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Energie & Klima

Standpunkte Der Streckbetrieb wäre eine sinnlose Laufzeitverlängerung

Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings
Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings

Die Debatte über einen Streckbetrieb der am Netz verbliebenen Atomkraftwerke bringt nichts als heiße Luft, schreibt DNR-Präsident Kai Niebert in seinem Standpunkt. In so einem Betrieb würden die Akw gar nicht genug Strom liefern und sie taugten nicht zur Deckung der Spitzenlast. Auch die Betreiber, argumentiert Niebert, würden die Meiler nicht länger am Netz sehen wollen. So seien es nur Lindner und Söder, die auf eine Laufzeitverlängerung spekulierten.

von Kai Niebert

veröffentlicht am 02.08.2022

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Whatever it takes. Was auch immer notwendig ist, soll laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck unternommen werden, um nach Putins Angriff auf die Ukraine und Europas Energieversorgung durch den Winter zu kommen. So weit so richtig. Doch wie weit ist wie richtig? Wenn alles auf den Tisch muss, gehört dann eine Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke nicht auch auf den Tisch? Zumindest um über den Winter zu kommen mit einem Streckbetrieb – oder vielleicht auch durch den Krieg mit neuen Reaktorkernen?

Schauen wir auf die Fakten: Die Lage ist kompliziert – beteiligt sind BNetzA, BMWK, Stadtwerke und andere Akteure, um aus einer Gaskrise keine Gasmangellage und aus einer Gasmangellage keine Strommangellage werden zu lassen. Doch Markus Söder und Christian Lindner haben das Kunststück vollbracht, die hoch komplizierte Lage mit ihren vielen kleinen Stellschrauben auf ein Thema zu verengen: den gesellschaftlichen Konsens um die Hochrisikotechnologie Atomkraft aufzukündigen. Interessant ist, dass beide – wie auch alle, die mittlerweile in ihrem Windschatten segeln – noch nie Freunde der Energiewende waren und immer eher auf markige Worte als auf Ausbaupfade für die Erneuerbaren Energien gesetzt haben.

Dass die Lage ernst ist, daran besteht kein Zweifel. Ein erster Stresstest für den Strommarkt hat gezeigt: Es wird eng, aber keiner muss Angst vor einem Blackout haben. Doch seitdem ist viel Wasser die Isar runter geflossen und Politiker wie eben jener Söder haben die Menschen mit der Drohung eines kalten Winters und einer Gas-Triage zum Heizlüfterkauf in den Baumarkt getrieben. Und so könnte es nun, wenn der Winter sehr kalt wird, kein Wind weht und Millionen Haushalte Elektro-Heizlüfter anschalten, zu einem zusätzlichen Strombedarf von acht Gigawatt kommen. Deshalb prüfen nun die vier Übertragungsnetzbetreiber mit ungünstigeren Parametern als beim ersten Test erneut die Versorgungssicherheit.

Keine Kilowattstunde mehr, für Spitzenlast nicht geeignet

Also doch ab in die Laufzeitverlängerung a la Streckbetrieb? Heute tragen die Akw mit knapp sechs Prozent zum Strommix bei. Für einen Streckbetrieb müsste man deren Leistung für den Rest des Jahres drosseln, damit noch Brennstoff fürs nächste Jahr bleibt – so würden aus sechs Prozent in 2022 drei Prozent für 2022 plus maximal drei Prozent für 2023. Zudem verliert im Streckbetrieb jedes Kraftwerk 0,5 Prozent an Kraft – pro Tag. Es wird also keine Kilowattstunde Strom mehr produziert, sondern sie werden nur ins neue Jahr verteilt. Und dafür gibt’s dann dieses Jahr halt weniger.

Das jedoch würde bedeuten, dass Bayern schon heute mehr Gas in seine Gaskraftwerke pumpen müsste, denn solange sich Bayern nicht nur gegen den Ausbau der Windenergie, sondern auch gegen den Netzausbau sperrt, sind das dort kommunizierende Röhren. Durch seine Weigerung, die Windenergie auszubauen, haben Söder und seine Vorgänger die Bayern in Putins Geiselhaft getrieben. Und statt nun ein Sofortprogramm Energiesparen aufzusetzen, nimmt er die ganze Republik in die Haftung mit seiner Forderungen nach Streckbetrieb und Fracking im Norden – beides widerspricht geltendem Recht. Doch am Ende bleibt Söder nur ein gangbarer Weg aus der Energiekrise: heute Strom sparen, morgen Windräder bauen.

Doch wie sieht es bundesweit aus? Würde nicht ein Streckbetrieb doch vielleicht den Gasmarkt entlasten, weil man weniger Gasturbinen anwerfen müsste und so das kostbare Gas sparen könnte? Für die Stromversorgung spielt Erdgas in Deutschland nicht die Rolle des Lastenesels, sondern des Sprintpferdes: Müssen Spitzenlasten abgefedert werden, schmeißt man die Gasturbinen an. Das geht mit Atomkraftwerken nicht – sie liefern ebenso wie die Braunkohle und zum Glück eine zunehmende Menge an Windrädern und PV-Anlagen die Grundlast. Wer also zu Spitzenzeiten Gas sparen möchte, wird die Lücken nicht mit Atomkraft abdecken können, sondern muss zumindest kurzfristig: sparen. Das passiert ja bereits teilweise und gegen Entschädigungen, zum Beispiel in der Stahlproduktion. Doch Sparen ist nicht Teil der Ideologie der Laufzeitverlängerungs-Phantasten.

Auch die Betreiber lehnen dankend ab!

Aber müssen wir uns nicht solidarisch zeigen und den Franzosen helfen, bei denen gerade 28 von rund 56 Akw stillstehen? Dazu muss man sich die Frage stellen, warum die Franzosen ein Problem haben: Dort wurden im Rahmen von Periodischen Sicherheitsüberprüfungen (PSÜ) Korrosionen in Rohrsystemen festgestellt, deren Bruch zu einer Kernschmelze führen könnte. Dies ist einer der zentralen Gründe, warum dort mehr als der Hälfte der Reaktoren vom Netz genommen wurde. In Deutschland sind die Periodischen Sicherheitsüberprüfungen derzeit aufgrund des Ausstiegs ausgesetzt. Runtergebrochen heißt das: Wir wissen schlichtweg nicht, ob unsere deutschen Reaktoren nicht die gleichen Schäden aufweisen – eben weil wir nicht nachsehen. Der Versuch, Versorgungssicherheit herzustellen nach dem Prinzip der drei Affen: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen dürfte nicht mal den TÜV Süd überstehen.

Sobald am 01.01.2023 noch ein Kraftwerk Atomstrom produziert, müssen nicht nur das Atomgesetz geändert und neue Betriebsgenehmigungen erteilt werden. Nein, jedes der Kraftwerke muss eine PSÜ durchlaufen und dabei nachweisen, dass sich die Anlagen auf dem heutigen Stand der Technik befinden. Das behaupten aber noch nicht einmal die Betreiber, die gesetzeskonform mit einem Abschalten am 31.12.2022 rechnen und deswegen Nachrüstungen ausgesetzt haben. Die PSÜ nehmen im Übrigen üblicherweise mehrere Jahre in Anspruch – bis dahin ist hoffentlich nicht nur der Krieg vorbei, sondern auch das eine oder andere Windrad – auch in Bayern – gebaut. Würde die PSÜ einfach weiterhin gesetzlich ausgesetzt oder bescheinigt der TÜV die Sicherheit künftig vom Schreibtisch aus, wäre es nur konsequent, auch den TÜV fürs Auto abzuschaffen und damit Millionen Autos vom Schreibtisch aus die Sicherheit zu bescheinigen.

Im Übrigen: Hat eigentlich mal jemand mit denen gesprochen, denen die drei verbliebenen Akw gehören? Weder RWE noch EnBW haben sich derzeit um eine weitere Betriebsgenehmigung bemüht. Im Gegenteil: Die derzeitige Debatte sorgt auch dort für Stirnrunzeln angesichts des irrlichternden Tiki-Taka-Atomspiels einiger Akteure: raus (2002) – rein (2010) – raus (2011) – und 2023 doch wieder rein? Sie lehnen dankend ab und wollen sich auf das Zukunftsgeschäft erneuerbare Energien konzentrieren. Einzig Preussen Elektra als Inhaberin von Isar 2 hält sich bedeckt. Wenn Söder, Lindner und Co. eine Laufzeitverlängerung – und nichts anderes ist ein Streckbetrieb – anstreben, müssen sie auch beantworten, wer die Kraftwerke dann betreiben soll.

Den Strom, den die drei Kraftwerke mit verminderter Last im Streckbetrieb liefern würden, könnte man übrigens schon heute einsparen, in dem wir alle Stand-by-Geräte abschalten. Kostet nichts und spart nicht nur Strom, sondern auch politische Energie für die wirklichen Lösungen.

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