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Energie & Klima

Standpunkte Flächeneffizienz und Technikoffenheit entscheiden die Energiewende

Andreas Blassy, Caverion Deutschland
Andreas Blassy, Caverion Deutschland Foto: Caverion Deutschland

Den Gebäudesektor zu dekarbonisieren ist eine komplexe Aufgabe, die individuelle Lösungen erfordert, meint Andreas Blassy vom Gebäudeausrüster und Dienstleister Caverion Deutschland. Entscheidend sei, gleichzeitig auf der Verbrauchsseite anzusetzen: Bei der Flächeneffizienz. Hier hinke die Regulierung hinterher – zum Beispiel brauche es eine neue „Umbauordnung“.

von Andreas Blassy

veröffentlicht am 27.02.2024

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Ohne einen energieeffizienten Gebäudesektor ist keine Energiewende zu machen. Als wesentliche Endenergieverbraucher gehen annähernd ein Drittel der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland auf das Konto von Gebäuden. Rund 90 Prozent unserer Lebenszeit verbringen wir im Schnitt in geschlossenen Räumen. 2022 verfehlte der Sektor die Zielwerte der Bundesregierung um annähernd fünf Millionen Tonnen CO2. Bis zur vollständigen Klimaneutralität ist es also noch ein langer Weg zu gehen.

Ein Grund dafür: In den letzten Jahren verengte sich die politische Diskussion auf wenige Technologien und Maßnahmen wie Wärmepumpen, Fernwärme, Wasserstoff und Dämmung. Jede einzelne für sich genommen taugt nicht als Allheilmittel. Denn zu verschieden sind standortspezifische Infrastrukturen, Nutzungskonzepte, bauliche Bedingungen und so weiter. Folglich gibt es nicht die eine Technologie für alle Gebäude. Wir brauchen stattdessen die ganze Bandbreite an Lösungen.

Es gibt weitere Ansätze, die Vernetzung zumindest mitdenken. Zum Beispiel die Nutzung von Industrieabwärme oder Abwasserwärme. Auch der Ausbau der Fernwärme für Quartiere gehört dazu, wenn diese durch erneuerbare Quellen gespeist wird, wie etwa Biogas oder Geothermie. Aber auch hier gilt: Einen Königsweg gibt es nicht. Nicht überall ist Industrie aber vorhanden. Nicht überall sind die Fernwärmenetze verfügbar.

Entscheidend ist deshalb, standortspezifisch zu handeln. Was hier mit Wärmepumpen und Photovoltaik funktioniert, braucht dort vielleicht Pellets oder speist sich aus Geothermie oder einem Mix aus vielen Heizkesseln. Mehr Vernetzung heißt auch, über das Gebäude hinaus zu denken. So macht die Nutzung von Abwärme eines einzelnen Gebäudes wenig Sinn. Die eines ganzen Quartiers durchaus. Zusammengefasst: Der Technologie-Mix ist die Lösung.

Stärkere Berücksichtigung von Nichtwohngebäuden

Wechseln wir deshalb nun von der versorgungsseitigen zur verbrauchsseitigen Betrachtung. In Deutschland gibt es derzeit rund zwei Millionen GEG-relevante – also beheizte – Nichtwohngebäude. Darunter fallen Krankenhäuser und Kliniken, Einkaufszentren, Flughäfen und auch rund 240.000 Büro- und Verwaltungsgebäude.

Gewerblich genutzte Immobilien machen als Gebäudeklasse rund 47 Prozent aller CO2-Emissionen des Bestands aus – und werden zur großen Mehrheit mit fossilen Energien betrieben. Trotzdem werden Nichtwohngebäude (NWG) in den öffentlich-regulatorischen Debatten leider noch zu häufig ausgeklammert.

Dort, wo man sich bei Wohngebäuden in Sachen Regulierung zurückhält, nämlich im Bestand, könnte man bei den bestehenden Nichtwohngebäuden durchaus rasch Resultate erzielen – etwa mit Energiemindeststandards. Wie das geht, zeigen etwa die Niederlande.

So hat die niederländische Regierung im Jahr 2018 bereits im Energy Agreement die sukzessive Einführung von Mindeststandards vorerst für Bürogebäude angekündigt. Demnach dürfen Bürogebäude seit 2023 nicht schlechter als Energieeffizienzklasse C sein – andernfalls droht Eigentümern ein Vermietungsverbot

Eine Erhebung des Instituts der Deutschen Wirtschaft aus dem vergangenen Jahr ergab, dass 55 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland vorwiegend an einem Büroarbeitsplatz ihrer Arbeit nachgehen. Allerdings stehen derzeit und wohl auch auf absehbare Zeit mehr als 15 Prozent dieser Flächen leer, wie das Beratungshaus JLL erhoben hat. Dies ist nicht zuletzt auf die zunehmenden Möglichkeiten zurückzuführen, ortsunabhängig zu arbeiten.

Hier liegt ein enormes Potenzial. Denn dort, wo nicht gearbeitet wird, laufen die nicht selten fossilen und ressourcenintensive Heizungsanlagen auf Hochtouren. Der Energieausstoß, der dabei entsteht, ist vermeidbar – und das Einsparpotential für den Standort Deutschland elementar.

Schließlich ist die beste Kilowattstunde Energie doch die, die wir erst gar nicht verbrauchen. Und welchen Sinn macht die energetische Ertüchtigung ungenutzter Flächen?

Blick auf die genutzte Fläche

Statt uns deshalb auf Einzelmaßnahmen zu konzentrieren, lohnt es sich, dem gemeinsamen Nenner mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Auch wenn der Appell nicht ganz neu ist, Fakt bleibt: Bislang werden energetische Kennzahlen anhand der Gesamtfläche eines Gebäudes bewertet. Die Folge: Energiekennzahlen werden mitunter verzerrt und erzeugen einen falschen Eindruck.

Anders formuliert: 100 Prozent erneuerbar klimatisierte Objekte sind unbestritten eine Errungenschaft für Unternehmen sondergleichen. Energieeffizienz bedeutet allerdings nicht, dass spürbare Anteile der Gebäude leer stehen, Beheizung und Kühlung jedoch auf Hochtouren laufen.

Womit wir bei einem weiteren Aspekt vernetzten Denkens und Handelns sind: Die Lebenszyklusbetrachtung eines Gebäudes. Gerade im Nichtwohngebäudebereich sollten bereits in der Planungsphase weitere mögliche Nutzungsoptionen berücksichtigt werden. Hierzu bräuchte es allerdings eine Anpassung des Baurechts in Form einer Umbauordnung, die die ökologisch erforderlichen Möglichkeiten des Bauens im Bestand deutlich erleichtert. Warum nicht auch ein Nichtwohngebäude in ein Wohngebäude ändern? In unserer heutigen Zeit darf man sich nicht hinter althergebrachten Paragrafen und Paradigmen verstecken.

Die Mindestvorgaben und Mindestenergiestandards für Energieeffizienz beziehen sich immer auf den Quadratmeter. Wird ein Großteil der Fläche aber nicht genutzt, führt dies zu Verzerrungen und falschen Ergebnissen und somit wird auch eine Zielerreichung unnötig weiter nach hinten geschoben. Das bedeutet, dass entweder die Bewertung geändert werden muss oder die Möglichkeiten der Nutzung deutlich vereinfacht gehören. Dieses geht aber nur mit einer Anpassung des Baurechtes.

Anstatt Gebäude abzureisen oder gesichtslose, stark versiegelnde Bauten weiter zu fördern, ist es sinnvoller, den Bestand weiter zu nutzen, umzunutzen oder aufzustocken. Das entspricht dem Gedanken der Nachhaltigkeit und birgt deutlich mehr Chancen.  

Derzeit forcierte Änderungen der Landesbauordnungen hinzu Umbauregelungen beschränken sich leider oft auf Nebeneffekte wie Brandschutz, Schallschutz und Abstände. Warum diesen nicht das Thema Energie voranstellen? Ein Mindestenergiestandard für den tatsächlich genutzten Meter könnte hier eine Möglichkeit, Effizienz anzureizen.

Zusätzlich könnten Bauweisen und Materialien derart gestaltet werden, dass Material nach der Nutzung leichter dem Wertstoffkreislauf zugeführt werden kann. Schließlich kann der Anteil grauer Emissionen an der Gesamtbilanz eines Gebäudes, also die Emissionen, die in der Planungs- und Bauphase entstehen, bis zu 40 Prozent der gesamten Lebenszyklusbilanz betragen.

Fazit: Energieeffizienz bleibt Präzisionsarbeit

Das Ziel, Deutschland bis 2045 klimaneutral zu gestalten, ist verbindlich. Der Weg dorthin erfordert allerdings ein vernetztes Denken und Handeln. Eine einseitige Debatte über einzelne Technologien und Maßnahmen bremst eine weitere Beschleunigung der CO2-Reduzierung unter Umständen aus.

Vielversprechend im Nichtwohngebäudebereich sind Ansätze, die die effektive Flächennutzung in den Mittelpunkt rücken. Nicht mehr der Energieverbrauch pro Gebäude, sondern pro genutzten Quadratmeter unter Berücksichtigung baulicher und standortspezifischer Bedingungen sowie unter Berücksichtigung der Nutzungsweise könnten eine positive Wirkung erzeugen. Dafür müsste die Flächennutzung erfasst werden, um die energetische Versorgung zu optimieren. Welche Menge steht zur Verfügung und welche Menge wird in welcher Form genutzt, ist die Formel für weitere Effizienzsteigerungen.

Welche Technik dabei eingesetzt werden kann, sollte sich nicht an einer einseitigen Förderpolitik orientieren, sondern an den jeweils besten Bedingungen vor Ort. Multimethodische Ansätze sind mehr denn je gefragt, vernetztes Denken und Handeln sind die Bedingungen dafür.

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