Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz will im August Kanada besuchen, um über Energiesicherheit und die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Kanada zu sprechen. Ich bin gerade von einer parlamentarischen Reise nach Bayern zurückgekehrt und hatte die Gelegenheit, mit vielen von Ihnen lange und ausführliche Gespräche über die Energie- und Klimafragen zu führen, die uns verbinden.
Dabei konnte ich mir ein Bild von dem Dilemma machen, in dem sich Deutschland befindet: Sie wollen sowohl Ihre Abhängigkeit von russischem Erdgas im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine beenden als auch Ihre Ziele zur Verringerung der Treibhausgase gemäß dem Pariser Abkommen erreichen, wobei letzteres den raschen Einsatz erneuerbarer Energien erfordert.
Zu hören war auch, dass Sie mit Bedauern eine befristete Laufzeitverlängerung für schmutzige Kohlekraftwerke und für Atomkraftwerke ins Auge fassen, die Angela Merkel nach der Katastrophe von Fukushima außer Dienst gestellt hatte. Ich habe auch Ihr Interesse an neuen Technologien wie etwa grünem Wasserstoff gesehen, die vielversprechend erscheinen, die aber noch nicht ausgereift sind und deren Rentabilität sich erst noch zeigen muss.
Schließlich habe ich auch den Durst nach verflüssigtem Erdgas (LNG) wahrgenommen. Ich möchte Ihnen, ganz explizit auch den Kolleginnen und Kollegen, also den Mitgliedern im Bundestag und in den Länderparlamenten, eines sagen: Kanadisches LNG ist keine Lösung.
Québec hat die Öl- und Gasgewinnung verboten
Ich möchte Sie bitten, den folgenden Unterschied zu verstehen: Québec ist nicht Kanada. Québec ist führend im Bereich erneuerbare Energien, sowohl in Bezug auf die Produktion als auch auf das Know-how und die Spitzentechnologie. Auf der letzten COP in Glasgow ist Québec sogar der Beyond Oil and Gas Alliance (BOGA) beigetreten und hat ein Gesetz verabschiedet, das jegliche Exploration und Erschließung von Öl und Erdgas auf seinem Territorium verbietet, jetzt und in Zukunft.
Wenn Kanadas Premierminister Justin Trudeau sagt, er könne Deutschland über die Häfen an der Ostküste mit Erdgas versorgen, bedeutet dies, dass eine Pipeline durch Québec verlaufen müsste, das eine solche Infrastruktur jedoch ablehnt. Vor einem Jahr verweigerte die Regierung von Québec die Genehmigung für den Bau einer Erdgasverflüssigungsanlage in Saguenay – meiner Stadt – und die kanadische Regierung tat es ihr einige Monate später gleich.
Und warum? In Québec gibt es keine gesellschaftliche Akzeptanz für diese Art von Projekt. Eine verstärkte LNG-Produktion würde die notwendige Energiewende in den Zielmärkten blockieren und die Treibhausgasemissionen Kanadas in die Höhe treiben. Selbst die Internationale Energieagentur sagt es: Wir müssen auf jegliche neue Produktion fossiler Brennstoffe verzichten.
Und noch etwas möchte ich Ihnen sagen, denn ich fürchte, dass Justin Trudeau Herrn Scholz bei seinem Besuch in Kanada nichts davon erzählen wird. Es gibt starke Bestrebungen, die Erdgasförderung im Westen Kanadas zu erhöhen, und zwar in Form von Fracking mit den damit verbundenen Risiken: Lecks in der Transportkette, mögliche Verunreinigung des Grundwassers und Erdbeben, um nur einige zu nennen. Methanleckagen tragen wesentlich zur globalen Erwärmung bei, denn Methan hat in 100 Jahren ein 30 Mal höheres Erwärmungspotenzial als Kohlendioxid.
Aufbau einer LNG-Produktion käme zu spät
Experten sind der Meinung, dass der Aufbau einer zusätzlichen LNG-Produktion in Kanada zu lange dauern würde, während die Nachfrage auf den europäischen Märkten in den kommenden Jahren aufgrund des Ausbaus der erneuerbaren Energien zurückgehen wird, trotz der von Russland verursachten Energiekrise.
Wie ich den bayerischen Abgeordneten bereits sagte, möchte Québec im Energiebereich eine solide, langfristige Beziehung zu Deutschland aufbauen. Wir stehen in der aktuellen Situation solidarisch an Ihrer Seite und verurteilen den russischen Einmarsch in der Ukraine. Die Herausforderungen, vor denen Sie stehen, sind enorm. Ich bin mir sicher, dass Québec immer zur Stelle wird, um zusammen mit dem deutschen Erfindergeist die besten Technologien zur Senkung des Verbrauchs, zur Energieeffizienz, für erneuerbare Energien, grünen Wasserstoff, zur Energiespeicherung, für die Batterieindustrie und für eine Vielzahl anderer Bereiche der grünen Wirtschaft zu entwickeln.
Lassen Sie uns die Gelegenheit dieser Krise nutzen, um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen und einen nachhaltigen Planeten für künftige Generationen zu schaffen. Es ist wichtig, dass diese Botschaft auch bei Olaf Scholz und im Kanzleramt ankommt, bevor er seinen kanadischen Amtskollegen besucht.
Sylvain Gaudreault ist Abgeordneter für
Jonquière in der Nationalversammlung von Québec
(Kanada) und Autor von „Pragmatique. Quand le climat
dicte l'action politique“ (Somme toute, 2021). Der
Text erschien zuerst auf Französisch in Le Devoir.