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Energie & Klima

Standpunkte Die EU-Gebäuderichtlinie ist eine Versicherung gegen teure Energie

Oliver Rapf und Sibyl Steuwer, BPIE
Oliver Rapf und Sibyl Steuwer, BPIE Foto: BPIE

In Brüssel wird derzeit die Gebäuderichtlinie verhandelt. Sie weist Europa den Weg zum klimaneutralen Gebäudebestand. Gut umgesetzt gebe sie Sicherheit für Verbraucher und Investorinnen, meinen Oliver Rapf und Sibyl Steuwer vom Think-Tank BPIE in ihrem Standpunkt. Finanzminister Lindner liege mit seinen sozialen Bedenken also vollkommen falsch.

von Oliver Rapf und Sibyl Steuwer

veröffentlicht am 15.09.2023

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Die Vorschläge für eine Europäische Gebäuderichtlinie (EPBD) zielen darauf ab, die Lücke zum Erreichen der Klimaschutzziele im Gebäudesektor zu schließen und endlich die nötige Rechts- und damit Investitionssicherheit für alle Akteure zu bringen. Der Kommissionsvorschlag enthält zahlreiche Maßnahmen, um soziale Härten abzufedern und sicherzustellen, dass breite Bevölkerungsschichten, einschließlich vulnerabler Gruppen, von der neuen Richtlinie auch finanziell profitieren.

FDP-Finanzminister Christian Linder sagte nun jüngst, die Gebäuderichtlinie lenke Investitionen in die falschen Bereiche, sie sei sogar „enorm gefährlich“. Aber das Gegenteil ist der Fall: Mit der Einführung von Mindestanforderungen für den Gebäudebestand (MEPS, Minimum Energy Performance Standards) wird die Sanierung der ineffizientesten Gebäude – die so genannten worst performing buildings priorisiert. Die größten Flächen und Verbräuche entfallen auf die Wohngebäude. 25 Prozent der Wohnfläche in Deutschland haben einen Energiebedarf von über 230 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr (kWh/m²a).

Bei den schlechtesten Gebäuden zahlt sich die Sanierung schnell aus. Gerade durch die Einführung von Mindestanforderungen können in kurzer Zeit und kosteneffizient CO2-Emissionen im Gebäudesektor reduziert werden. Die Einführung von MEPS ist daher überfällig.

Quartiersansatz führt vermutlich zu Gießkanneneffekt

Mindestanforderungen für den Gebäudebestand leisten aber viel mehr. Mieter in schlecht sanierten Gebäuden haben heute kaum einen Einfluss auf die Investitionsentscheidungen der Eigentümerinnen. Mit der Einführung von MEPS können sie nun von den Sanierungsmaßnahmen profitieren. Denn Investitionen und Förderung werden gezielt gelenkt – und nicht nach dem Gießkannenprinzip oder gar verstärkt an einkommensstarke Haushalte ausgegeben.

Das wäre vermutlich der Effekt eines sogenannten Quartiersansatzes, wie ihn die SPD-Bundesbauministerin Klara Geywitz vorschlägt. Die soziale Schere würde so weiter auseinanderklaffen. Deshalb brauchen wir diese Mindestanforderungen für einzelne Gebäude, ein „Flottenverbrauchsansatz“ wie in der Autoindustrie ist nicht sinnvoll, weil die Energieschleudern zuerst saniert werden sollten.

Schutz vor hohen Energie- und CO2-Preisen

Mit der Einführung des nationalen Brennstoffemissionshandels und spätestens seit Verabschiedung der zweiten Richtlinie dazu auf europäischer Ebene ist klar, dass die CO2-Kosten für alle zunehmend sichtbar werden und diejenigen benachteiligt sind, die in schlecht sanierten Wohnungen leben.

Damit werden MEPS zu einer Versicherung gegen steigende Energie- und CO2-Kosten und sie ermöglichen auch Haushalten mit mittlerem und geringem Einkommen weiterhin dort zu leben, wo sie bisher wohnen – aber in einem gesünderen Wohnumfeld nach der Renovierung. Der Finanzminister sollte Vorschläge machen, welche Finanzierungsmodelle eine warmmietenneutrale Renovierung ermöglichen würden. Die Niederländer sind mit ihrem Finanzierungsmodell für Netto-Null-Sanierungen schon wesentlich weiter.

Viele Faktoren haben zu einer Verteuerung des Bauens und einem Einbruch der Aufträge für die Baubranche geführt. Sanieren wird für immer mehr Unternehmen interessant, deren Kerngeschäft in der Vergangenheit der Neubau war. Damit sich eine große Sanierungsbranche aufbauen kann, werden rechtsverbindliche Ziele benötigt: Wie sieht ein zukunftsfähiges Gebäude aus? Die Festlegung von Mindestanforderungen für den Gebäudebestand kombiniert mit Sanierungsfahrplänen für individuelle Gebäude bringen nicht nur der Eigentümerin Sicherheit. Auch die Unternehmen können dann systematisch die Nachfrage erfassen und schlüsselfertige Sanierungslösungen entwickeln.

Mindestanforderungen tragen zum sozialen Frieden bei

Es gibt in Europa eine große Schnittmenge zwischen einkommensschwachen Menschen und ineffizienten Gebäuden. Eine faire Sanierungswelle anzustoßen ist der Kern der Vorschläge der Europäischen Kommission und wird von den Vorschlägen des Europäischen Parlamentes noch gestärkt. Beide schlagen vor, MEPS in ein Ökosystem unterstützender Maßnahmen zu betten. Damit werten sie mit den entsprechenden Sanierungen das Wohnumfeld einkommensschwacher Gruppen auf und tragen maßgeblich zum sozialen Frieden bei. Und auch Eigenheimbesitzer profitieren von diesem Ansatz, wenn er mit umfassender Beratung mittels Sanierungsfahrplänen und zielgruppenspezifischen Förderprogrammen kombiniert wird. Denn Deutschlands ältere Einfamilienhäuser haben oft hohe Energierechnungen und sind so eine Belastung für ihre Besitzerinnen.

In Summe: Christian Lindner richtet sich mit seinen Äußerungen gegen Menschen mit geringerem und mittlerem Einkommen. Es ist heuchlerisch, mit Mindeststandards eine Gefährdung für den sozialen Frieden herbeizureden. Und er tut der Bauwirtschaft keinen Gefallen: Denn statt klarer Vorgaben, die zu mehr Sanierungsaufträgen führen würden, will er die Bauwirtschaft im Unklaren über zukünftige Anforderungen lassen. Und das, obwohl er weiß, dass der Bausektor seine Klimaziele nicht erfüllt.

Statt neue Gräben aufzureißen, sollte der Finanzminister lieber dafür sorgen, dass die in der EPBD angelegte soziale Flankierung auf nationaler Ebene gut umgesetzt wird und konstruktive Vorschläge machen, wie er Innovationen in der Bauindustrie und in der Immobilienwirtschaft forcieren wird, damit klimafreundliches Wohnen bezahlbar wird und bleibt.

Oliver Rapf ist geschäftsführender Direktor von BPIE, Dr. Sibyl Steuwer leitet das Berliner Büro. Das Buildings Performance Institute Europe ist ein gemeinnütziger Thinktank für Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Gebäudesektor und der gebauten Umwelt.

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