Trotz heftiger Bürgerproteste unter anderem auf der Insel Rügen hält die Bundesregierung an ihrem Vorhaben fest, die Flüssiggas-Infrastruktur an der Ost- und Nordsee auszubauen und dies und sogar zu beschleunigen. Das Gesetz könnte unmittelbar vor der Sommerpause im Bundestag beschlossen werden. Über seinen Sinn lässt sich streiten.
Tatsächlich hat die Bundesregierung, allen voran Wirtschaftsminister Robert Habeck, im vergangenen Jahr durch den Ankauf schwimmender Flüssiggasterminals zur Beruhigung der Lage an den Gasmärkten beigetragen. Dem gilt Respekt. Heute ist jedoch absehbar, dass der weitere Ausbau dieser Infrastruktur nicht nur energiewirtschaftlich nicht notwendig, sondern auch mit erheblichen Kosten verbunden ist, die in der aktuellen Diskussion weitgehend unter den Tisch gekehrt werden.
Tatsächlich hat sich die Lage entspannt und die Argumente, die vor einem Jahr noch Gültigkeit gehabt haben mögen, sind nicht mehr einschlägig: Der kommende Winter wird entspannt bleiben.
Die befürchtete Gasmangellage ist ausgeblieben. Die Gaspreise haben sich stabilisiert, sowohl in Deutschland als auch in Europa. Die Nachfrage von Industrie als auch Haushalten hat sich als sehr preiselastisch erwiesen, das heißt, sie hat erhebliche Effizienzpotenziale genutzt und den Verbrauch im Jahr 2022 um circa 14 Prozent gesenkt. Dies sollte in Zukunft auch weitergeführt werden. Fabrikausfälle und kalte Nächte sind ausgeblieben. Und auch der kommende Winter 2023/24 wird entspannt bleiben: Angesichts auskömmlicher Gaslieferungen und prall gefüllter Speicher ist keine Gasmangellage absehbar.
Der im LNG-Beschleunigungsgesetz vorgesehene Bau fester Infrastruktur ist weder energiepolitisch notwendig noch klimapolitisch sinnvoll. Zu diesem Ergebnis kommen die meisten Studien aus unterschiedlichen Richtungen, wie dem Energiewirtschaftlichen Institut der Universität zu Köln (EWI), dem New Climate Institute und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).
In den ersten Kriegsmonaten nach dem 24. Februar 2022 kam es zu einer Dynamik, die die Gaswirtschaft zur Beantragung von Projekten weit jenseits sinnvoller Mengen genutzt hat. Die Rede ist von 30 Milliarden Kubikmetern zusätzlicher LNG-Importkapazität pro Jahr, was knapp einem Drittel der gesamten deutschen Erdgasnachfrage entspricht und so zu einem deutlichen Überangebot führen würde. Dagegen zeigen zwei Modellrechnungen, dass bereits Ende der 2020er Jahre der Einsatz von Flüssiggas weitgehend überflüssig sein wird. Weiterer Infrastrukturausbau muss somit als „stranded assets“, als gestrandete Investitionen, gelten. Steuerzahlende und Wirtschaft werden dagegen durch die abgeschlossenen Lieferverträge noch langfristig belastet.
Die Transitfunktion Deutschlands, inklusive in Richtung Mittel- und Südeuropa, ist gesichert. Insbesondere bedarf es für die Versorgung der ostdeutschen Bundesländer keiner zusätzlichen Importterminals an der Ostsee. Das deutsche Gasnetz ist gut ausgebaut und bei rückläufiger Nachfrage sind auch in Zukunft keine Transportengpässe zu befürchten. Die europäische Solidarität wurde 2022 gelebt und ist auch mit der bestehenden Infrastruktur für die kommenden Jahre umsetzbar.
Unabhängig von der Aktualität wirft das Thema LNG auch eine wirtschaftspolitisch sehr heikle Frage auf: Wie, und zu welchen Kosten, kommt der Bund, der die letzten Monate finanziell „all in“ gegangen ist, aus seinen finanziellen Verpflichtungen wieder heraus? Und wie steht es um die Entwicklung des Gasmarktes in Deutschland und Europa? Auf der einen Seite subventioniert der Bund den Ausbau fossiler Infrastruktur massiv und legt dabei ein „Deutschlandtempo“ vor, welches man sich die letzten zwei Jahrzehnte für die Erneuerbaren gewünscht hätte. Andererseits sind diese Ausgaben, die Rede ist von zweistelligen Milliardenbeträgen, kaum nachhaltig im Bundeshaushalt gedeckt, und könnten auch für andere, Energiewende-kompatible Nutzungen dienen.
Auch die Governance auf europäischer Ebene spielt eine wichtige Rolle: Ja, Solidarität mit den Nachbarländern versteht sich von selbst, aber die ist derzeit gewährleistet, und hat in den letzten 15 Jahren, in denen wir mit Gaskrisen wegen Russland zu tun hatten, stets gut funktioniert. Europäische Solidarität bedeutet aber auch eine effiziente Nutzung von Infrastruktur im grenzüberschreitenden Handel. Das heißt auch zwischen Polen und Deutschland, und auch darüber hinaus, wo oftmals noch nationale Grenzen und Regulierungsregimes gegen eine vollständige Nutzung der Transportkapazitäten sprechen.
Staatsbewirtschaftung und Ausbau stoppen
Aus der Analyse lassen sich drei Schlüsse ziehen: Die Erdgasmärkte sollten aus der staatlichen Bewirtschaftung der (nicht eingetretenen) Gasmangellage befreit werden. Der beschleunigte Ausbau von LNG-Importinfrastruktur an Ost- und Nordsee sollte unverzüglich gestoppt werden. Insbesondere ist dieser Aufbau in Mukran auf Rügen, der im Zentrum der Diskussion um das LNG-Beschleunigungsgesetz steht, nicht für die Versorgungssicherheit der neuen Bundesländer oder der EU-Nachbarländer notwendig.
Last but not least sollten die Haushälter*innen im Deutschen Bundestag kritischer mit den bisher reichlich sprudelnden Mitteln sein: Noch besteht Gelegenheit, die Beschleunigung des teuren und unnötigen LNG-Infrastrukturausbaus zu stoppen und die Energiewende in Richtung Erdgasausstieg weiterzutreiben. Der ökonomisch und ökologisch sinnvolle Erdgasausstieg sollte konsequent weitergeführt werden, statt ihn durch zusätzliche fossile Infrastruktur zu verzögern.
Prof. Claudia Kemfert ist Leiterin in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Christian von Hirschhausen ist Forschungsdirektor in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt im DIW Berlin und Professor für Energieinfrastruktur an der TU Berlin.