbewerblich ermittelt wird. Fragmentierte Einzelmaßnahmen wie technologiespezifische Subventionen oder Verbote sind hingegen meist ineffizient. Mittelbar ergibt sich zwar auch daraus ein Preis für CO2, nämlich das Verhältnis der Mehrkosten zu den erreichten Minderungsmengen. Dieser implizite Preis ist allerdings weniger transparent und wegen der Ineffizienz meist höher als eigentlich nötig.

Den verteilungspolitischen Folgen der Klimaziele kann man also nicht durch eine geschickte Wahl der Minderungsinstrumente ausweichen. Man kann sie lediglich durch kosteneffiziente Instrumente wie einen CO2-Preis minimieren, transparent machen und daraus die sinnvollen Kompensationen ableiten.

Bei allen Schwächen des Klimapakets im Einzelnen ist der darin vorgesehene Übergang zu einem ganzheitlichen, preisbasierten Ansatz daher ein Meilenstein in der deutschen Klimapolitik. Denn nun wird über diesen Preis verhandelt. Damit rücken auch die Verteilungswirkungen der Klimapolitik – und die erforderlichen Ausgleichsmechanismen – ins Rampenlicht. Hierzu gehören auch Konzepte für sozialen Wohnraum mit geringem Energiebedarf sowie für die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur. Auch das ist im Klimapaket – wenn auch noch unvollständig und bruchstückhaft – erkannt und adressiert worden.

Kosteneffizienz und gesellschaftlicher Lastenausgleich sind die zentralen politischen Hebel für eine umfassende Minderung von Treibhausgasemissionen. Zwar gibt das aktuelle Klimapaket noch keine abschließenden Antworten auf alle Fragen, aber die grundlegende Erkenntnis scheint angekommen. Sprich: Die Richtung stimmt.

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